"And Berlin Will Always Need You"
Kunst, Handwerk und Konzept Made in Berlin
22. März bis 16. Juni 2019
Gropius Bau, Berlin
Warum Handwerk in der Kunst so wichtig ist
05:12 Minuten
Welche Bedeutung hat das Handwerkliche für die zeitgenössische Kunstszene? Das ist die Grundfrage der Ausstellung "Berlin Will Always Need You". Passt − hat doch der Gropius Bau einst als Kunstgewerbemuseum gedient.
Die Decke des großen Lichthofes sieht aus, als sei sie von einer Riesenspinne bewohnt. Zu Netzen verwobene weiße Fäden bilden ein Gespinst, das zum Teil tief in den Raum herabhängt, darin verfangen haben sich Bücher und Manuskriptseiten aus dem Archiv des Gropiusbaus, historische Dokumente, Grundrisse, Ausstellungsführer, die die Geschichte des Gebäudes erzählen.
Die Künstlerin Chiharu Shiota sagt über ihr Werk: "Das sind alles handgefertigte Gewebe. Ich wollte eine Verbindung schaffen zum Gedächtnis dieses Hauses. Und meine Netze sind gleichzeitig auch selber wie ein menschliches Gehirn, wie ein neuronales System. Es ist ständig verbunden mit Informationen, mit einer anderen Vergangenheit, mit einer anderen Geschichte."
Die japanische Künstlerin Chiharu Shiota, die seit 1997 in Berlin lebt und arbeitet, hat für ihr Gespinst 780 Kilometer weiße Wolle verwoben. Ihre lichtdurchflutete Rauminstallation "Beyond Memory" ist so etwas wie ein Schlüsselwerk für die Ausstellung, mit der der Martin-Gropius sich im wahrsten Sinne des Wortes öffnen will.
Unverhüllte Fenster schauen in die Stadt
Öffnen hin zur lebendigen internationalen Berliner Kunstszene, der er mit seiner Schau eine Plattform bietet. Aber auch hin zur Stadt selbst. Der Lichthof ist jetzt für Besucher auch ohne Eintritt begehbar, es gibt Kaffee und ein frisch eröffnetes Restaurant. Die Fenster, die früher abgedunkelt waren, sind nun unverhüllt.
Es ist wie ein frischer Wind, den die neue Direktorin Stephanie Rosenthal, seit knapp einem Jahr im Amt, auf einmal hereingelassen hat. Die Ausstellung "And Berlin will Always need you" bildet dafür den Auftakt. Sie stellt das Handwerk in der Kunst in den Mittelpunkt – eine Referenz an die eigene Geschichte, denn der Gropiusbau wurde 1881 ursprünglich als Kunstgewerbemuseum und als pädagogische Stätte für Kunst und Industriedesign gegründet. Kunst und Handwerk sind nur scheinbar Widersprüche, betont Julienne Lorz, eine der beiden Kuratorinnen.
"Also ich denke Materialität ist für jeden Künstler wichtig. Wir hatten gestern ein Gespräch mit Willem der Rooij, Künstler in der Ausstellung, der genau das gesagt hat. Also ihm ist eigentlich fast egal, was es für ein Material ist, aber ohne Material sei es digital oder sei es eben Wolle, kann man nicht arbeiten als Künstler. Und dieses Material ist sozusagen immer am Grunde von jedem künstlerischen Schaffen, wie auch immer sich das manifestieren mag", so Lorz.
Alle Generationen und viele Länder
Monatelang sind die Kuratorinnen Julienne Lorz und Natascha Ginwala durch Berliner Ateliers gelaufen, um zu erkunden, wie die zeitgenössischen Kunstszene der Stadt mit Material und Arbeitsprozessen umgeht. 18 Künstlerinnen und Künstler aus allen Generationen haben sie ausgewählt – gebürtig aus elf Ländern.
Von Nevin Aladag, die Teppichfragmente zu vertikalen geometrischen Collagen zusammensetzt - bis hin zur mittlerweile 86-jährigen amerikanischen Malerin Dorothy Iannore, wegen ihrer sexuell aufgeladenen Bilder frühe "Femme terrible" der Kunstwelt. Von ihr stammt auch der Titel der Ausstellung: "And Berlin will Allways Need You".
Eine Liedzeile, die Iannore 1977 für ihre Freundin Mary Harding dichtete. Die Künstlerin Leonor Antunes bezieht sich mit ihren Installationen auf die Werke von Pionierinnen der Kunst- und Designgeschichte, etwa die Bauhauskünstlerin Anni Albers oder die italienische Korb- und Rattandesignerin Franca Helg. Antunes hängende Skulpturen aus Rattan oder Leder wirken wie ihrer Funktion beraubte Designobjekte. Hergestellt hat sie sie mit dem alten italienischen Betrieb, der auch schon France Helgs Korbmöbel hergestellt hat.
"Es war nicht ganz leicht, denn die machen normalerweise Möbel. Und meine Formsprache in ihren Produktionsprozess zu übersetzen war ganz schön kompliziert. Bei Tischen und Stühlen kommt es darauf an, dass sie halten, belastbar sind. Meine Skulpturen basieren auf ihren Entwürfen, aber sie sind überlängt und eigentlich eher wie Zeichnungen im Raum. Und diese Elemente haben denselben Ursprung", erklärt Antunes.
Eine Ausstellung, die Spaß macht. Die zeigt, was Berlins Kunstszene zu bieten hat. Und die Kunst bewusst als Produktionsprozess zeigt und auch das Thema Machtstrukturen und Urheberrecht nicht ausspart. Und in der das Gebäude, das heute noch mit seiner dekorativen Innenausstattung, den Mosaiken und Intarsien, seine alte Nähe zu Design und Kunsthandwerk zeigt, selbst zum Ausstellungsstück wird.