Ausstellung "Die Erfindung der Pressefotografie" im DHM

Von der Bildmanipulation bis zur Fotoreportage

Die Ausstellung kann bis zum 31. Oktober 2017 besucht werden.
Eine Besucherin steht in der Ausstellung "Die Erfindung der Pressefotografie. Aus der Sammlung Ullstein 1894-1945" im Deutschen Historischen Museum in Berlin. © picture alliance / Jörg Carstensen
Von Christiane Habermalz |
Vor 100 Jahren hielt die Fotografie Einzug in die Zeitungen. Verbunden sind damit eines der ersten Paparazzi-Bilder des abgedankten Kaisers und Fotos, die mit Tusche und Schere nachbearbeitet wurden. Das Deutsche Historische Museum in Berlin zeigt eine lohnende Ausstellung darüber.
Es war ein wichtiges politisches Bild in einer stürmischen Zeit. Während im Januar 1919 in Berlin streikende Arbeiter und bewaffnete Regierungstruppen um die Vorherrschaft auf den Straßen kämpften, schoss ein holländischer Fotograf ein Foto des abgedankten Kaisers im Exil: Ein müder, alter Mann in Zivil, der im Park von Schloss Amerongen spazieren ging.
Gleichzeitig ist es eins der ersten Paparazzi-Bilder: Der Fotograf hatte sich in einem Heuwagen versteckt, um mit seiner Kamera über die Parkmauer hinweg knipsen zu können - der Fotograf als Journalist. Das Foto wurde in zahlreichen Zeitungen abgedruckt, auch in der "Berliner Illustrirten Zeitung", kurz BIZ, die seit 1894 im Ullstein-Verlag erschien. Die BIZ war das erste Massenblatt in Deutschland, und sie setzte von Anfang an auf die Macht von Bildern. Die Bedingungen waren günstig.
"Zum einen kam die Pressefotografie auf. Es entwickelten sich erfolgreiche Fotografen und Agenturen. Es entwickelte sich Berlin zur Metropole, auch zur Medienmetropole. Und es entwickelte sich der Ullstein-Verlag, der von Anfang an die enge Zusammenarbeit mit Fotografen aktiv suchte",
erzählt Katrin Bomhoff vom Ullstein-Bild-Archiv. Gemeinsam mit Carola Jüllig vom Deutschen Historischen Museum hat sie die Ausstellung kuratiert.

Mit Pressefotografie begann Bildredaktion

345 Bilder werden in Original-Abzügen gezeigt – ein Ausschnitt der Pressefotografien, die in der Zeit zwischen 1894 und 1945 in der Berliner Illustrirten Zeitung gedruckt wurden. 1930/31 erreichte sie eine Auflage von fast zwei Millionen, sie wurde von breiten Bevölkerungsschichten gelesen, ihr Publikumserfolg basierte in wachsendem Maße auf Bildern, die die Sehgewohnheiten prägten und visuelle Sehnsüchte der Leser bedienten. Sei es der Kaiser und seine Familie in den Medien, sei es der Blick in die Kolonien, seien es bewunderte Sportler, der Blick in die Garderoben von Künstlern und Schauspielern oder auf die ersten Modeschauen. Und, auch das zeigt die Ausstellung: Der Beginn der Pressefotografie war auch der Beginn der Bildredaktion – mit allen Formen der Manipulation und Fälschung.
Raphael Gross: "Plötzlich geht es im Ullstein-Verlag darum, und der von ihm herausgegebenen Berliner Illustrierten, zu überlegen, wie zeigen wir diese Fotos, wie bearbeiten wir sie, auch das zeigt die Ausstellung sehr eindrucksvoll, die Bilder sind also immer beides. Sie sind immer Wahrheit, sie sind aber auch Scheinwahrheit, sie sind irgendwie Aufklärung und auch Propaganda."
Das betont der neue Direktor des DHM, Raphael Gross. Es ist die erste Ausstellung, die unter seiner Leitung eröffnet wird, freilich ohne dass er daran inhaltlich beteiligt gewesen wäre. Die Schau lebt von der Fülle des Ullstein-Bild-Archivs, aus dem sie schöpfen konnte. Die historischen Pressefotos des Verlags, in Originalabzügen oder als Glasnegative, haben den Krieg überdauert. Leider nicht auch das Papierarchiv, sonst könnte man besser nachvollziehen, wie die Entscheidungen über die Bildauswahl in den Redaktionen getroffen wurden, was unter den Tisch fiel und was abgedruckt wurde.

Orginelles Ausstellungsdesign

Doch auch so ist das Ergebnis nicht nur ein außergewöhnlicher Einblick in die Zeitgeschichte, sondern auch darin, wie die Fotografen und die Medien sie sahen und darstellten. So entstanden die ersten Fotoreportagen, durchaus sozialkritisch, über eine Suppenküche für Arbeitslose etwa oder über die Bewohner eines typischen Berliner Mietshauses.
"Man sieht hier die Frau mit dem Kohleneimer, das Ehepaar beim Essen und auch dieser Blick in den Hinterhof mit der trocknenden Wäsche. Das ist in den 20er, 30er Jahren immer mehr ausgebaut worden, also die Bilder werden immer größer und der Text verschwindet immer mehr."
Es ist auch die Zeit der großen Fotografen und Agenturen. Die Foto-Agentur Zander und Labisch, Fotografen wie Erich Salomon, die Gebrüder Haeckel, Nicola Perscheid und Waldemar Titzenthaler prägen die Bildwelten ganzer Epochen.
Anrührend in der Ausstellung: Die Bilder, die der jüdische Fotograf Martin Munkacsi* von der Machtergreifung der Nazis machte. Fast glaubt man, die Ankündigung des nahen Unheils mit seinen Augen zu sehen. 1934 wurde der Ullstein-Verlag zwangsverkauft, danach gleichgeschaltet. Homestorys von Goebbels und Göring als glückliche Familienväter ließen Leserinnenherzen höher schlagen. Ein Foto von jüdischen Gymnasiasten in Lodz wurde mit einer Bildunterschrift versehen, die den Eindruck erweckte, hier bereite sich die junge jüdische Elite auf die Übernahme der Weltherrschaft vor. Der Bildmanipulation – damals noch mit Tusche, Schere und Klebstoff - räumen die Ausstellungsmacher einen extra Raum ein – mit überraschenden Vorher-Nachher-Effekten. Getrickst wurde zu allen Zeiten, und sei es nur, weil der hässliche Mann neben einem Glamour-Girl störte. Kuratorin Carola Jüllig:
"Da sieht man hier ein erobertes Fort im 1. Weltkrieg, und wenn ich dann umblättere ist hier wie durch Zauberhand plötzlich ein Soldat mit einer Pickelhaube ins Bild gekommen, der auf dem Foto gar nicht zu sehen ist. Und da ist natürlich ganz klar, man will hier deutlich machen: Es geht um einen deutschen Sieg."
Eine lohnende Ausstellung. Noch dazu in originellem Design: Die Bilder hängen an einer Endlos-Papierrolle wie in einer Rotationsmaschine, alle Texte sind auf Zeitungspapier gedruckt, in der Mitte aufgetürmte Zeitungsstapel, an denen die Geschichte der Zeitung und des Ullstein-Verlags dargestellt wird. Und der schon früh erkannt hat: Wer die richtigen Bilder hat, dem gehört die Welt.
*) In einer früheren Version haben wir den Namen des Fotografen falsch geschrieben. Tatsächlich handelte es sich um Martin Munkacsi, der die Bilder von der Machtergreifung der Nationalsozialisten schoss. Außerdem haben wir eine Passage ergänzt, die in der ersten Fassung versehentlich fehlte.