Ausstellung im Gropius-Bau

Der Expressionismus und der Pop

Christine Heidemann im Gespräch mit Ulrike Timm |
Als David Bowie 1976 nach Westberlin zog, fühlte er sich ausgepowert, war ein Junkie und suchte Ruhe. Kaum bekannt ist, dass das Brücke-Museum einer seiner Lieblingsorte war. Für das Cover seines Albums "Heroes" ließ sich der Musiker etwa von Erich Heckel inspirieren, erzählt die Kuratorin der Ausstellung "David Bowie" im Berliner Martin-Gropius-Bau, Christine Heidemann.
Ulrike Timm: "David Bowie", bloß David Bowie, das muss reichen, und das reicht. Morgen eröffnet in Berlin die Ausstellung über einen der einflussreichsten Popkünstler der jüngeren Musikgeschichte. Bei keinem anderen sind Kostüme, Bilder, Inszenierungen und Show so wichtig wie bei David Bowie. Man kann wohl sagen, der Mann ist ein multimediales Gesamtkunstwerk.
Die Ausstellung im Berliner Gropius-Bau ist eine Übernahme des Londoner Victoria and Albert Museums, die aber deutlich erweitert wurde, denn David Bowie hat in den 1970ern einige Jahre in Berlin gelebt, war pleite, drogensüchtig, aber zugleich hat er wie ein Schwamm aufgenommen, was die Stadt ihm bot, und es künstlerisch verarbeitet.
So war David Bowie in Berlin zum Beispiel ein fleißiger Museumsbesucher. Insbesondere die Expressionisten hatten es ihm angetan und er nahm ihre Spuren auf. Wie und warum, auch das kann uns Christine Heidemann erzählen, die Kuratorin des Berlin-Teils dieser großen David Bowie Ausstellung. Willkommen erst mal im "Radiofeuilleton".
Christine Heidemann: Vielen Dank.
Timm: Frau Heidemann, David Bowie im Museum – der Mann ist Mitte 60, hat im letzten Jahr noch ein Album herausgebracht. Erschreckt ihn das eigentlich, dass er jetzt museal wird?
Heidemann: Was David Bowie selber zu dieser Ausstellung sagt, ist uns leider gar nicht bekannt, weil er wohlweißlich sich jeden Kommentars zu der Ausstellung direkt enthält. Aber ich nehme schon an, dass es ihm gefällt, dass es eine ganze Ausstellung über ihn gibt.
Timm: Warum eine kunst- und kulturgeschichtliche Ausstellung zu David Bowie?
Bowie ist nicht nur Musiker, er hat gezeichnet und gemalt
Heidemann: David Bowie ist weitaus mehr als nur Musiker. Das kommt einem natürlich als erstes in den Sinn, wenn man den Namen hört, die Musik. Aber schon ganz früh war wirklich beeindruckend, mit welcher Intensität sich Bowie sämtlichen Facetten des Bühnenauftritts gewidmet hat. Er hat schon früh extrem spezielle und aufwendige Kostüme entwickelt, zusammen mit Modedesignern, hat jedes Detail seiner Auftritte selber minutiös geplant und war auch immer schon selber bildnerisch künstlerisch tätig. Er hat gezeichnet und gemalt, und das sieht man zum Beispiel auch in der Ausstellung. Es gibt tatsächlich sehr viele Exponate, nicht nur Musik zu hören, sondern auch viel zu sehen.
Timm: Und er ist ja ein echter Multimediakünstler, sagte ich vorhin. Hat er damit eigentlich auch das Popformat gesprengt? Erweitert auf jeden Fall, aber vielleicht sogar gesprengt?
Heidemann: Es gibt in David Bowies Karriere ja sehr unterschiedliche Etappen und in manchen ist es sicher der Fall, dass das absolut überbordend war, dass er so übergesprudelt ist vor Ideen nicht nur für die Musik. David Bowie hat die Texte selber geschrieben, er hat komponiert, er hat experimentiert mit den unterschiedlichsten Musikstilen im Laufe seiner Karriere und hatte so viele Einfälle, dass ich schon sagen würde, er hat die Formate manchmal gesprengt und seine Fans immer wieder überrascht.
Timm: ... und kam als die farbenreichste androgyne Kunstfigur auch auf die Bühne, die es, glaube ich, je gegeben hat im Popbereich, oder?
Heidemann: Ja, bis dahin auf jeden Fall. Natürlich hat er auch Nachahmer wie zum Beispiel Lady Gaga, würde ich schon sagen, dass die sicherlich auch nur so arbeiten kann, weil es David Bowie gab und gibt.
Timm: Die große Zeit, die 1970er, da hat David Bowie einige Jahre in Berlin verbracht, und er hat besonders hier eine Liebe entwickelt zum deutschen Expressionismus. Wie kam das?
Er mochte "Metropolis" und "Das Cabinet des Dr. Caligari"
Heidemann: David Bowies Liebe zum deutschen Expressionismus bestand schon, bevor er nach Berlin gekommen ist, und war ein Grund, warum er überhaupt sich entschieden hat, nach Berlin zu gehen – nicht der einzige, aber ein wichtiger. Expressionistische Filme haben ihn vorher schon interessiert. Das nennt er auch immer wieder in Interviews, Filme wie "Metropolis" oder "Das Cabinet des Dr. Caligari". Das sind auch Dinge, die in seine eigenen Inszenierungen mit eingeflossen sind.
Die Figur des Thin White Duke, bei der ihm auch vorgeworfen wurde, dass das ein Flirt mit faschistischer Ästhetik war, war sicher auch viel mehr als das durch den Expressionismus zum Beispiel geprägt. Und hier in Berlin ist er sehr viel ins Brücke-Museum gegangen, hat vor allen Dingen die expressionistische Malerei da studiert und selber auch in Berlin ganz viel gezeichnet und gemalt, und man sieht die Einflüsse des deutschen Expressionismus doch relativ deutlich.
Timm: Wie sieht man das? Wie hat sich das niedergeschlagen in die eigenen Werke von David Bowie, dass er hier Heckel und Schmidt-Rottluff und Otto Müller betrachtet hat?
Heidemann: Wenn man in die Ausstellung geht, kann man zwei Werke aus dem Brücke-Museum sehen, worüber wir uns sehr freuen, zwei Werke von Erich Heckel, und in direkter Nachbarschaft hängen Bilder und Zeichnungen von David Bowie. Was die Arbeiten verbindet, ist ein Experimentieren mit ziemlich extremen Posen, in denen die Körper sich befinden, und das sind auch Posen, die David Bowie über die Malerei und Zeichnungen hinaus interessiert haben, wie man dann auch auf Fotostrecken aus der Zeit sieht, oder ganz deutlich auf Covern.
Auf dem "Heroes"-Cover zum Beispiel, was eine direkte Referenz ist auf einen Heckel-Holzschnitt, das Männerbildnis, den wir auch in der Ausstellung haben, oder er hat auch gemeinsam mit seinem Freund Iggy Pop, der zur selben Zeit mit Bowie hier gewohnt hat, und Bowie und Iggy Pop haben gemeinsam das Cover für Iggy Pops Album "The Idiot" entwickelt, wo Iggy Pop in der Pose des Roquairol, den Erich Heckel in Öl gemalt hat und den wir zeigen können, posiert.
Timm: Nun hat man das so gegenüber: das Plattencover, das entstanden ist letztlich aus einem Porträt von Erich Heckel mit einer ganz extrovertierten Pose der Figur. Das muss David Bowie ja sehr gereizt haben, gerade das Extrovertierte des Expressionismus. Ist das so?
Heidemann: Ja, das ist sicher so, und das wird in der Ausstellung jetzt ganz anschaulich deutlich. Die visuellen Analogien sind ohne weiteres zu ziehen, wenn man diese expressionistischen Bilder und die Plattencover und auch die eigenen Malereien und Zeichnungen Bowies vor sich hat.
Timm: Wir sprechen mit Christine Heidemann, morgen eröffnet in Berlin eine große David Bowie Ausstellung. Seine große Zeit waren eigentlich nur die 1970er. Da hat er gemalt, Kostüme entworfen, sich auch optisch immer wieder neu selbst erfunden, diese ganz grell geschminkte androgyne Kunstfigur, die er aus sich selber machte, oder "We can be heroes just for one day", diese berühmte Zeile entstand hier in Berlin. Aber Hand aufs Herz, Frau Heidemann: Würde man den Maler David Bowie wirklich ausstellen, wenn es den Musiker David Bowie nicht gäbe?
Heidemann: Da stellen Sie mir eine schwierige Frage. Wie ich schon ausgeführt habe, sind diese Bezüge zum Expressionismus überaus deutlich, und das ist natürlich auch etwas, was nicht immer unbedingt das Allerinteressanteste ist. Ich finde persönlich, dass die Zeichnungen und Holzschnitte von David Bowie sehr viel interessanter sind als seine Malerei. Ich muss es leider so sagen.
Timm: Das ist ehrlich, wenn auch vornehm formuliert. Was konnten Sie denn noch für Ergänzungen zur Ausstellung beisteuern, an Aspekten aus dieser Berliner Zeit von David Bowie?
Heidemann: Mir war auch sehr daran gelegen, für die Berliner Station dieser Ausstellung aus dem V&A in London etwas zu schaffen, den Besuchern etwas zu bieten, wo sie Dinge wiederentdecken können, die sie aus der Stadt kennen, oder Dinge aufsuchen können, wenn sie den Martin Gropius Bau verlassen, der sich ja nun auch an sehr exponierter Stelle befindet, ganz nah am Potsdamer Platz, um die Ecke der Hansa Studios, wo Bowie, während er hier in Berlin war, viele seiner Titel aufgenommen hat.
Es gibt daher eine große Sammlung von Fotografien. Viele davon waren auch noch nie öffentlich zu sehen. Viele kommen aus dem David Bowie Archive, die unterschiedliche Orte zeigen, die für Bowie in der Zeit, als er hier gelebt hat in Berlin, wichtig waren.
Timm: Die 1970er in Berlin, das war ja auch eine Zeit, da hatte die Stadt einen ganz speziellen Duft, war so eine Nische, ziemlich verschmuddelt, man musste nicht zur Bundeswehr, lange entfernt von Mauerfall. Was hat David Bowie hier gesucht und was hat er hier gefunden?
Berlin war für David Bowie ein Rückzugsort
Heidemann: In Interviews sagt David Bowie immer wieder, dass ein Grund, nach Berlin zu gehen, für ihn war, dass er hier zur Ruhe kommen wollte, dass er Berlin als eine Art Rückzugsort gesehen hat oder sich das zumindest erhofft hat, als er herkam. Er hatte ziemlich turbulente Jahre hinter sich, eine anstrengende Zeit in Los Angeles, war ausgepowert, hatte ein Drogenproblem und hat sich in Berlin erhofft, dass er hier relativ unbehelligt und ruhig leben könnte.
Timm: Hat auch geklappt?
Heidemann: Das hat auch wunderbar geklappt. Er war ja zu der Zeit schon ein Superstar, aber er konnte hier ziemlich unerkannt sich in der Stadt bewegen.
Timm: Wie sehen Sie denn eigentlich diese schillernde Kostümwelt, in die sich Bowie ja auch immer wieder neu hineinfantasiert hat? Was erzählt die uns von ihm?
"David Bowie als Person ist schwer zu fassen"
Heidemann: Diese Kostümwelt erzählt uns über Bowie, dass er selber ein großes, großes Interesse hat an Theater, auch an Theatergeschichte, an Film, und sein größtes Vergnügen eigentlich über die Jahre immer war, sich als Figur neu zu erfinden.
David Bowie selber als Person ist schwer zu fassen, finde ich. Das ging mir auch bei den Recherchen zur Ausstellung so, weil es immer wieder ganz neue Charaktere sind, mit denen er spielt, und das hat ihm, glaube ich, sehr viel Vergnügen bereitet, oder tut es ja immer noch.
Timm: Christine Heidemann, sie hat als Kuratorin für die Ausstellung über David Bowie am Berliner Martin Gropius Bau entscheidend mitgearbeitet. Die Ausstellung öffnet morgen, da können Sie den Popkünstler in all seinen schillernden Fassetten sehen. Jetzt wollen wir doch wenigstens kurz was von ihm hören. Was denn? Berliner Jahre, David Bowie.
Heidemann: Ja. Wir müssen "Heroes" hören, wenn es um Bowies Berliner Jahre geht.
Timm: Unbedingt! – Vielen Dank, Frau Heidemann.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.