Ausstellung "Gier" in Stuttgart

Motor der Maßlosigkeit

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Blick in einen Ausstellungsraum: Darin sind Vetrinen und Regale voll mit Turnschuhen in unterschiedlicher Ausführung und Farbe zu sehen.
Objekte der Begierde: Für die neuesten Sneaker nehmen Sammler weite Wege und lange Wartezeiten in Kauf. © Haus der Geschichte Baden-Württemberg / Daniel Stauch
Von Rudolf Schmitz |
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Gier gilt als Todsünde. Sie lässt Konsumtempel in den Himmel wachsen und verleitet zweifelhafte Glückssucher dazu, jede Moral und Rücksicht in den Wind zu schlagen. Eine Stuttgarter Ausstellung widmet sich Glanz und Abgründen einer alten Untugend.
Durch diese Suggestionsschleuse müssen wir alle hindurch. Im Entree der Ausstellung soufflieren lebensgroße smarte Influencerfiguren auf großen Screens das Credo der Leistungsgesellschaft:
"Wir schaffen Werte. Wir wollen keine Barrieren, keine Regeln, keine Kontrolle. Wir zögern nicht, wir nehmen keine Rücksicht, wir wollen immer mehr. Wir sind der Motor, der immer läuft."
Dann erwarten uns, in Goldfarbe gehüllt, Altäre dieser Giergeschichte. Goldfarbene Bänder verbinden verschiedene Facetten der Gier zum höllischen Paradies der Wünsche, des Begehrens, der Maßlosigkeit. Aber wie stellt man das aus - Gier?

Anstehen für die neuesten Sneaker

Eine bis zur Decke reichende, viele Meter lange Glasvitrine zeigt die bunte, variationsfreudige Welt der Sneaker. Ein Paar Air-Jordan-Sneaker von Nike, mit dem der Kult begann, umrahmt das Videoporträt des Stuttgarter Sammlers, der seit 1999 dieser Leidenschaft frönt. Kein Aufwand, keine Summe war ihm zu hoch:
"Berlin war Anfang der 90er-Jahre, in den 2000ern ein großes Thema. Alles, was neu herausgekommen ist, hat natürlich in Berlin stattgefunden. Das heißt, wir haben uns in den Zug gesetzt oder ins Auto und sind nach Berlin gefahren. Der Schuh kam samstags raus, meistens sind wir schon Donnerstag oder Freitag angekommen, und dann standen wir halt da. Wir standen in der Reihe, haben uns in eine Liste eingeschrieben und standen ganz einfach da und haben auf den Schuh gewartet."
Eine ganz andere Art von Gier hat die New York Times im Januar 1989 aufgedeckt. "Auschwitz in the Sand" titelte sie und offenbarte, dass eine deutsche Firma für den libyschen Diktator Gaddafi eine Giftgasfabrik gebaut hatte. Auf internationalen Druck wurde die Angelegenheit aufgearbeitet, die Giftgasfabrik geschlossen, der Geschäftsführer zu fünf Jahren Haft verurteilt. Ausstellungsleiter Rainer Schimpf:
"Wir haben von diesem Millionengeschäft im Sand die Schilder von den Giftgasbehältern bekommen können. Das Giftgas ist dann sogar hier in Deutschland endgültig entsorgt worden. Die Container standen auf dem Truppenübungsplatzgelände in Munster und sind dort entsorgt worden. Das hat den deutschen Steuerzahler noch mal richtig viel Geld gekostet: das Ergebnis eines abenteuerlichen Vorgangs, der in den 80er-Jahren wirklich für heftigste Schlagzeilen gesorgt hat."

Wenn die Bank zum Räuber wird

Und von diesen "Mordsgeschäften" gibt es noch einige in dieser Ausstellung systemerhaltender und systembegünstigter Schäbigkeit. Höhepunkt der gierbedingten Schädigung der Allgemeinheit ist zweifellos der Cum-Ex-Skandal. Akteure sind Aktienhändler und Banken.
Aktienpakete werden hin- und hergeschoben, Steuerbescheinigungen erstellt, die niemals gezahlte Kapitalertragssteuer wird mehrfach zurückgefordert, der Staatskasse entsteht ein Schaden von mindestens zehn Milliarden Euro.
Ein Stuttgarter Rechtsanwalt hat diesen Skandal aufgedeckt und die juristische Aufarbeitung in Gang gesetzt. Das Videoporträt zeigt ihn geradezu fassungslos über die Dreistigkeit beteiligter Akteure:
"Der Wunsch, so schnell, so leicht an solche Summen zu kommen, der hat alle Grenzen fallen lassen. Es ist wie Bankraub, wie Tresorknacken, nur knackt hier die Bank den Tresor, und zwar den Tresor des Gemeinwesens."

Ein Nashorn als Opfer von zweierlei Gier

Eine Vitrine mit dem Kopf eines Nashorns: Dort, wo das Horn sein sollte, eine kahle Stelle. Ein Großwildjägerpaar aus Offenburg hatte in den 1920er-Jahren das Nashorn geschossen, später die Jagdtrophäe dem Offenburger Museum geschenkt.
Doch damit ist die Geschichte fragwürdiger Jagdleidenschaft noch nicht zu Ende. Jahrzehnte später wird das Museumsstück von Einbrechern seines Horns beraubt. Der Stuttgarter Sammlungsleiter Schimpf:
"Ein Horn hat einen Wert von rund 50.000 Euro. Das ist eine irisch-britische Bande, die kurz danach auch gefasst wird, die ein gigantisches Geschäft gemacht hat, das zu Pulver gemahlene Horn wird nach Ostasien verkauft und erzielt dort absurde Spitzenwerte. Die haben das im Museum mit einem Hammer runtergeschlagen und haben das aus dem Museum rausgeschafft. So ist dieses arme Nashorn für uns der Gegenstand einer mehrfachen Gier."

Ansteckender Hunger nach immer mehr

Die größte Gier ist die nach Geld. Diese Gier, so zeigt diese originell aufgezäumte Geschichtsdarstellung, ist wie ein Virus, der ständig neue Mutanten erzeugt und die meisten Skandale jüngerer Geschichte unterfüttert: Seien es die Hitlertagebücher, die Dopingpraxis im Sport, die exzessiven Finanzspekulationen, die hemmungslose Selbstvermarktung auf Instagram.
Gibt es denn eine Immunisierungsstrategie gegen die Gier nach dem Mammon, nach Macht, Erfolg, Anerkennung, Wissen? Wohl kaum. Aber die Stuttgarter Ausstellung hat keine Scheu, uns mitten ins turbulente Infektionsgeschehen zu führen.

Die Ausstellung "Gier. Was uns bewegt" ist noch bis zum 19. September im Haus der Geschichte Baden-Württemberg in Stuttgart zu sehen.

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