Ausstellung

Gipfeltreffen dreier Großmeister

Eine Frau steht vor einer großformatigen Fotografie.
In Gurskys Fotomontage "Lehmbruck I" befinden sich auch Werke Walls und Rauchs. © dpa / picture alliance / Jochen Lübke
Von Volkhard App |
Superhelden-Fotos von Andreas Gursky, Jeff Walls Fotos von Alltagsfiguren und Zeichnungen von Neo Rauch. Die Ausstellung sei ein "visuelles Experiment", erklärt Kurator Veit Görner. Es ist ihm gelungen, die Werke miteinander korrespondieren zu lassen - und er setzt damit erneut ein Ausrufezeichen.
Mit Spiderman durfte man nicht rechnen. Doch Andreas Gursky zeigt ihn auf seinem riesigen Fototableau vor einem Schaufenster am Fuße eines mächtigen Gebäudes. Und in diesem Schaufenster steht sein Alter Ego Peter Parker und presst eine Hand von innen an die Scheibe. Auch Iron Man taucht in Gurskys neuer Superhelden-Serie auf: in voller Montur und mit dem verehrten Fräulein Pepper vor kitschiger Tropenkulisse.
Seit sich Andreas Gursky mit digitalen Mitteln immer weiter von der Dokumentarfotografie entfernt und seine eigenen Visionen kreiert hat, wissen wir, dass wir hier unseren Augen nicht mehr trauen dürfen. Und vielleicht ist es bei dieser Entwicklung gar nicht so verwunderlich, dass er nun bei den Comic- und Filmikonen gelandet ist. Kurator Heinrich Dietz:
"Das ist wirklich der nächste Schritt in das absolut Artifizielle und Digital-Konstruierte. Und trotzdem gibt es hier wie bei allen Arbeiten von Andreas Gursky einen Bezug zu Dingen aus unserer realen Welt. Zum einen das Hochhaus mit Spiderman-Charakter: Das ist eine Architektur von Renzo Piano in Tokio. Und bei Iron Man haben wir im Hintergrund diese absolut kitschige Landschaft, die ursprünglich von einer Aufnahme kommt, die falsch ausgedruckt wurde. Und dann hat sich dieser Farbton ergeben, der so beißend schräg und gemein ist, dass sich der Superheld dieser Serie daraus entwickelt hat."
Die beiden "Superhelden"-Bilder und andere Großfotos von Gursky - mit Fabrikhalle, Mode-Laufsteg und Boxenstop - treffen auf Fotos von Jeff Wall und Zeichnungen von Neo Rauch. Der Kurator ist oft schon gefragt worden, was die drei Heroen denn künstlerisch miteinander zu tun hätten:
"Insgesamt kann man sagen: Es ist keine Ausstellung, die irgendein Thema hat - sondern es ist ein visuelles Experiment, das drei herausragende Vertreter der Figuration zusammenbringt."
Selten gezeigte Zeichnungen von Neo Rauch
Da sind feine Fäden zwischen den Großmeistern gesponnen - deutlich wird es gleich zum Auftakt. Denn Gursky hat eine eigene Auswahl moderner Kunstwerke in seine beiden "Lehmbruck"-Fotomontagen vom Museumsinneren verpflanzt - und unter diesen Exponaten befinden sich auch ein Foto-Leuchtkasten von Jeff Wall und eine Skulptur von Neo Rauch.
Eben diese Bronzefigur ist in Hannover "in natura" vor die "Lehmbruck"-Fotos gestellt. Ein erschöpft wirkender Mann trägt zwei Benzinkanister - und fällt vor allem durch seinen langgestreckten Pferdeleib auf. Ein Zentaur, so rätselhaft wie die Figuren und Handlungsfäden auf den traumerfüllten Gemälden, mit denen Neo Rauch berühmt geworden ist.
In der Kestnergesellschaft sind selten gezeigte Zeichnungen von ihm zu sehen: Personen, die mit Flugzeugen spielen - und ein verletzter Mann mit Kopfverband, auf dessen Körper sich zwei Balletteusen bewegen und dabei Licht spenden. Seltsam, seltsam. Wenig bekannt ist, dass neben den aufwendigen, großformatigen Gemälden von Neo Rauch überhaupt farbige Zeichnungen in dieser Dichte entstehen:
"Die Malereien von Neo Rauch sind ja schon sehr stark ausformuliert. Bei den Zeichnungen ist es gebrochener, spontaner. Die Zeichnungen haben eher etwas Automatisches wie bei einem mechanischen Prozess - da denkt man natürlich auch an den Surrealismus."
Fotos, Zeichnungen und Skulpturen korrespondieren auf leichte Weise
Überraschungen hat - ganz ohne Leuchtkästen - auch Jeff Wall zu bieten, darunter ein riesiges Schwarzweiß-Foto von einem Lagerraum mit Eisresten an der Decke. Walls Alltagsfiguren wirken noch stärker von ihrer sozialen Existenz beschädigt als sonst. Es ist noch immer erstaunlich, dass Wall diese auf den ersten Blick banal wirkenden Szenen auf Straßen und Plätzen komponiert, sie nachstellt und nicht dokumentarisch einfängt:
"Die Bilder, die wir hier sehen, sind schon sehr nahe dran am Dokumentarischen. Manchmal bleibt es offen. Warum er dennoch immer wieder inszeniert: um das Bild perfekt komponieren und wie in der Malerei jedes Detail aufgreifen zu können. Und um die Unmittelbarkeit der Fotografie auf eine gewisse Art zu brechen. Er macht uns deutlich: Jedes fotografische und jedes gemalte Bild und jede Zeichnung ist konstruiert, zeigt unseren Blick auf die Welt."
Mit Jeff Wall, Neo Rauch und Andreas Gursky kommen in Hannover drei Großmeister zusammen, die ihre Figuren hintergründig und oft geradezu malerisch inszenieren, selbst wenn ihr Metier die Fotografie ist. Veit Görner, Direktor der Kestnergesellschaft:
"Man kann jetzt die Frage nach dem Bildhelden generell in der Kunstgeschichte stellen: Wir haben bei Jeff Wall Alltagshelden, wir haben bei Andreas Gursky das Gegenteil, diese Superhelden, und bei Neo Rauch sind die Protagonisten auf besondere Weise pathetisch aufgeladen."
Veit Görner, der zum Jahresende in den Ruhestand wechselt, hat durch seine enge Bekanntschaft mit den drei Künstlern dieses Treffen möglich gemacht und setzt damit nach risikofreudigen Amtsjahren erneut ein Ausrufezeichen.
Gursky, Rauch und Wall - in dieser Schau korrespondieren ihre Fotos, Zeichnungen und Skulpturen auf ungeahnt leichte Weise miteinander: durch figurative Darstellung und inszenierte Motive, die zur Interpretation anregen. Und auf Gurskys "Lehmbruck"-Bildern sind ohnehin alle drei Meister vereint. Die Frage, was diese Ausstellung im Innersten wohl zusammenhält, löst sich vor Ort nicht zuletzt durch die sensible Hängung in Wohlgefallen auf.


Die Ausstellung "andreas gursky | neo rauch | jeff wall" ist vom 25. Juli bis 26. Oktober 2014 in der kestnergesellschaft in Hannover zu sehen. Mehr Informationen finden Sie hier: auf der Webseite der Ausstellung.

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