"Gehorsam"
Jüdisches Museum Berlin
Vom 22. Mai bis 13. September 2015
Zwischen Vaterliebe, Gottvertrauen und Unterwerfung
Warum führt Abraham seinen Sohn zur Schlachtbank? Warum unterwirft sich der Vater Gottes Willen? "Gehorsam" haben der Filmemacher Peter Greenaway und die Dokumentarkünstlerin Saskia Boddeke ihre Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin genannt und schlagen einen Bogen von der biblischen Geschichte bis in die Gegenwart.
Abraham und Isaak. Der Vater, der seinen eigenen Sohn bereit ist zu opfern. Der Sohn, der zur Schlachtbank geführt wird, dabei arglos fragt: Wo ist denn das Lamm, das wir opfern sollen? Grausam der Gott, der solch ein Opfer von einem Vater verlangt. Und doch zögert Abraham in der biblischen Erzählung nicht, sein einziges Kind zu schächten. Oder doch? Im Vorfeld ihrer Ausstellung haben der Filmemacher Peter Greenaway und die Dokumentarkünstlerin Saskia Boddeke Kinder und junge Erwachsene auf der ganzen Welt aufgefordert, ihnen ein Handyfilmchen zu senden, in dem sie sich mit Isaak zu identifizieren. Potenzielle Isaaks, verletzlich, selbstbewusst, herausfordernd.
Anders als in der Bibel, in der Abraham, der von Gott Geprüfte, im Mittelpunkt steht, rücken Boddeke und Greenaway Isaak, das Opfer in den Mittelpunkt des Geschehens. Und sie übertragen sein Leid auf die Gegenwart mit all ihren Kriegsschauplätzen: Isaaks, so die Botschaft, gibt es überall, bis heute. Doch auch Abraham, der unfreiwillige , hadernde oder auch willige, gottesgläubige Täter, sei eine aktuelle Figur, erklärt die Multimedia-Künstlerin Saskia Boddeke.
"Ich möchte, dass wir, die Erwachsenen, uns mit ihm identifizieren. Wir geben dem Kind einen sehr prominenten Platz, indem wir es sagen lassen: Ich bin Isaak. Und damit zeigen, worauf Abraham sich mit seiner Tat einlassen muss. Aber am Ende wird jeder gefragt: Bist du ein Abraham?"
"Gehorsam" haben der Filmemacher Peter Greenaway und die Dokumentarkünstlerin Saskia Boddeke ihre Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin genannt - wohl wissend um den Beigeschmack, den dieses Wort zwangsläufig in Deutschland hat, wo man unwillkürlich in Gedanken den "Kadaver" voranstellt. Die Konnotation ist gewollt - wie auch alle anderen Konnotationen und Bilder, die diese wohl komplexeste biblische Geschichte heraufbeschwört: Macht und Gehorsam, Vaterliebe und Verzweiflung, Gottvertrauen und Unterwerfung.
In allen drei Buchreligionen ist der Mythos von Abraham und Isaak, oder arabisch Ismael, zu finden, er ist ein religiöses Leitthema und Gegenstand zahlloser Interpretationen. Die Ausstellung schöpft aus dem reichen Fundus von Kunstgeschichte und religiöser Deutung. Im Zentrum zwei monumentale Kunstwerke: Caravaggios Gemälde "Die Opferung Isaaks" und Rembrandts gleichnamiges Werk. Caravaggio zeigt die Tat Abrahams als einen grausamen, rohen Akt: Der gebundene Isaak von des Vaters Hand brutal niedergedrückt, das Gesicht in Angst und Schmerz verzerrt. Rembrandt dagegen malt den Vater in großer seelischer Not, in einer psychischen Extremsituation.
Ritt durch die Kulturgeschichte
Greenaway: "Wenn Sie durch die Ausstellung laufen, sehen Sie: Es gibt viele Deutungen dieser Szene, nicht nur eine. Abhängig von Zeit, Ort, Umgebung, von deiner Geschichte, deiner Herkunft oder deinem politischem Background. Jede Generation hat eine eigene Interpretation."
Doch die Ausstellung bietet weit mehr als einen Ritt durch die Kulturgeschichte. Greenaway, bekannt durch Filme wie "Der Koch, der Dieb, der Liebhaber und seine Frau" mit ihrer bizarr-schönen Bild-Ästhetik, setzt ganz auf die visuelle Kraft der Bilder. Zusammen mit der eigens komponierten Filmmusik von Luca D'Alberto entwickeln die Installationen eine Wirkungsmacht, der man sich kaum entziehen kann.
Da zeichnet in Großaufnahme die Feder eines Thoraschreibers langsam hebräische Schriftzeichen auf Papier, die Geschichte Isaaks. Dahinter tauchen, nur schemenhaft, kurze Bilder auf: Ein Vater spielt mit seinem Sohn, fängt ihn, wirft ihn in die Höhe, trägt ihn davon. Ein harmloses Spiel, oder ein Akt der drohenden Gewalt?
Jeder Protagonist dieses menschlichen Dramas erhält seinen eigenen Raum. Der verzweifelte Vater, die Mutter, die ihr Kind nicht schützen kann, aber auch Engel und Satan: Letzterer ein Transvestit mit langem roten Haar und schwarzer Federboa, der sich verzehrt vor Sorge um den kleinen Isaak. "Dein Vater will dich umbringen!" flüstert er dem Jungen zu. Der klatscht ihm spielerisch auf die Wangen. Der Boden ist bedeckt mit Kieselsteinen, rot angestrahlt wie Lava, schwer und geräuschvoll muss sich der Besucher seinen steinigen Weg bahnen.
Am eindrucksvollsten aber: das wahre Opfer: Der Widder, den Abraham am Ende anstelle seines Sohnes tötet. In Großaufnahme ist das Tier in einem weiß gekachelten Raum an die Wand geworfen. Unruhig, die Augen weit geöffnet, tippelt es angstvoll hin und her, kurze eingeblendete Schlachtszenen geben Hinweise auf sein Schicksal. Gemordet werden wird immer, so die Botschaft, und sei es ein Schaf. Damien Hirsts "Widder mit den goldenen Hörnern", der eigens als Leihgabe herbeigeschafft wurde, um die Szene zu verstärken, hätte es da gar nicht gebraucht.