Der sanfte Beobachter
Als "Displaced Persons" haben die westlichen Alliierten die überlebenden Opfer des Nationalsozialismus bezeichnet. Der 93-jährige Clemens Kalischer hat sie in anrührenden Fotografien festgehalten, die nun im Rahmen einer Sonderausstellung im Deutschen Auswandererhaus in Bremerhaven gezeigt werden.
Clemens Kalischers Eltern hätten keinen besseren Vornamen wählen können. Clemens - der Sanfte. Die Ruhe und Sanftheit, die der 93-Jährige heute ausstrahlt, muss er auch schon als junger Fotograf besessen haben. Anders hätten die Bilder nicht entstehen können, die das "Deutsches Auswandererhaus Bremerhaven" für seine Sonderausstellung gekauft hat.
Simone Eick, die Direktorin des Museums hat Clemens Kalischer im Mai kennengelernt, in seiner Galerie in Stockbridge, Massachusetts: "Er ist so unglaublich unprätentiös. Und ich glaube, so hat er auch als Fotograf gearbeitet. Ihm ging es immer nur um das, was er fotografiert, was er sieht. Und er sagt auch selbst: Er hat sich unter die Leute gemischt, und sie haben ihn nicht wahrgenommen. Und ich denke, das sieht man seinen Fotos auch an. Es ist wirklich, als ob er da rein verschwindet und Teil der Szene ist. Und er hat auch immer Kameras verwendet, wo man von oben reinschaut. Er hat nie die Kameras verwendet, die man vorm Gesicht hält. Und ich denke, das ist ganz wesentlich."
Simone Eick, die Direktorin des Museums hat Clemens Kalischer im Mai kennengelernt, in seiner Galerie in Stockbridge, Massachusetts: "Er ist so unglaublich unprätentiös. Und ich glaube, so hat er auch als Fotograf gearbeitet. Ihm ging es immer nur um das, was er fotografiert, was er sieht. Und er sagt auch selbst: Er hat sich unter die Leute gemischt, und sie haben ihn nicht wahrgenommen. Und ich denke, das sieht man seinen Fotos auch an. Es ist wirklich, als ob er da rein verschwindet und Teil der Szene ist. Und er hat auch immer Kameras verwendet, wo man von oben reinschaut. Er hat nie die Kameras verwendet, die man vorm Gesicht hält. Und ich denke, das ist ganz wesentlich."
Simone Eick steht nur ein paar Schritte entfernt von Clemens Kalischer, der zur Ausstellungseröffnung nach Bremerhaven angereist ist. Ein halbes Dutzend Journalisten möchte mit ihm sprechen, aber Kalischer sagt nicht viel: "I don't remember."
Ein stiller Beobachter - abwesend und doch präsent
An vieles kann er sich einfach nicht erinnern, gibt er zu. Außerdem macht ihn die Ausstellungseröffnung nervös. Aber es scheint auch so, als ob der alte Herr seinen Bildern nichts hinzuzufügen hat. Sie sollen erzählen. Und das tun sie. Da ist zum Beispiel eine junge Frau mit dunklen Locken, die ihren Kopf auf einer hölzernen Kiste abgelegt hat und dabei eingeschlafen ist. Eine sogenannte "Displaced Person", eine heimatlose Person, die den Holocaust überlebt hat; vielleicht, nachdem sie Zwangsarbeit in Deutschland leisten musste, vielleicht, nachdem sie in ein Konzentrationslager verschleppt wurde. Nach dem Krieg wollte oder musste sie auswandern – wie weitere elf Millionen. Die junge Frau ist gleichzeitig Inhalt des Bildes und doch abwesend. So ähnlich wie Clemens Kalischer, als er 1947 und 1948 im Hafen von New York umherstreifte und fotografierte.
Tanya Kalischer: "He knew these boats were coming in, so he would just go to watch them."
"Er wusste, wann die Schiffe ankamen. Also ist er hingegangen und hat hingeschaut. So beschreibt es Kalischers Tochter Tanya – wenn er nicht sprechen kann, spricht sie für ihn."
Tanya Kalischer: "He might have spoken with them. But he did not have long discussions. That's not how his photography worked. He would just pass amongst the people, never posing them. Just capturing the moment."
Clemens Kalischer: "They did not notice me even. Just to pass quietly as an observer, quiet observer. I didn't say 'smile!'. Never. I am not that interested in myself. I am focusing on the subject, not on me."
Tanya Kalischer: "Yeah, he has always been behind the camera."
"Manchmal hat er vielleicht ein paar Worte mit den Menschen gewechselt, erklärt die Tochter. Aber lang hat er nicht mit ihnen gesprochen. So hat er einfach nicht gearbeitet. Er war ein stiller Beobachter. Und Kalischer selbst fügt hinzu, dass er oft nicht einmal bemerkt wurde. Abwesend und doch präsent – in der Bilderserie über die „displaced persons" ist diese Technik spürbarer als in anderen Serien. Das hat mit Kalischers eigenem Schicksal zu tun."
Clemens Kalischer: "Durch dieselbe Sache gegangen. Wie das Gefühl ist, wenn man ankommt."
Dem Schicksal der "Displaced Persons" nachgefühlt
Clemens Kalischer war keine klassische "Displaced Person", aber er konnte ihr Schicksal doch genau nachfühlen. Als Zwölfjähriger emigrierte seine jüdische Familie von Berlin nach Paris. Dort wurde er als Deutscher verhaftet und in einem französischen Internierungslager festgehalten. Er musste Zwangsarbeit leisten, 1942 konnte er durch glückliche Umstände in die USA ausreisen. Schnell lernte er - eher zufällig als gewollt – berühmte Fotografen kennen: Paul Strand, Ansel Adams, Henry Cartier-Bresson und die Fotografin Berenice Abbott. Die "New York Times" beschäftigte ihn, ebenso "Life" und "Newsweek". Aber Kalischer hat sein Leben lang kaum Auftragsarbeiten erledigt. Er hat fotografiert, was ihn anzog.
Clemens Kalischer: "Auftrag – kann ich doch nicht machen. Ich weiß doch nicht, was die wollen."
Tanya Kalischer: "A lot of times, he photographed what he was interested in, and then, he went to the New York Times and said: 'I have photographs of this, are you interested?' So he's always followed his interests."
Clemens Kalischer: "They gave me complete freedom."
Tanya Kalischer: "The NYT gave him a lot of freedom to do what ever he wanted."
Kalischer kann es in ein Wort fassen: "Instinkt." So sind eigentlich alle seine Arbeiten entstanden, sagt er.
Stets dem Instinkt gefolgt
Clemens Kalischer: "And it always let me to something important. My antennae knew already where to go. I listened to that. Even if I did not know why I am going this way or that way ... I learnt that there is a reason that I did not know, but it always worked out. I think, our antennae is much better than our everything."
Sein Instinkt hat ihn dorthin geführt, wo es interessant war, sagt er. Darauf hat er blind vertraut, mit offenen Augen. Kalischer hat Menschen in Norditalien fotografiert, die ihre Dörfer verließen, um Geld in der Stadt zu verdienen. Dass sie aufgegeben haben, habe ihn wütend gemacht, sagt er. Er hat Bilder von Musikern gemacht, weil er klassische Musik liebt. Und Bilder von Farmarbeitern – einfach, weil sein Instinkt ihn dorthin führte. Wer die Sonderausstellung über die "Displaced Persons" in Bremerhaven besucht, wird diesen Instinkt spüren und Schicksale und Lebensgeschichten mit nach Hause nehmen. Kalischers Bilder machen aus den Millionen "Displaced Persons" Individuen.