Heute sind es so 20-jährige Mädchen, 25-jährige Mädchen, die ganz weit nach vorne gehen mit den digitalen Medien und da völlig neue Regeln aufstellen, die alten Schönheitsnormen brechen und ein ganzes Kaleidoskop aufmachen an Möglichkeiten weiblicher Mode und Schönheit.
Modefotografie-Ausstellung in Lübeck
Starre Inszenierungen des männlichen Blicks durchbrechen: Lana del Rey von Ellen von Unwerth fotografiert. © Ellen von Unwerth, 2012
Der weibliche Blick bringt Frauen in Bewegung
05:50 Minuten
Über lange Zeit wurden Models in starren Posen abgelichtet: Alles sollte perfekt sein. Erst mit dem weiblichen Blick kam Bewegung in die Modefotografie. Die Ausstellung „Female View“ in der Lübecker Kunsthalle St. Annen rückt diesen nun in den Fokus.
In schnell geschnittenen Szenen und knisternden Schwarz-Weiß-Bildern lockt ein nackter Vamp in Pelzmantel und hohen Lederstiefeln den Betrachter, löst zwischendurch spielerisch angelegte Fesseln, greift dann eine Kamera, hält sie auf den Betrachter – entlarvt ihn als Voyeur.
Das kurze Video von Ellen von Unwerth – Entdeckerin von Claudia Schiffer und eine der erfolgreichsten Modefotografinnen – läuft in Endlosschleife im ansonsten leeren Ausstellungsfoyer und entpuppt sich schnell als programmatisch für das ganze Projekt "Female View".
Denn, so Museumsleiterin Antje-Britt Mählmann: „Das ist einfach auch eine Art von Wiederaneignung, weil es nicht ein Mann ist, der die Frau darstellt auf eine Weise, die sie irgendwie sexuell provozierend macht, sondern es ist eine Frau, die sich diese ganzen Rollenspiele wieder aneignet, die auch ihre Models immer als sehr ermächtigte Persönlichkeiten zeigt. Die Frau im Video hat das ganze Geschehen im Griff.“
Spiel mit Geschlechterrollen
Das haben auch die Modelle auf den Fotos: Sie mimen den Clown, schlürfen in provozierend-berstendem Dekolleté genüsslich Spaghetti, stemmen lässig Felsbrocken in die Luft, spielen mit Geschlechterrollen oder geben ironisch das coole Cowgirl.
Chronologisch über drei Stockwerke verteilt zeigt die Ausstellung, auf wie vielfältige Weise die Fotografinnen mit den absurd-starren Inszenierungen, Klischees und Schönheitsidealen des bis heute toxisch-männlichen Genres brechen. Sie arbeiten von Anfang an mit einem weiblichen Blick, der in der großartigen Ausstellung wirklich als Befreiung körperlich spürbar wird.
Normen der Darstellung aufgebrochen
Das beginnt schon in den 1920er-Jahren. Die erfolgreiche jüdische Fotografin Yva etwa, die später von den Faschisten ermordet wird, fotografierte als eine der ersten ihre sportlich-durchtrainierten Modelle draußen und in Bewegung.
„Das ist schon etwas, was Normen der Darstellung von Frauen auch aufbricht“, sagt Mählmann. „Also Frauen waren immer recht statisch. Sie sind dann in Ballkleidern oder eleganten Kostümen unterwegs und sehen immer perfekt aus. Da gibt es keine Bewegung in den Bildern. Und das ist schon mal ein ganz wichtiger Schritt, dass der Frauenkörper in dieser Bewegung sein darf.“
Die Amerikanerin Lee Miller, erst selbst Modell, dann Mode- und berühmte Kriegsfotografin, holte 1941 die Wirklichkeit in die Modefotografie: Sie zeigt ihre Modelle in Londoner Kriegsruinen oder lässt sie zuversichtlich in einen Himmel mit Aufklärungsflugzeugen blicken.
Neue Möglichkeiten dank digitaler Technik
Ab den 60er-, 70er-Jahren sind es Künstlerinnen wie Sarah Moon, Alice Springs, später Bettina Rheims oder DDR-Fotografinnen wie Sibylle Bergemann und Ute Mahler, die in ihren Inszenierungen immer auch gesellschaftliche Auf- und Umbrüche spiegeln, den Kampf um Emanzipation und Selbstermächtigung.
Vieles entstand für die großen internationalen Magazine und Modelabels, doch anders als bei den Herren des Genres wurden diese Arbeiten bisher kaum in Museen gewürdigt. Die männlichen Seilschaften funktionieren noch immer. Doch ließen und lassen sich die Frauen dadurch nicht bremsen. Erst recht nicht angesichts digitaler Möglichkeiten!
Schön ist das Unperfekte
Gegen die tägliche Flut von Selfies in billigen Promi-Posen präsentieren sie Diversität in jeder Hinsicht: Ob androgyne Spielchen, eine alte schwarze Frau mit runzligem Gesicht, ein Mädchen mit schiefen Zähnen, ob trans oder queer – alles ist möglich, und schön ist das Offene und das Unperfekte.
Mit Erfolg, so Kuratorin Antje-Britt Mählmann: „Einige der jungen Frauen arbeiten auch für ‚ID‘, ‚Vice‘, also die jungen und alternativen Zeitschriften, teilweise aber auch für die ‚Vogue‘. Die werden dann so entdeckt und ausprobiert, wie es im Kunstbereich eigentlich ganz ähnlich ist, man tastet sich so ran. Aber eine Künstlerin hier in der Ausstellung, Nadine Ijewere, die ist wirklich sehr jung und die ist die erste schwarze Künstlerin, die ein Vogue-Cover hatte. Also das ist wirklich erst im 21. Jahrhundert passiert.“
Manchmal vergisst man fast, dass es sich um Bilder für das Milliardengeschäft „Mode“ handelt. So gelingt es, Amber Pinkerton, die Wurzeln in Jamaika hat, sogar, politischen Aktivismus aufblitzen zu lassen: Sie castet ihre Modelle in der eigenen Community, macht deren Lebensentwürfe sichtbar.
Wenn sie dann eine Gruppe junger Menschen mit Afro-Look direkt auf den Betrachter zurennen lässt, wirkt das, als wolle sie ein für alle Mal klarstellen: Diese Generation wird sich im Kampf um Teilhabe und soziale Gleichheit nicht mehr aufhalten lassen.