Die verführerische Macht von Konsumartikeln
Es weihnachtet. Damit beginnt die heiße Phase des Konsums. Ausgerechnet jetzt, wo viele konsumkritisch den Zeigefinger heben, frönt die Kunsthalle Münster ganz offen der "Liebe zu den Dingen".
Sylvie Fleury war shoppen in Dallas. Jetzt stehen ihre gefüllten Einkaufstüten von Edeldesignern und Luxus-Parfümeuren auf einem Sockel unter Glas. Verheißungsvoll locken die Namen, vielversprechend ragen goldglänzende Verpackungen aus den Tüten – ein Altar, angefüllt mit den Göttern unserer Zeit. Fleury, deren Werk immer wieder um den Fetischcharakter von Konsum und Kunst kreist, nennt ihre Arbeit "Dallas True Religion", wobei "True Religion" auch der Name eines Mode-Labels ist.
Werke von sechs Künstlerinnen und sechs Künstlern umfasst die Ausstellung, und es überrascht, wie unterschiedlich diese mit der "Liebe zu den Dingen" umgehen: Sie enthüllen ironisch, spielerisch oder bitterböse die verführerische Macht bestimmter Konsumartikel und glänzender Oberflächen. Andere wenden sich sehr privaten Dingen zu.
Kuratorin Gail Kirkdouglas: "Die ersten Kinderschuhe. Oder das Bild, das man im Kindergarten gemalt hat. Oder auch der Ehering. ... Unsere Ausstellung versucht, diese Emotionalität ... aufzugreifen. Manchmal sind das haptische Momente, Dinge, die unsere Erinnerung auch wecken."
In einem großen Raum installierte der französische Künstler Al Masson eine umlaufende Holzleiste mit Haken. An den Haken hängen zahlreiche Handtücher. Man hat den Raum noch gar nicht richtig betreten, da wähnt man sich schon in dem muffig-verschwitzten Umkleideraum einer Turnhalle, wo einst das Handtuch nach dem Sportunterricht das einzige war, was auf dem Weg zur Dusche vor neugierigen Blicken schützte.
Ein alter VW-Käfer als "Gefühlsmaschine"
Entspannter geht es bei dem thailändischen Künstler Surasi Kusolwong zu. Er verwandelte einen ausgeschlachteten VW-Käfer in eine "Gefühlsmaschine": Kopfüber an Stahlseilen von der Decke hängend und mit Kissen und Polstern zum Relaxen und Schaukeln einladend, liegen auf dem Boden die Sitze, Achsen, Räder und Radkappen des Autos.
Kuratorin Susanne Düchtling: "Wichtig ist ... die Frage: "Wie werden Emotionen erzeugt?" Wir alle erinnern uns an den VW-Käfer. Es gibt Filme dazu. Jeder hat private Erinnerungen. Es gibt auch eine besondere Geschichte mit dem VW-Käfer, gerade in Deutschland, ... also als KdF-Wagen. ... Und es mischen sich Alltagskultur und Kunst. Es mischen sich Emotionen aber auch Maschinen. ... Also: Es werden Emotionen erzeugt auf vielfache Art und Weise."
Das zeigt auch die Kölner Künstlerin Alexandra Bircken: Ihre großen Arbeitsplatten hängen wie kostbare Objekte an der Wand und locken mit edel gemaserten Oberflächen. Guckt man genau hin, erkennt man an den Schnittstellen, dass die vermeintlich luxuriösen Holzplatten nur aus Resopal bestehen – ein gelungenes Sinnbild für die verführerische Macht des schönen Scheins.
Dass die Liebe zu Dingen auch abgründig sein kann, erfährt man vor Wiebke Bartschs Vitrinenschrank, den die Künstlerin bei einem Trödler fand – einst geliebt, dann weggegeben. Hinter der rechten angelehnten Flügeltür verbirgt sich die fast lebensgroße Puppe einer alten Frau, auf deren Schoß eine Kinderzeichnung liegt, hinter der linken Tür hängen Textilgebilde, die an Gurken oder Penisse erinnern.
Die böseste Arbeit kommt völlig harmlos daher
Aus der Rückwand des Schranks wuchern Brüste. Und im Mittelteil stehen Einweckgläser mit undefinierbarem Inhalt, einiges erinnert an Füße und Tierpfoten, anderes an Bommel von einer Mütze. Eingeweckte Erinnerungen, die, so Susanne Düchtling:
"... vielleicht auch ein Eigenleben weiterführen. Also es ist vielleicht die Liebe zu den Dingen, die auch ins Unheimliche – also weg vom Heimeligen ins Unheimliche – umschlagen kann. Man hat mythische Bezüge, Märchenbezüge, weiß aber nie so genau: Ist das jetzt lustig, oder ist das eher gruselig? Das kommt auch immer auf den persönlichen Erfahrungshorizont an, den man da mitbringt."
Die böseste Arbeit aber kommt völlig harmlos daher: Inmitten der zentralen Ausstellungsfläche steht ein großer weißer Kubus. Auf einer Seite gibt ein niedriger Eingang den Blick frei in sein Inneres. Aufgebockt auf einem rostigen Podest steht dort ein künstlicher, mit bunten Weihnachtskugeln behängter Weihnachtsbaum.
Gail Kirkdouglas:"Ein Objekt, die wir alle lieben. Aber ich glaube, Mitte Januar geht das in eine Hassliebe über. Wie heißt das so schön auf Deutsch: Weihnachtskoller?"
"Zimmer mit Weihnachtsbaum" nennt Roman Signer seine Installation scheinheilig. Denn wie so oft bei dem Schweizer Künstler mündet auch diese Arbeit in einem hintersinnigen Akt der lustvollen Zerstörung enervierender und uns beengender gesellschaftlicher Rituale: Die Tanne nämlich wird sich nach Eröffnung der Ausstellung in hohem Tempo um sich selbst drehen, dabei all ihren glitzernden Schmuck von sich schleudern, die Kugeln werden an den Wänden und auf dem Boden zersplittern – der Baum aber wird dastehen von allem Ballast und aller vermeintlichen Liebe zu den Dingen befreit!