"Es geht um Empathie"
Um die Frage, wie wir zusammenleben können, dreht sich eine Ausstellung mit dem sprechenden Titel "How to live together" in der Kunsthalle Wien. Kurator Nicolaus Schafhausen über Gesellschaftsporträts von August Sander und Abbilder der Upperclass von US-Fotografien Tina Barney.
!!Sigrid Brinkmann:!! Die Politik ist dafür da, Grundlagen zu schaffen und Maßnahmen zu ergreifen, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt sichern. Was in den 80er-Jahren in Amerika begann, ereignet sich längst auch in Europa: Die Mitte schwindet, die Kluft zwischen arm und reich, zwischen Wissenseliten und ungebildeten Schichten wird größer, die Migrationsbewegungen verschärfen innergesellschaftliche Probleme. Die Frage, ob man zusammenleben kann, stellt sich nicht – man muss.
Die Frage nach dem "Wie" ist zielführender, und sie umtreibt nicht nur Politprofis, Soziologen und Wirtschaftsfachleute, sondern auch Künstler. Nicolaus Schafhausen leitet die Kunsthalle Wien, und er hat eine Ausstellung konzipiert, die um eben diese Frage kreist: "How to live together". Ich grüße Sie, Herr Schafhausen! Sie stellen die Arbeiten von über 30 international bekannten Künstlern und Künstlerinnen aus. Dominiert da eher der persönliche Blick auf die Gesellschaft oder sin die Künstler um eine objektivierende Distanz bemüht?
Nicolaus Schafhausen: Es gibt bei der bildenden Kunst keine objektive Haltung. Das ist absolut ausgeschlossen. Die Kunst … jetzt in dem Fall der Ausstellung "How to live together" argumentieren die ausgestellten Arbeiten und die Künstler aus einer eher persönlichen, individuellen Sicht, und es hat mich auch wirklich fasziniert bei der Recherche dieser Arbeiten.
Das Ganze hatte für mich persönlich auch einen Anfangspunkt, und zwar von zwei Künstlern: einmal Paul Graham; Paul Graham ist ein englischer Fotograf. Der hat in den 1980er-Jahren, 1984 – das war genau der Zeitpunkt, ich habe mich damals in London aufgehalten – das war die Zeit, als ich selber angefangen habe, auch zu studieren und eigentlich in das Kunstsystem so langsam irgendwie eingetaucht bin, hat er eine Serie gestaltet von Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern in den entsprechenden Ämtern, also in Arbeitslosenämtern und Sozialämtern. Das ist eine Serie, die wir hier auch wieder zeigen. Sie haben eben auch in Ihrer Einführung die 80er-Jahre in den USA angesprochen, aber eigentlich fing das in Europa auch schon alles ein bisschen früher an, und zwar auch ungefähr zum gleichen Zeitpunkt, und zwar durch die Thatcher-Ära.
Brinkmann: Und in Amerika war es Reagan.
Schafhausen: Das lief parallel, und ich kann mich auch persönlich noch an eine Diskussion, die ich hatte damals mit einer sehr guten Freundin, wesentlich älter als ich, die meinte, weißt du, was passieren wird in den nächsten 20, 30 Jahren – Sie haben es auch erwähnt –, die Gesellschaft wird nicht mehr so zusammenpassen, wie du das vielleicht, jemand, der in den 1960er-Jahren geboren ist, gewohnt warst, das driftet auseinander. Das war eine Zeit vor Globalisierung, vor der deutschen Wiedervereinigung, vor dem Fall des Kommunismus.
Unsere Welt hat sich radikal und in einem enormen Tempo verändert seit den 80er-Jahren, und im Moment habe ich das Gefühl, dass diese Beschleunigung, die Transformation hin zu einer Gesellschaft, von der wir noch nicht wissen, was sie überhaupt irgendwann mal sein wird, in den letzten Jahren quasi eine Transformation, die andere Transformationen einholt.
Brinkmann: Im knappen Begleittext, der Ihre Ausstellung ankündigt, liest man, dass Sie Gesellschaftsporträts von August Sander und Abbilder der amerikanischen Upperclass von Tina Barney zeigen. Werden diese denn direkt miteinander in einen Kontrast gesetzt? Man könnte sich ja vorstellen, dass Paul Graham, dessen Arbeiten Sie eben beschrieben haben, also der Arbeitslose fotografiert in London 1984, eigentlich so in die Mitte passt.
Schafhausen: Die Ausstellung zeigt nicht nur Fotografen und Fotografinnen, es sind auch Filme und Intonationen zu sehen, und natürlich geht es um die Verbindungslinien der einzelnen Werke der einzelnen Künstler. Sie haben vollkommen recht: Tina Barney, eine quasi, wenn man so will, Gesellschaftsfotografin, die aus der Upperclass kommt, hängt nicht direkt neben August Sander.
Trotzdem könnte das durchaus irgendwie funktionieren. Wir verstehen unsere Arbeit, als Kunsthalle Wien, ein nichtsammelndes, ausstellendes Haus … funktioniert sehr ähnlich wie das Haus der Kunst in München. Was ist man, was kann man überhaupt seinen Öffentlichkeiten anbieten, und wie können wir argumentieren. Wir argumentieren genauso wie das eigentlich auch eine Tageszeitung tut. Das heißt, man hat verschiedene Rubriken, verschiedene Chapter, die man irgendwie zusammenbringt in einer Ausstellung, und da muss es nicht zwangsläufig eine logische Abfolge geben.
Brinkmann: Natürlich nicht. Gibt es denn Künstler, die auch eher ironisch oder humorvoll schauen auf die veränderten Bedingungen für gesellschaftliches Zusammenleben?
Schafhausen: Ich würde nicht unbedingt von Humor sprechen, aber von Empathie, von Sympathie und von Möglichkeiten des tatsächlichen Zusammenlebens. Also ich glaube, Humor kommt in den Porträts vor oder wie sich vor allem in Filmen, wie sich bestimmte einzelne Personen verhalten oder durch Selbsterkenntnis und Selbstkritik sich vielleicht auch etwas über sich selber lustig machen, aber das ist nicht unbedingt intendiert in den Arbeiten und in den Arbeiten eingeschrieben. Es geht aber um Gefühle, es geht um Empathie, und es geht darum, inwiefern Liebe und Hass, was ja eigentlich immer so auch als Antipoden gesehen wird, wie passt das in einem Menschen auch zusammen.
"Künstler können nie auf Tagespolitik reagieren"
Brinkmann: Und wie politisch reagieren Künstler auf die Gegenwart? Also ich denke ja daran, dass ja gerade übernationale Gebilde, wie zum Beispiel die Europäische Union, für untauglich erklärt werden von einigen Staaten. Die Briten, zum Beispiel, haben für einen Ausstieg votiert, andere politische Kräfte in Europa forcieren die Schwächung von Institutionen. Wie gehen Künstler darauf ein?
Schafhausen: Künstler und Künstlerinnen können nie von heute auf morgen reagieren, auf aktuelle Tagespolitik reagieren. Es ist eher eine Stimmungslage, die über einen Zeitraum beobachtet wird und dann zu einem Werkprozess, zu einem Werk, zu einer Arbeit, ähnlich wie beim Filmemachen auch, und beim Theatermachen auch, dann am Schluss irgendwie resultiert.
Es sind keine direkten Äußerungen, also es wird nicht direkt jetzt der Einzelpolitiker oder Einzelpolitikerin und Statement irgendwie aufgegriffen, aber indirekt haben Sie Arbeiten, die auch durchaus um den Zusammenschluss der europäischen Rechten gehen, dass auch hier gerade von Österreich aus argumentierend die Österreich … rechte Partei, rechtspopulistische Partei FPÖ treibt ja quasi andere demokratische Parteien vor sich her und schließt sich in Europa mit der AfD oder mit der Geert-Wilders-Partei, also wirklich populistisch argumentierenden, verkürzt argumentierenden Parteien zusammen. Das wird schon thematisiert.
Brinkmann: Werden denn auch Generationenunterschiede sichtbar zwischen den Künstlern, die Sie eingeladen haben?
Schafhausen: Also wir haben zum Beispiel in der Broschüre uns lange überlegt, ob wir die Geburtsdaten der Künstler in die Broschüren schreiben. Das haben wir nicht getan, und ich finde das tut der Ausstellung eigentlich ganz gut. Sie sehen dennoch, wer in etwa zu welcher Altersgruppe, aber auch zu welcher möglicherweise ethnischen oder von welchem religiösen Ursprungsbackground argumentiert, aber Alter ist bei Kunst eigentlich relativ. Eine meiner Lieblingskünstlerinnen, die in dieser Ausstellung nicht vertreten ist, Isa Genzken, hat irgendwann einmal gesagt, das Kunstsystem ist vielleicht das beste System, wo es vollkommen egal ist, wie alt man ist oder wie man altert. Man ist irgendwie immer jung und immer alt zugleich.
Brinkmann: "How to live together", so heißt die Ausstellung, die von morgen an in der Kunsthalle Wien besucht werden kann und das bis Mitte Oktober. Nicolaus Schafhausen hat sie kuratiert. Besten Dank, Herr Schafhausen für den Einblick in Arbeiten, die Sie für diese Show ausgewählt haben und einen guten Abend noch!
Schafhausen: Vielen Dank!
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