Über die Liebe zu Dingen
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Jeder Mensch in unseren Sphären besitzt durchschnittlich 10.000 Dinge. Welche davon brauchen wir wirklich? Was verbinden wir mit ihnen? Eine Ausstellung im Museum Morsbroich in Leverkusen nimmt unser Konsumverhalten kritisch in den Blick.
"Das ist ein Tagebuch von einem Mädchen, was über ihren Geburtstag schreibt… Auch Bücher wie ‚Wie werde ich reich?‘ und so…"
Carsten Bott steht inmitten von Kisten, vollgestopft mit Gegenständen, die andere loswerden wollten. Seit 40 Jahren sammelt der Frankfurter Künstler auf Flohmärkten oder auf der Straße: Nippes, Ramsch, vieles schon etwas angegammelt. Botts sogenanntes "Archiv für Gegenwartsgeschichte" besteht aus Gegenständen, die 100 Jahre alt sind, und aus Gegenständen, jüngsten Datums.
Was auf den ersten Blick nach einem messiehaften Sammelsurium aussieht, entpuppt sich auf den zweiten Blick als wohl sortierte ‚Ordnung der Dinge’. Jeder Gegenstand steht symbolisch für eine Lebensphase.
"Die Geburt und der Tod, die Familien und Jugend, Schule, dann kommt gleich Sex, Familienalbum, Drogen, Feiern, dann hier Sport und hinten der Tod."
Dargestellt als Plastiktotenkopf. Der Besucher betritt Botts Installation aus Hunderten von Objekten über Holzstege. So kann er sich die Püppchen, Comichefte, Kleidungsstücke oder Fotos aus der Distanz ansehen.
Unser Verhältnis zur Warenwelt auf dem Prüfstand
Botts Archiv wirft Fragen auf, die sich auch andere Künstler in der Ausstellung "Liebes Ding – Object Love" im Museum Morsbroich in Leverkusen stellen. Warum brauchen wir so viele Gegenstände? Welche Erinnerungen verbinden wir mit ihnen? Wann ersticken wir endgültig im Müll? Und vor allem: Wie kann man mit Hilfe der Kunst unser Verhältnis zur bunten Warenwelt auf den Prüfstand stellen?
Der Niederländer Ted Noten ließ Goldringe in Acrylharz gießen. Jetzt stehen sie wie Skulpturen in Handtaschenform auf einem Podest. Nutzlose Prestigeobjekte: Viel wert und zugleich wertlos, weil sie an keinen Finger mehr passen.
Die Fotoserien von Ari Versluis und Ellie Uyttenbroek zeigen Kleidung als Kommunikationsmittel: Sie signalisiert, zu welcher Gruppe wir gehören möchten. Melanie Bonajos großformatige Fotos zeigen Frauen, die zwischen Bügelbrettern, Leitern, Fahrradsätteln und Stühlen feststecken. Anne Berk, Kuratorin aus Amsterdam, hat Melanie Bonajo zusammen mit 21 weiteren Künstlern für die Ausstellung im Museum Morsbroich ausgewählt.
"Ihr ganzer Körper ist eingeschnürt, man kann sehen, sie ist nicht froh da, es heißt ‚Furniture Bondage‘, so etwas wie sexuelle Bondage mit ihren eigenen Sachen, und die Künstlerin sagt: ‚Ich habe den Eindruck, dass die Dinge mich bestimmen, anstatt dass sie mir nützlich sind. Ich will eigentlich weniger besitzen‘."
Ihre Fotos wirken beklemmend, aber auch ein bisschen lustig. Die Ausstellung bietet viele Ansätze, um über unsere Beziehung zur materiellen Welt nachzudenken. Es geht um Ökologie, um technologischen Fortschritt, um Identifikation und um die ‚Sprache’ der Gegenstände. Damit packt "Liebes Ding" politische, kulturphilosophische und psychologische Themen an.
Innige Beziehung mit einem Flipperautomaten
Einen besonders verstörenden Eindruck hinterlassen die Videoarbeiten von Katharina Allhäuser. Darin geht es um das Phänomen Objektsexualität.
"Ich habe vier Filme gemacht über Frauen, die in Beziehung sind mit einem Objekt, das ist einmal eine Frau, die mit einem Klaviernotenständer eine Beziehung hat, eine ist in das Flugzeugmodel Boeing 737-800 verliebt ist und eine andere, die eine Beziehung mit einem Flipperautomaten hat, und die vierte, die mit einem Laptop zusammenlebt."
Sex mit einer Boeing, ‚kampfschmusen’ mit einem Notenständer. Die Beziehung zu den Dingen kann bizarre Formen annehmen. Einer, der schon in den 60er-Jahren unser libidinöses Verhältnis zu Autos in Szene gesetzt hat, sei Thomas Bayrle, sagt Anne Berk.
"Der hat schon 1969 diese Siebdrucke gemacht. Man sieht einen VW und jeder Pixel ist auch wieder ein VW, man sieht eine Explosion von VW."
Die Ausstellung "Liebes Ding" vereint Künstler, die unser ambivalentes Verhältnis zu den Objekten mal besorgt, mal spielerisch und manchmal auch etwas didaktisch in ihren Werken thematisieren. Kuratorin Anne Berk möchte die Besucher aufwecken. Sie sollen sich weigern, beim Konsum-Stumpfsinn weiterhin mitzumachen. Vielleicht mutet sie der Kunst damit etwas zu viel zu, aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.