Ausstellung im Dresdner Kupferstich-Kabinett

A.R. Pencks konspirative Karriere in der DDR

Porträt des Dresdner Malers und Bildhauers A.R. Penck (eigentlich Ralf Winkler)
Der Dresdner Maler und Bildhauer A. R. Penck © picture alliance / Stefan Hesse
Claudia Schnitzer im Gespräch mit Gabi Wuttke |
Im Westen zählte er zu den Neuen Wilden. Seine frühen Werke zeigte der Künstler A.R. Penck allerdings schon zu DDR-Zeiten im Dresdner Kupferstich-Kabinett. Heimlich, still und leise wuchs dort eine umfangreiche Sammlung von Zeichnungen heran. Nun wird der Schatz fürs Publikum gehoben.
Gabi Wuttke: Am 2. Mai starb A.R. Penck in Zürich. Geboren wurde er 1939 in Dresden als Ralf Winkler. Vielen gilt er als Vater der Neuen Wilden, der Autodidakt, dessen rätselhafter zeichnerischer Stil auch ein Versuch war, der Zensur in der DDR zu entgehen, in der er bis 1980 lebte. Im Westen machte er Karriere und wurde zu einem der Großen gesamtdeutscher Gegenwartskunst. Nach der großen Retrospektive 1992 präsentieren die Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden ab morgen unter dem Titel "Ralf Winkler – A.R. Penck. Welterfahrung und Bildsprache" die erste posthume Ausstellung. Am Telefon ist deshalb die Oberkonservatorin des Kupferstichkabinetts, Claudia Schnitzer. Einen schönen guten Abend!
Claudia Schnitzer: Guten Abend!
Wuttke: In der Ankündigung für diese Ausstellung ist zu lesen: "Unabhängig von den Bewertungen der herrschenden Kulturpolitik der SED wurde seit 1965 im Stillen und auf konspirativem Wege ohne offizielle Ankaufsmittel im Kupferstich-Kabinett eine bedeutende Penck-Sammlung zusammengetragen." Frau Schnitzer, was für eine Geschichte! Wer hatte diese Idee?

Werke im Kupferstich-Kabinett an Wäscheleinen

Schnitzer: Natürlich ist da federführend der damalige Direktor gewesen, Werner Schmidt, aber natürlich geht so was auch nicht allein, sondern mit Unterstützung aller Mitarbeiter. Und es ist wirklich sehr spannend. Das Dresdner Kupferstich-Kabinett ist ja die früheste Sammlung von Penck-Werken, und heute haben wir einen Bestand von 264 Werken, wobei man dabei bedenken muss, dass es auch Künstlerbücher sind, in denen wiederum Hunderte von Zeichnungen noch mal vorhanden sind. Und das, was wirklich sich so ein bisschen abenteuerlich anhört, können wir nur auch aus den Archivalien unterstützen. Wobei das natürlich immer etwas schwierig ist. Man hat natürlich vieles gerade nicht schriftlich festgehalten. Aber wir wissen, dass viele Zeichnungen entweder als Geschenke direkt von Penck in die Sammlung gegeben wurden, oder aber über Auktionen. Es gab also den sogenannten "Jugend-Club", das war wie eine inoffizielle kurze Ausstellung, wo Werke an Wäscheleinen mit Klammern befestigt wurden im Kupferstich-Kabinett und zu wohlfeilen Preisen eben verkauft wurden. Und auch von diesem Geld konnte dann wiederum etwas gekauft werden.
A.R. Pencks Radierung "Fliegen wie ein Vogel" von 1970 und seine Tuschzeichnung "Weiblicher Bildniskopf" von 1972
A.R. Pencks Radierung "Fliegen wie ein Vogel" von 1970 und seine Tuschzeichnung "Weiblicher Bildniskopf" von 1972© © SKD, Foto: Andreas Diesend
Wuttke: Aber wie kann das denn jetzt sein? Ich stelle mir also die DDR in den 60er-, 70er-Jahren vor. Da konnten Sie Bilder von Penck auf eine Wäscheleine hängen, und die wurden verkauft. Der Mann hatte ja zunehmend mit der Stasi zu tun. Also deshalb, wie konspirativ musste das denn sein? Offensichtlich gar nicht so.
Schnitzer: Irgendwann ist das natürlich aufgeflogen in Anführungsstrichen, und '76 war es dann tatsächlich der Fall, dass "Triptychon X, Y und Z" abgehängt werden musste und nicht mehr gezeigt werden durfte, weil es ja eigentlich wie inoffizielle kleine Ausstellungen waren. Und das ist eben auch sehr spannend. Es ist bei und im Archiv eben auch ein Brief dazu vorhanden, wo Werner Schmidt versucht zu erklären, warum das jetzt abgenommen werden muss. Die Werke hatten natürlich tolle Namen: Das eine heißt "Weiche Polarisierung und harte Eindeutigkeit als Motiv für Demagogie", und deswegen musste das eben auch abgenommen werden.
Werner Schmidt war auch in einer schwierigen Situation, weil einerseits hat er natürlich Penck gefördert, andererseits war er auch gewissen Zwängen unterlegen. Das ist eine Gratwanderung gewesen, und das merkt man auch immer wieder. Auch, wie viele der anderen Penck-Werke in die Sammlung gekommen sind, wirklich über Mitarbeiter, Mitarbeiterinnen, im Tausch, zum Teil gab es da auch richtige Rügen seitens der Generaldirektion, dass eben diese Kontakte gepflegt wurden. Also, es war schon …
Wuttke: Aber es blieb bei Rügen, oder hatte das noch größere Folgen?
Schnitzer: Interessanterweise nicht. Es ist aber auch sehr im Stillen passiert. Ich kann noch ein sehr schönes Beispiel nennen. Es gibt eine Mappe von Penck, nach der Ausbürgerung versucht er seine Erfahrung in Westdeutschland in eine Bildsprache zu bringen. Und da gibt es eine Mappe, die heißt "Acht Erfahrungen", und diese acht Erfahrungen haben auch einen sehr schönen Text. Der beginnt: "Der Osten hat mich ausgespuckt, der Westen noch nicht gefressen." Diese Folge ist kurz nach dem Entstehen, also noch '82, von Penck und der Galeristin nach Dresden geschenkt worden, natürlich – man muss sagen, in Anführungsstrichen natürlich –, nicht mit dem Text. Aber das haben wir auch erst jetzt festgestellt. Wir dachten immer, wir hätten es vollständig, aber es ist eigentlich vor dem Hintergrund natürlich klar, dass so ein brisanter Text wirklich für Schwierigkeiten gesorgt hätte, besonders, wenn man das in einer öffentlichen Sammlung inventarisiert hätte.
Wuttke: Aber Penck hat seine Förderer nicht vergessen.
Schnitzer: Überhaupt nicht. Deswegen ist auch diese Ausstellung '92 – die Ausstellung zeigt Werke bis 1992 – so wichtig, weil er da die erste große Ausstellung in Ostdeutschland veranstaltet hat, in Dresden, und dafür eben auch das Layout des Katalogs gefertigt hat, das wir eben auch ausstellen können, was auch sehr spannend ist, weil er im Grunde seine ganzen Frühwerke, die ja im Kupferstich-Kabinett verwahrt werden, eben noch mal in diesem Layout zeichnerisch festhält, nach so vielen Jahren.

"Wenn man Penck sehen will, konnte man ihn immer sehen, aber man muss es natürlich auch wissen"

Wuttke: Und das Kupferstich-Kabinett, weil das der Ort war, bei dem man bei Penck am wenigsten darauf gekommen wäre, oder wie darf ich mir das erklären?
Schnitzer: Man muss das so sehen: Es ist ja eine sehr große Sammlung. Wir haben ja heute über eine halbe Million Blätter, und natürlich ist es immer etwas anderes, ein Gemälde in einer Galerie hängen zu haben oder eben Kunstwerke in Kästen erst mal in ein Depot und im Studiensaal vorgelegt zu bekommen. Das heißt, wenn man Penck sehen will, konnte man ihn immer sehen, aber man muss es natürlich auch wissen. Es ist natürlich etwas anderes, wenn etwas in einer Ausstellung gezeigt wird. Und bei der Grafik ist es ja so, dass die nicht dauerhaft präsentiert werden kann und deswegen eben nicht geschützt verwahrt wird. Und das gibt natürlich auch für viele Dinge Spielräume. Und es ist natürlich im Verhältnis zu Gemälden auch sehr viel günstiger zumal damals gewesen. Man konnte da eben auch so einen kleinen Schatz ganz gut mit wenig Geld anlegen.
Wuttke: Und, jetzt mal ganz freundlich gefragt, warum - im Großen - haben Sie uns diese Geschichte so viele Jahre vorenthalten?
Schnitzer: Warum im Großen? Dass wir das jetzt gemacht haben, liegt einfach an dem Todesjahr natürlich von Penck, und dass wir noch mal die Möglichkeit hatten, hier überhaupt einen Raum zu finden. Deswegen, die Ausstellung ist ja eine verhältnismäßig kleine, aber nichtsdestotrotz, sie ist sehr konzentriert und gibt, glaube ich, sehr viele neue Einblicke. Und diese Frage dürfen Sie nicht mich fragen.
Wuttke: Ich wünsche Ihnen auf jeden Fall viel Erfolg und danke Ihnen für diese tolle Geschichte. Claudia Schnitzer von den Staatlichen Kunstsammlungen über ihre Ausstellung "Ralf Winkler – A.R. Penck. Welterfahrung und Bildsprache", von morgen bis zum 19. März im Residenzschloss in Dresden. Danke schön, Frau Schnitzer!
Schnitzer: Bitte schön!

Die Ausstellung "Ralf Winkler – A. R. Penck. Welterfahrung und Bildsprache" des Dresdner Kupferstich-Kabinetts ist vom 13. Dezember 2017 bis 19. März 2018 im Residenzschloss Dresden, Georgenbau, Studiolo zu sehen
Öffnungszeiten:
täglich 10 bis 18 Uhr, Dienstag geschlossen
Schließzeit: 22. bis 26. Januar 2018

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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