Bewegende Zeugnisse jüdischer Displaced Persons
Millionen sogenannter Displaced Persons strandeten 1945 unmittelbar nach Kriegsende in Deutschland. Die Bücher und Publikationen jüdischer DPs sind allererste Zeugnisse einer Holocaust-Literatur - die eine Ausstellung im Jüdischen Museum in Berlin zeigt.
Tamar Lewinsky: "Displaced Persons sind Personen, die unfreiwillig an einem anderen Ort sind als ihre Heimat."
Über acht Millionen Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Überlebende wurden von den Alliierten am Kriegsende 1945 in Deutschland als "DPs" – Displaced Persons bezeichnet.
Tamar Lewinsky: "Es gab eine kleine Gruppe von Displaced Persons, die als Konzentrationslager-Überlebende in Deutschland befreit wurden."
Publikationen unmittelbar nach Kriegsende
Im Jüdischen Museum Berlin ist seit Wochen eine bemerkenswerte Ausstellung zu besichtigen. Titel der Ausstellung ist: "Im Fremden Land". Gezeigt werden Publikationen der jüdischen DPs in der Zeit unmittelbar nach Kriegsende. Die Kuratorin für Zeitgeschichte im Jüdischen Museum Berlin, Dr. Tamar Lewinsky:
"Was passiert ist, ist interessant. Diese Displaced Persons haben sich angefangen zu organisieren, ganz schnell nach der Befreiung, haben in den Displaced-Persons-Camps Strukturen aufgebaut, und eine dieser gesellschaftlichen Strukturen war, dass sie sehr viel publiziert haben. Also Zeitungen, Bücher, historische Schriften, etc. Und durch die Publikationen werfen wir einen Blick auf das Leben der DPs in Deutschland."
Wer waren die jüdischen DPs nach 1945, von denen wir aus ihren hier gezeigten 40 Publikationen etwas erfahren, und die sich DPs selbst nannten, aber auch:
"Sie haben sich selbst auch Sche`rit Hapleta genannt, und diese Bezeichnung bedeutet so viel wie: Der überlebende Rest."
Die She`rit Hapleta setzten sich vielfach aus deutschen KZ-Überlebenden zusammen, aber auch aus polnischen Partisanen, KZ-Überlebenden oder Personen, die in Verstecken die NS-Vernichtung überlebt hatten. Sie stellten die Mehrheit in den DP-Camps in der amerikanischen Besatzungszone dar, etwa im süddeutschen Föhrenwald, Landsberg oder Pocking. Die meisten von den fast 250.000 DPs wollten aus Deutschland weg, oft nach Palästina. Bis es soweit war, bauten sie in den Camps Schulen und Ausbildungsstätten auf, richteten Suchdienste ein, erweckten religiöse Institutionen wieder zum Leben. Und schrieben von allem. Was zuerst auf technische Schwierigkeiten stieß.
Tamar Lewinsky: "In München gab es verschiedene Druckereien, die erst einmal eingerichtet werden mussten, da es keine jiddischen Drucklettern gab, das heißt, jiddische Drucklettern, das ist identisch mit den hebräischen Drucklettern, wenn auch in anderer Verteilung ein wenig, in der Rechtsschreibung, und diese Drucklettern gab es ja im fast judenfreien Deutschland nicht 1945. Und eine sehr schöne Geschichte ist, dass die Druckerei des 'Völkischen Beobachters' genutzt werden konnte, um jiddische Zeitschriften zu drucken, und auch eine historische Zeitschrift, die über den Untergang des europäischen Judentums berichtet hat."
Viele Jahrzehnte lang sind die schriftlichen Zeugnisse aus dieser unmittelbaren Zeit nach der Katastrophe unbeachtet geblieben:
"Die Inhalte der Publikationen sind sehr unterschiedlich. Was wir zeigen, sind zum Beispiel literarische Schriften, das heißt, sehr viele Gedichtbände wurden publiziert, von erfahrenen Poeten, aber auch von Personen, die nach dem Krieg mit dem Schreiben angefangen haben. Auch unser titelgebendes Buch ist ein literarisches Buch. Die Ausstellung nennt sich ja 'Im Fremden Land'. Das ist benannt nach einem Gedichtband von Matthis Olitzki. Und darin setzt er sich sehr stark mit dem Zusammenleben zwischen Juden und Deutschland unmittelbar nach dem Holocaust auseinander."
Zeugnis allerfrühester Holocaust-Literatur
Vielfach ist die Ausstellung ein bewegendes Zeugnis für allerfrüheste Holocaust-Literatur. Lange bevor Dichter wie Paul Celan etwa diese Zeit poetisch vereinnahmten, versuchten die jüdischen DPs sich dem erlebten Grauen sprachlich zu nähern. Doch leider ist diese Literatur kaum bekannt, was auch daran liegt, dass sie in jiddisch geschrieben wurde.
Tamar Lewinsky: "Und somit auch nicht für einen deutschsprachigen Leser gedacht."
Doch die Ausstellung hat noch weit mehr zu bieten:
"Die Ausstellung hat vier Bereiche. Ein Bereich handelt von der letzten Zerstörung. Das ist eigentlich eine Übersetzung des Wortes Curban und das war die Bezeichnung für das, was wir heute Holocaust oder Schoah nennen. Die 40 Exponate, die wir zeigen, das ist alles Teil einer Sammlung der Staatsbibliothek zu Berlin. Und in unserer Ausstellung haben wir ein sehr schönes Exponat, und zwar ein Talmud-Traktat. Die Geschichte ist die, dass nach dem Krieg natürlich keine Vorlagen da waren für religiöse Bücher. Man wollte auch einen Talmud wieder haben. Und wir zeigen das Traktat 'Kidushim', das gefunden wurde in einem Benediktinerkloster in Bayern."
Diese unbedingt empfehlenswerte Ausstellung, die noch bis zum 15. Dezember zu sehen ist, ist eine Ausstellung des zweiten, des dritten Blicks. Denn manches wird - eben wegen der jiddischen Drucke - nicht sofort sichtbar. Doch diese Literatur wurde bisher kaum in der breiten Öffentlichkeit beachtet. Nicht nur darum lohnen sich die mehrfachen Blicke.