"Durch Mauern gehen" ist bis 19. Januar im Berliner Gropiusbau zu sehen.
Mit Schicksalen aufgeladen
05:51 Minuten
Zum 30. Jahrestag des Falls der Berliner Mauer untersucht eine Ausstellung im Gropiusbau, was Teilung, Spaltung und Sprachlosigkeit mit Menschen macht. Eine der künstlerischen Botschaften: Wer miteinander redet, tötet nicht.
Näher dran kann man der Geschichte kaum sein. Der Berliner Gropiusbau steht an der alten Mauerlinie. Direkt daneben erinnert die Topographie des Terrors an die Nazi-Verbrechen, die hier geplant wurden.
Hier singen jetzt Migranten in verschiedenen afrikanischen Sprachen die deutsche Nationalhymne. Der nigerianische Künstler Emeka Ogboh, der schon auf der letzten documenta vertreten war, hat diese Stimmen gesammelt und sie in eine Mehrkanal-Installation gebracht. Es singen Menschen die aus afrikanischen Ländern nach Deutschland gekommen sind und – zumindest für eine gewisse Zeit – Mauern überwunden haben.
Immer blickt man dabei aus den Ausstellungsräumen nach draußen, auf die alte Mauerlinie. Besonders beeindruckend wird das Wechselspiel zwischen Außen und Innenraum bei der aus Tunesien stammenden Künstlerin Nadia Kaabi-Linke. Sie hat den Schattenumriss eines Wachturms so auf die Wand gesprüht, dass man glauben muss, das sei der echte Schatten eines Grenzturms aus Mauerzeiten. Fast unweigerlich läuft man zum Fenster und schaut zu Sicherheit noch mal nach.
Niemand traut sich in den Raum
Währenddessen sind vom New Yorker Künstler Fred Sandback raumhoch schwarze Acrylfäden wie Rahmen gespannt. Es sind nur Fäden - und dennoch traut sich niemand, den Rahmen zu durchsteigen.
Mit einem alten Filmapparat zeigt der venezolanische Künstler Javier Tellez unterdessen Schattenspiele von Geflüchteten, die ihre eigenen Fluchtgeschichten erzählen. Dabei geht es nicht um die Gründe ihrer Flucht, sondern um die oft unwürdige Behandlung am Zielort. Angefasst werden sie nur mit Gummihandschuhen. Wie Aussätzige.
Kurator Sam Baradaouil hat eine beeindruckende, sehr plastische, kraftvolle Schau zusammengestellt, die ganz unmittelbar wirkt und eine immense politische Kraft hat.
"Der Fall der Berliner Mauer war ein Signal für das Ende von vielen Trennungen. Diese Ausstellung erinnert daran: So schnell wie Mauern fallen, können sie auch wieder aufgebaut werden. Wir sollten versuchen, das zu verhindern."
Es geht auch um das Nichtverstehen
Er hat selbst Erfahrungen mit Mauern gemacht. Sam Baradaouil ist im Libanon des Bürgerkriegs aufgewachsen.
"Damals - während des Bürgerkriegs - verlief die Demarkationslinie in Beirut mitten durch die Stadt. Wir wohnten unweit. Manchmal stieg ich mit meiner Mutter auf einen Hügel und schaute auf die Mauer. Ich wusste: Die andere Seite ist gefährlich, überall Scharfschützen."
Aber es geht hier im Berliner Gropiusbau nicht nur um sichtbare Grenzen und Mauern. Um direkte Gefahren für Leib und Leben. Der brasilianische Künstler José Bechara zeigt eine Grenze auf, die unsichtbar zwischen Menschen verläuft. Die Grenze des Nichtverstehens.
Ungemütliche Konversation
Er wiederum zwingt uns zu reden. Dafür klemmt er in einer überdimensionierten geometrischen Anordnung zwei Stühle zwischen mehrere Tische. So verkantet, dass diese Stühle nirgendwo hin bewegt werden können.
Bechara spricht von einer sehr ungemütlichen Konversation, denn sie ist unvermeidbar. Seine Botschaft ist einfach: Wer redet, tötet nicht. Eine unendliche Konversation, ein ewiger Frieden. Und manchmal ist das Reden über Grenzen hinweg das Einzige, was Freunde und Familie noch verbindet.
Am Ende dieser mit Schicksalen so aufgeladenen Ausstellung nimmt die israelische Künstlerin Smadar Dreyfus uns mit in einen komplett dunklen Raum, in dem nur die Stimmen syrischer Drusen zu hören sind. Die einen auf der syrischen, die anderen auf der israelischen Seite, auf den Golanhöhen. Sie rufen sich über riesige Soundapparate gute Wünsche zu.
Es ist ein fernes, ein tragisches Gespräch. Aber sie hören gegenseitig ihre Stimmen und fühlen sich nahe, wenn auch nur für Momente.