Die Wucht der Achtziger
Künstlerischer Ausdruck statt Perfektion, Provokation statt Mainstream: Im Münchner Haus der Kunst stehen mehrere Räume im Zeichen der subkulturellen Szene im Deutschland der 80er-Jahre. "Geniale Dilletanten" heißt die Ausstellung über Musik und Kunst aus dieser Zeit.
"Das Leben ist ernst genug, man muss es nicht auch noch Ernst nehmen. Mehr Spaß am Untergang! Und als Beispiel, dieses Konkrete, diese konzeptionelle Kunst, hab ich ein Lied mitgebracht: Das Drei Minuten Ei. Ei, Ei, Eieieieiei."
Auf der Leinwand im Eingangsbereich der Ausstellung gibt das Münchner Performance Duo Lorenz Lorenz das "Drei Minuten Ei" zum Besten. Der Ausschnitt ist Teil eines Dokumentarfilms über die "Genialen Dilletanten" - der als ideale Einstimmung dient um den Ausstellungsbesucher in die Subkultur der 80er-Jahre einzuführen.
Als Wanderausstellung des Goethe-Instituts touren die "Genialen Dilletanten" rund um die Welt, Kuratorin Mathilde Weh über die Entstehungsgeschichte:
"Also wir haben uns vor zwei Jahren überlegt eine Ausstellung über Subkulturen zu konzipieren. Und dann sind wir natürlich auf die 80er-Jahre gekommen, weil das eine spannende Zeit war. Und dann dachte ich mir, wir müssen von der Musik ausgehen, weil die Musik natürlich ein ganz wichtiger Träger damals war. Viele Künstler haben ja auch Musik gemacht und Filmemacher haben Musik gemacht und Musiker haben Filme gedreht, also es war ja genre-übergreifendes Arbeiten plötzlich da. Wichtig war mir, dass innerhalb dieser Subkultur, die Ansätze trotzdem ziemlich unterschiedlich sind. Aber das fand ich sehr interessant, dass obwohl es eine Gegenkultur war, dass man so unterschiedlich gearbeitet hat."
Im Mittelpunkt der Ausstellung steht die Musik: Sieben Bands werden ausführlich vorgestellt, darunter die Einstürzenden Neubauten, Der Plan, F.S.K., Ornament und Verbrechen und die Tödliche Doris, deren Gründungsmitglied, der Musiker und Künstler Wolfgang Müller als "Spiritus Rector" der Genialen Dilletanten, bezeichnet werden darf:
"Na, ich freu mich sehr, dass der Rechtschreibfehler, den wir erst im Nachhinein übrigens entdeckt haben, auf dem Flyer zum Festival der Genialen Dilletanten, das hatte ich ja, als ich das Buch zusammenstellte, für den Merve-Verlag, erst dann entdeckt, und dachte dann, Mann, wie können wir das denn jetzt dokumentieren, das kann man ja nicht irgendwie wegretuschieren, also übernehmen wir den Rechtschreibfehler, ist ja ein Dokument und bringen ihn auf die erste Seite. Und im Buch wurde dann quasi auch erklärt, dass der Dilletant, der geniale Dilletant, aus seinen Fehlern lernt, er akzeptiert die Fehler erstmal und stellt sie aus."
Sechs der sieben Bands stammen aus dem Westen, doch gerade der Ost-Bezug liegt der Kuratorin besonders am Herzen:
"Also mir war das ganz wichtig, dass man auch im Osten guckt, was damals passiert ist und das ist ja auch sehr spannend, wenn die Lippok Brüder, also die Musiker von Ornament und Verbrechen erzählen, wie das damals in Ostberlin war."
Ronald und Robert Lippok sind ebenfalls zur Eröffnung gekommen.
"Du brauchst nicht mal drei Akkorde"
Robert Lippock: "Mein Bruder und ich haben in Punkbands gespielt und Punk war ne große Befreiung insofern, dass man nicht durch die Strapazen gehen musste ein Instrument zu lernen, aber es gab ja immer dieses, man braucht nur drei Akkorde um was aufzuführen und es war immer noch innerhalb des Konzepts von Rock-Musik. Und was passiert ist, Ende der 70er Anfang der 80er war, dass man sagt: ne, ne, du brauchst nicht mal drei Akkorde, geh einfach in die Küche und guck mal, was da im Schubfach steckt und versuch damit was zu machen."
Musik: Hirnsäge - Einstürzende Neubauten
Neben der Musik spielt für die Subkultur der 80er-Jahre auch die bildende Kunst eine große Rolle. Für die Präsentation in München wurde die Ausstellung um mehrere Originale von Martin Kippenberger, Salomé, Jörg Immendorff, Markus Oehlen oder Elvira Bach erweitert. Besonders beeindruckend "1/10 Sekunde vor der Warschauer Brücke" von Bernd Zimmer.
Mathilde Weh: "Eben dieses wahnsinnig große Bild, 28 Meter lang. Er hat damals dieses Bild im SO36, in diesem Club in Berlin gemalt, ich glaub innerhalb von drei Tagen. Und die anderen Maler. Ja, es war ja auch ne Zeit, wo plötzlich die jungen Wilden bekannter wurden. Also auch dieses Expressive, dieses Ausprobieren. Viele dieser Maler waren auch Musiker. Also zum Beispiel Penck hat Musik gemacht und gemalt, Dokoubil, Bernd Zimmer hatten Clubs. Es hatte ne absolut starke Verbindung zur bildenden Kunst."
Zum Schluss bleibt nur eine Frage offen: Gibt es heute geniale Dilletanten nur noch im Museum, Herr Müller?
Wolfgang Müller: "Guckt man sich zum Beispiel mal in Reykjavik den Bürgermeister an, der die Stadt schuldenfrei hinterlässt, der kommt aus der Punkszene. Ist auch ein genialer Dilletant. Der kommt aus der Punkszene und hat nicht die ganze Tour über Parteien und über Intrigen und den und den kennen gemacht. Und die Leute sagen, der würde jetzt noch mehr Stimmen kriegen, der Jon Gnarr, wenn er sich wieder wählen lassen würde."
Fotos aus den 1980er-Jahren auf Twitter: