Die Liste der Gottbegnadeten. Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik
Ausstellung im Deutschen Historischen Museum Berlin
27.8 – 5.12.2021
"Die Stunde Null im kulturellen Bereich gab es nicht"
07:50 Minuten
Wer als Künstler im Nationalsozialismus auf der "Liste der Gottbegnadeten" landete, genoss zahlreiche Privilegien und machte nach Kriegsende bruchlos weiter. Das zeigt jetzt eine Ausstellung im Deutschen Historischen Museum Berlin.
Die Nazis führten eine Liste der sogenannten Gottbegnadeten. Sie enthält 378 Namen von Schriftstellerinnen, Komponisten, Künstlern und Theaterregisseurinnen. Diese Liste aus dem Jahr 1944 hat es wirklich gegeben, erklärt der Kunstkritiker Carsten Probst. Wer auf dieser Liste war, der bekam Privilegien.
Einen großen Teil habe Adolf Hitler selbst ausgewählt. Manche seien jedoch auf die Liste gekommen, weil sie gute Kontakte in die Führungsebene hatten oder Reichspropagandaleiter Joseph Goebbels "den deutschen Expressionismus als NS-konform betrachtete".
"Die Gottbegnadeten" seien vom Kriegseinsatz befreit gewesen, auch die Heimatfront sei ihnen erspart geblieben. Außerdem hätten sie etwa Steuererleichterungen bekommen. "Es war eine privilegierte Position", sagt Probst.
Zum Look der Nazis beigetragen
Mit genau solchen Karrieren befasst sich das Deutsche Historische Museum (DHM) in Berlin in der neuen Ausstellung "Die Liste der ‚Gottbegnadeten‘. Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik".
Der Kunsthistoriker Wolfgang Brauneis zeigt in der Ausstellung des DHM an einigen markanten Beispielen, wie diese "Gottbegnadeten" im Zentrum des NS-Kunstbetriebs standen und nach 1945 in der Bundesrepublik weiter Karriere machen konnten. Sie haben Werke für den öffentlichen Raum geschaffen, in Kunstakademien gelehrt, wichtige Aufträge vom Staat, der Wirtschaft und von den Kirchen bekommen.
Viele der bildenden Künstler kenne man auch heute noch, wie "die monumentalen Bildhauer" Arno Breker und Joseph Thorak oder den expressionistischen Bildhauer Georg Kolbe, sagt Probst. Andere wiederum wie Werner Peiner, Richard Scheibe, Willy Meller, Adolf Wamper oder Hermann Kaspar seien völlig vergessen. Aber ihre Werke seien nach wie vor in der Öffentlichkeit zu finden.
"Der Begriff ‚Gottbegnadeter‘ ist typische NS-Propaganda." Die Nazis hätten sich dabei beim Geniekult des 19. Jahrhunderts bedient. "Es gibt eigentlich keinen richtig einheitlichen Stil, der sie verbindet", so Probst weiter. Und es gebe nicht die eine klischeehafte NS-Kunst, "also muskulöse Titanen und blonde Arbeiterinnen", vielmehr eine "stilistische Flexibilität".
Sie alle verbinde, dass sie ihren Beitrag "zum Look, zur Visualisierung der nationalsozialistischen Ideologie geleistet haben", sagt der Kurator in der Auftaktveranstaltung. Außerdem hätten sie sich angepasst:
"Eine Arbeit von Arno Breker oder Werner Peiner aus den späten 20er-Jahren sieht anders aus als in den frühen 40er-Jahren, sieht anders aus als in den späten 50er-Jahren."
Professur trotz NS-treuer Kunst
Nach Kriegsende hätten die Künstler ihre Formsprache zwar verändert, wirft Probst ein. Erstaunlich sei aber, dass sie sich "gar nicht so sehr verbiegen mussten". Bei den Bildthemen seien sie sich häufig treu geblieben: antike Mythologie, abendländische Symbolik, gefallene Soldaten und trauernde Mütter.
Ein anschauliches Beispiel dafür sei Hermann Kaspar, erzählt Brauneis. Kaspar war im Nationalsozialismus Bildhauerei-Professor an der Kunstakademie in München. Er habe Hitlers damalige neue Reichskanzlei und sogar sein Arbeitszimmer gestaltet.
In den 1960er-Jahren habe Kaspar einen Wettbewerb für einen großen allegorischen Wandgobelin für die Meistersingerhalle in Nürnberg gewonnen. Die Halle stehe mit seinem Glas-Beton-Bau sinnbildlich für die demokratische Bundesrepublik. Sie befindet sich unmittelbar neben dem Reichsparteitagsgelände. Als er den Wettbewerb gewann, habe man dort noch seine zuvor gestalteten Hakenkreuzmosaike im öffentlichen Raum gesehen.
Brauneis spricht von einem "Zeitgeschmack", der bis in die 1970er-Jahre bestanden habe. Probst hingegen will diese Kontinuität und Blindheit nicht nur auf diesen Zeitgeschmack schieben. Vielmehr hätte das Nachkriegsdeutschland Künstlerinnen und Künstler als "Opfer des Nationalsozialismus" gesehen.
"Es war eben noch die Zeit vor dem Eichmann- oder dem Auschwitz-Prozess." Adolf Wamper habe für eine Bewerbung für eine Professur "sein gesamtes Oeuvre aus der NS-Zeit" gezeigt und habe trotzdem die Stelle bekommen.
Die Ausstellung zeige somit klar, wie die NS-treuen Künstler sich auch in der Bundesrepublik darauf verlassen hätten können, weiterhin ihre Karriere fortzusetzen. "Diese Stunde Null im kulturellen Bereich gab es nicht", meint Probst.
(sbd)