Selfies im Bällebad und zwischen Watte-Wölkchen
Die "Dream Machine" im New Yorker Hipster-Viertel Williamsburg ist irgendetwas zwischen Ausstellung und Vergnügungspark für Selfie-Versessene. Thomas Reintjes war dabei - und blieb etwas ratlos zurück.
Mit einer Hebebühne wird letzte Hand angelegt an die Fassade eines neuen Hotels. An jeder Ecke kann man überteuerte Schokolade oder Kaffee kaufen. Ich bin in der Mitte des Hipster-Viertels von Williamsburg in Brooklyn. Das Gebäude, vor dem ich stehe, scheint der Gentrifizierung bisher aber widerstanden zu haben. Ein altes, einstöckiges Industrie-Gebäude, darin: die Dream Machine.
"Hi guys, may I have your attention please? Welcome to the dream machine!"
Fotos machen erlaubt
Die Konsens-Popmusik ist so laut, ich kann die Mitarbeiterin kaum hören, die mich und die anderen Leute in der Warteschlage begrüßt, bevor wir als nächste Gruppe eingelassen werden. Sie gibt das WLAN-Passwort durch und weist nochmal darauf hin, dass Fotos machen erlaubt ist. Wir gehen in den ersten Raum. An den Wänden Lichterketten. Im Raum hängen große weiße Wattewolken. Ich versteh's erstmal nicht.
Aber weil gleich alle anfangen zu fotografieren, mach ich halt auch mal ein paar Fotos. Und bin erstaunt: Auf den Bildern sehen die Wolken gar nicht mal so unecht aus. Und darum geht's ja schließlich. Die Dream Machine will mich nicht in eine perfekte Illusion versetzen, sondern mir nur Kulissen bieten – für die Inszenierung meiner selbst. Beliebte Selfie-Posen: Wolke anknabbern oder mit dem Kopf auf der Wolke schlummern. Im nächsten Raum schweben mit Rauch gefüllte Seifenblasen umher. Dann finden wir uns in einem nachgebauten Waschsalon wieder.
Pinke Zuckerwatte in pinker Neon-Beleuchtung
"Welcome to the laundromat, guys. We're gonna make some fresh cotton candy for you."
Es gibt pinke Zuckerwatte in pinker Neon-Beleuchtung. Manche posieren in mit weißen Socken gefüllten Wäschekörben. Dann eine echte Überraschung: Zwei der Waschmaschinenattrappen sind eine Geheimtür. Dahinter liegt ein vollverspiegelter Raum. Darin hängen kleine LEDs, die ihre Farbe wechseln. Schwer zu sagen, wo der Raum aufhört und die Spiegelungen anfangen. Endlich eine wirkliche Illusion, die der Unendlichkeit. Perfekt ist sie nicht und leider dann doch nur ein Abklatsch der Infinity Mirror Räume von Yayoi Kusama. Bei der japanischen Künstlerin ist der Boden eine spiegelnde Wasserfläche, hier klebt er von Zuckerwatte.
"Welcome to what we call 'no diving'. Take the time to take off your shoes..."
Der Höhepunkt der Dream Machine: ein komplett blauer Raum mit einem Bällebad. Schuhe aus und wichtiger Tipp: Handy auf volle Lautstärke, damit man es anrufen kann und wiederfindet, wenn es in die Bälle fällt. Und ich muss sagen, hier einzutauchen macht Spaß. Und es ist sogar eine Illusion, die im Radio funktioniert: Die weichen Plastikbälle klingen wie Wasser.
Ein paar weitere bunte Räume, dann stehe ich im Souvenirshop und schließlich wieder draußen auf dem Gehweg. Eine halbe Stunde habe ich in der Dream Machine verbracht. Hätte ich keine Pressekarte gehabt, hätte mich das Erlebnis umgerechnet mehr als 30 Euro gekostet. Ich bin überzeugt: Jeder, der hier rauskommt, wird enttäuscht sein, vermute ich.
Interaktiv und tatsächlich "traum-haft"
Jedoch: "It was definitely a dream-like experience. - And every room was different, so that was really nice. - I think it was beautiful. The art was really nice. - It was really fun. Interactive. - It was really cute and interactive. It was very trippy sometimes, but we really enjoyed it."
Tatsächlich Begeisterung: Es sei so interaktiv gewesen und tatsächlich traum-haft. Vielleicht liegt es daran, dass die meisten maximal halb so alt sind wie ich. Als ich wieder im Büro bin, habe ich das Bedürfnis mit jemand über die Dream Machine zu sprechen, der vielleicht eine differenziertere Sicht darauf hat.
Am Telefon erzähle ich Nicholas Bell, was ich erlebt habe. Er ist Kurator im Schifffahrtsmuseum Mystic Seaport in Connecticut. 2015 war er für eine Ausstellung verantwortlich, die ungeplant zum Instagram-Hit wurde und so ungeahnte Besuchermassen anzog. Seitdem ist Bell Verfechter von Handynutzung im Museum. Aber bei der Dream Machine fehlt ihm dann doch die Substanz.
Nicholas Bell: "Was Sie beschreiben klingt, als gäbe es viele Leute, für die der Wert darin liegt, dass sie eine Erzählung kreieren. Die ist das wirkliche Endprodukt des Erlebnisses."
Erzählen schlägt Erleben
Das Erzählen über das Erlebnis ist wichtiger als das Erlebnis. Ein bisschen wie damals die unvermeidlichen Dia-Abende nach dem Urlaub. Nur, dass man den Urlaub nicht allein deshalb gemacht hat, um die Dias zeigen zu können. Trotzdem bringt es Nicholas Bell zum Nachdenken darüber, wie die Besucher seines Museums ihre Erfahrungen in sozialen Medien teilen.
Nicholas Bell: "Ich glaube, wir können von Dingen wie der Dream Machine eine Menge lernen. Das abzutun und nicht ernst zu nehmen wäre eine vertane Chance zu verstehen, wie Menschen ihre Werte kommunizieren."