Für das Museumsteam im Gropius-Bau ist die Ausstellung auch eine neue Herausforderung, sagt die Kuratorin Stephanie Rosenthal im Interview in Deutschlandfunk Kultur. Damit alles auch weiter wächst und gedeiht, blicken professionelle Helfer regelmäßig auf das Befinden der Flora und Fauna. Es handele sich schließlich um lebende Organismen, sagte Rosenthal. Auch im Team stelle sich jetzt heraus, wer Pflanzen mag und wer nicht. Audio Player
Der Garten als Metapher für den Zustand der Welt
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Im Berliner Martin-Gropius-Bau beschäftigen sich 20 internationale Künstlerinnen und Künstler mit dem christlichen Ursprungs- wie fantastischen Sehnsuchtsort: dem Garten. Die Ausstellung lädt zur kritischen Reflexion ein oder einfach nur zum Tagträumen.
Im Garten liegen - gebettet auf samtigen Kissen und über einem ein Blütenmeer, das sich in einem an die Decke projizierten Video bunt ausbreitet. Im Garten sitzen – auf einer geschwungenen Bank, vor Gemälden, auf denen in bezaubernden Pastellfarben Seerosen zu erahnen sind. Durch den Garten wandeln, zwischen echten duftenden Jasmin-Sträuchern hindurch und mannshohen, großflächig gepunkteten Tulpen.
"Ich denke, das ist das, was wir versucht haben mit dieser Ausstellung: Wir wollen nicht vergessen, dass wir als Institution die Aufgabe haben, auch eine neue Perspektive auf unsere Welt zu geben, aber deswegen darf man ja nicht nicht genießen, nicht?", sagt Stephanie Rosenthal, Direktorin des Gropius-Bau.
So ist dieser künstlerische Ausflug ins Grüne zunächst mal vor allem eins: ein sinnliches Erlebnis. Überall sprießt es. Es riecht betörend, befremdlich, es knistert, wispert und vor allem leuchtet es: pink, violett, gelb, rot und grün. Doch die Schönheit dieser Künstlergärten – sie ist auch trügerisch. Aus kleinen Vogelhäuschen tönen menschliche Stimmen, manche Blumen haben Augen anstelle von Blüten. Andere verspeisen Riesenwürmer.
Und die Videovision des Garten Eden, die Pipilotti Rist entworfen hat, ist so fantastisch wie schräg. In ihrem an die Decke projizierten Videofilm zerteilen sich die Blüten, zerfließen und umschmeicheln die Gesichter der Frauen, die durch diese Natur streifen.
"Das ist ein Paradies, wo es nur Frauen gibt, wo der Mann einmal nur auftaucht als großer Hoden unter der Decke – aber so abstrakt, dass man es sich zwei, drei Mal angucken muss, um zu wissen: Was sind eigentlich diese zwei, drei Sekunden der schrumpeligen Haut da über mir", erklärt Stephanie Rosenthal.
Betörend und verstörend ist dieser Garten der irdischen Freuden also im Martin-Gropius-Bau. Er ist christlicher Ursprungs- wie fantastischer Sehnsuchtsort. Voll Harmonie, voll Chaos. Natürlich und künstlich. Ausgangspunkt ist das Hieronymus-Bosch-Gemälde "Garten der Lüste", das hier in einer Version seiner Schüler gezeigt wird – in all seinen fantastischen Verwicklungen.
"Das ist ein bisschen mit einem Augenzwinkern, weil ja der Originaltitel des Triptychons von Hieronymus Bosch 'Garten der Lüste' ist. Wir haben es 'Garten der irdischen Lüste' genannt, weil wir auch über die Seite sprechen wollen, dass Künstlerinnen auch den Garten nutzen, um politische Aussagen zu machen."
Der Garten als Symbol der Hoffnung
Themen wie Migration und Kolonisierung spielen beispielsweise eine Rolle. Samen und Pflanzen erzählen in weiteren Installationen von ihrer Geschichte als koloniales Raubgut. An anderer Stelle wird das Grün zum Sinnbild für unseren Umgang mit Ressourcen. Und es gibt den Garten als ein Symbol der Hoffnung: So wirft Uriel Orlow in einer großformatigen Fotografie einen Blick in einen betonierten Hof, an dessen Rand nur ein Flecken Grün dem Grau in Grau trotzt.
"Hier sieht man den Gefängnishof von Robin Island, wo Nelson Mandela und seine Mitinsassen 18 Jahre inhaftiert waren. Und in diesem Hof hatten sie die Möglichkeit, einen kleinen Garten einzurichten. Der war vier Meter lang und ein Meter breit – ein ganz kleines Stück. Aber der Garten hatte eine wichtige Rolle gespielt. Mandela hat seine Biografie ‚Long Walk to Freedom‘ im Gefängnis geschrieben – und das Manuskript wurde im Garten versteckt."
Auch an anderer Stelle geht es um das Ein- und das Ausgrenzen in dieser künstlerischen "Gartenschau": In einem Raum sind grünliche Glasscherben als scharfkantiger Rasen ausgebreitet. Glasscherben, mit denen meist weiße reiche Bewohner Südafrikas die Gärten ihrer Villen vor unerwünschten Besuchern schützen.
Klimawandel und postkoloniale Debatten, Tradition und Vision, sinnliches Erleben und künstlerisches Konzept - das alles bringt diese Ausstellung erstaunlich spielerisch und vielfältig zusammen. Er ist so komplex wie entspannend - der Besuch in diesem Garten der irdischen Freuden: ein Ort der kritischen Reflexion - oder einfach nur ein bisschen zum Tagträumen.
Die Ausstellung "Garten der irdischen Freuden" im Martin-Gropius-Bau ist noch bis zum 1. Dezember 2019 zu sehen.