"Der optimierte Mensch - Momente der Industriekultur in der bildenden Kunst"
bis zum 01. März 2020 im Museum der bildenden Künste Leipzig
Perfektionierung bis zum Scheitern
06:22 Minuten
Welche Auswirkungen hat die industrielle Entwicklung auf den Menschen? Zum Jahr der Industriekultur in Sachsen zeigt das Museum der bildenden Künste, wie die Kunst die Industrialisierung reflektiert und was die Optimierung immer schon begrenzt hat.
Anhand von vier Epochen ab der Gründerzeit um 1860 bis heute widmet sich die Leipziger Ausstellung "Der optimierte Mensch" der Geschichte der Industriekultur und deren Verarbeitung in der bildenden Kunst. Die Ausstellung verdeutlicht, dass die Industrie stets nach Optimierungen sucht und die industriellen Entwicklung auch eine Geschichte des Scheiterns ist.
Die Ausstellung liest die Industriegeschichte Sachsens als eine Abfolge technischer Transformationen – diese nummeriert sie von Industrie 1.0. für die Gründerzeit bis Industrie 4.0., die für die digitale Gegenwart steht, dazwischen dann die Moderne und die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, im Fall Sachsens also der DDR.
Für die Gründerzeit steht etwa der Name von Gustav Harkort, dessen Bruder Friedrich in der deutschen Wirtschaftsgeschichte oft als der Vater des Ruhrgebiets bezeichnet wird. Gustav ging in den 1820 Jahren nach Leipzig, baute dort das Schienennetz aus und gründete Speditionsunternehmen, später dann die mit der Kammgarnspinnerei die erste Leipziger Aktiengesellschaft dort.
Idealsierung und Kritik an der Industrie im Wandel der Zeit
Bezeichnend für den Übergang zum 20. Jahrhundert ist, dass, je größer und schneller die Industrielandschaften wucherten, die Begleiterscheinungen der Industrialisierung immer kritischer gesehen wurden. In der Ausstellung sieht man in Kunstwerken dieser Zeit zunehmend auch die Opfer der Entwicklung: die ausgemergelten Arbeiter, wie in einer Skulptur von Fritz Nolde, und die armseligen Lebens- und Arbeitsbedingungen.
Ein damals bekanntes Gemälde Hubert von Herkomers zeigt 1884 Auswanderer nach Amerika, Wirtschaftsflüchtlinge aus Polen, Tschechien und Südosteuropa, die sich in Leipzig sammelten um dann weiter nach Hamburg zu fahren.
In der DDR kehrte sich die dystopische Stimmung gegenüber der Industrialisierung ins Gegenteil. Das musste gleichwohl nicht immer die Heroisierung der Arbeit bedeuten. Von Günter Thiele, einem bekannten Maler industrieller Stadtlandschaften der Leipziger Schule, sieht man auf einem Gemälde von 1969 eine Industrielandschaft des 19.Jahrhunderts plötzlich als Ort der neuen sozialistischen Zivilisation – keine leidenden Arbeiter und rauchenden Schlote und vergiftete Gewässer mehr, stattdessen Spaziergänger und spielende Kinder vor Wohnhäusern direkt auf dem Fabrikgelände.
Die Fabrikenlandschaft auf dem Bild hatte einst der Großunternehmer Carl Heine in der Gemeinde Plagwitz geschaffen, eines jener stadtteilgroßen Werkstrukturen des Großkapitals mit eigenem Omnibusnetz und Schienenanschluss, die im Sozialismus nun alles Knechtische der entfremdeten Arbeit verloren zu haben scheinen – so jedenfalls suggeriert es Thieles durchaus nüchtern-sachlich gehaltene Utopie der neuen Industriewelt. Irgendwann war es mit diesem Glauben aber auch in der DDR vorbei, davon zeugen hier Joachim Jansongs Gedenkfotografien für jene zahlreichen Orte, die dem Braunkohletagebau zum Opfer fielen.
Kapitalismus und Sozialismus mit gleichen Zielen
So zeigt sich Industriegeschichte als eine Geschichte der mehr oder weniger gescheiterten Optimierungsversuche. Der Sozialismus hat den Menschen nicht weniger optimieren wollen als der Kapitalismus, oder die digitalisierte Arbeitswelt der Gegenwart, auf die die Ausstellung am Ende eingeht mit Installationen wie von der noch jungen Marie-Eve Levasseur mit ihrer Arbeit über subkutan implantierte Mikrochips, durch die die Grenze von menschlichem Körper und Maschine weiter aufgehoben wird, oder Reiner Jacobs fotografische Serie über die Ausgesonderten, nicht mehr benötigten Arbeitskräfte in der Welt digitaler Optimierung.
Die aktuellen politischen Dimensionen bilden in dieser Geschichte der Industrialisierung eher den Subtext. Weder die Zerstörungen und Demontagen während und nach dem Nationalsozialismus noch die Abwicklung der maroden DDR-Betriebe durch die Treuhand nach 1990 werden in Bildern offen thematisiert – möglicherweise weil Sachsen wirtschaftlich im Gegensatz zu anderen Bundesländern heute denTechnologiewandel zumindest wirtschaftlich gut bewältigt hat.
Doch die Klimadebatte, die Schließung der letzten Braunkohletagebaue und den Aufstieg der AfD liegen gleichsam in der Luft. Erinnerung und Erhalt der Industriekultur in Ostdeutschland sind zweifellos ein Politikum ersten Ranges.