Ausstellung in Berlin

Das Zeitalter der Egos

Mann in einem Barbershop
Mann in einem Barbershop © imago/Westend61
Von Simone Reber |
Der Spiegel gilt als unbestechlich. Aber nicht was wir sehen, sondern was wir davon halten, formt unsere Wirklichkeit. Die Ausstellung "Mirror Images" im Medizinhistorischen Museum der Berliner Charité geht der Frage nach, wie der Spiegel unsere Wahrnehmung lenkt.
Die Goldene Scheibe an der Stirnseite des verdunkelten Raumes reflektiert das Licht eines Scheinwerfers. Daneben "Smoking Mirror", der rauchende Spiegel, eine schwarze, polierte Obsidianplatte. Im Glauben der Azteken bildeten sich darin Nachthimmel und Unwetter ab. In der Schering Stiftung inszenieren die beiden Künstler Sergio Krakowski und Otavio Schipper die unheimlichen Dimensionen des Spiegels, seine dunkle Macht, in jenseitige Welten blicken zu lassen.
"Die Arbeit handelt davon, dass man unterschiedliche Bewusstseinszustände erlangen und in Hypnose verfallen kann. Wir verwenden drei Objekte, eine Kristallkugel, eine goldene Scheibe und einen schwarzen Spiegel. Diese Objekte beziehen sich auf drei Werke aus der Sammlung des British Museum, die einem Magier aus der Renaissance gehörten, John Dee."
Der Blick in den Spiegel verrät die Zukunft
John Dee, Mathematiker und Mystiker, soll im 16. Jahrhundert die Krönung von Königin Elisabeth vorhergesagt haben. Der Blick in den Spiegel verriet ihm die Zukunft. Während sich die Besucher der Schering Stiftung dem Spiegelbild der Vergangenheit hingeben können, geht es im Medizinhistorischen Museum der Charité neuzeitlich wissenschaftlich zu. Aber auch dort verunsichert diese kaleidoskopische Ausstellung witzig und geistreich unsere Sinne.

"Was Du siehst, ist eine kleine Kiste, zwanzig Zentimeter hoch, vierzig Zentimeter breit und auf beiden Seiten gibt es Spiegel. Sie wird benutzt für die Therapie."
Andrew Wold, der wissenschaftliche Berater der Ausstellung, legt eine Hand in die Kiste, die andere bewegt er im Spiegel auf der Außenseite. Durch den optischen Reiz des Doppelbildes schlussfolgert das Gehirn, dass sich beide Hände regen. Die simple Konstruktion wird benutzt, um Phantomschmerz zu heilen.

"Das Problem bei einer amputierten Hand ist: Es ist sehr schwierig, ein Signal an ein Körperteil zu schicken, das nicht da ist. Wenn ich also hier in den Spiegel gucke, habe ich das Gefühl, als ob beide Hände da sind und ich schicke ein Signal durch meine visuelle Wahrnehmung. Und das ist der entscheidende Punkt, ich habe visuelles feedback, dass meine Hand da ist."
Spiegeltherapie
Ein einseitig armamputierter Patient wird mit der sogenannten Spiegeltherapie behandelt. © picture alliance / dpa / Foto: Bernd Thissen
So lassen sich die Augen bei der Wahrnehmung des eigenen Körpers vom Spiegelbild beeinflussen. Umgekehrt können die Augen auch andere Menschen spiegeln.

"Ich habe in der letzten Zeit gelernt, dass die Pupille so genannt wird, das bedeutet, kleine Puppe. Weil früher, wenn Leute rein geschaut haben, sie haben ihr eigenes Gesicht selbst gesehen. Sie haben eine kleine Puppe von sich selbst innerhalb der Augen von den anderen Leuten gesehen."
Gesprächspartner spiegeln einander – als Ausdruck von Respekt oder Empathie. In der Ausstellung hat die italienische Künstlerin Marta Dell’Angelo Menschen gebeten, das alte Kinderspiel zu wiederholen. Sie sollten sich anschauen ohne zu lachen. Da beherrschen sich zwei Jungs, dann zucken die Mundwinkel und beide prusten los. Sofort müssen auch die Betrachter schmunzeln. Schuld sind die Spiegelneuronen, die Mitgefühl und Eigennutz verbinden.

"Wahrscheinlich sind sie da, damit wir effektiver lernen. Zum Beispiel, wenn ich lernen will, wie ich einen Löffel zum Mund führe. Jede kleine Komponente ist unglaublich aufwendig zu lernen für das Gehirn. Wenn wir eine Art Baugerüst haben, dann ist das viel einfacher. Wenn wir sehen, wie jemand das macht, können wir das tatsächlich selbst machen."
Beobachtet von zwei Kameras
Der Spiegel der Moderne ist die Kamera. Der amerikanische Künstler Dan Graham lässt die Besucher von zwei Kameras beobachten, die ihr Signal mit fünf Sekunden Verzögerung auf zwei verschiedene Monitore schicken. Während man schon an der einen Kamera vorbeigegangen ist, sieht man sich noch auf dem Monitor auf diese Kamera zukommen. Die komplexe Versuchsanordnung trennt den Augenschein von der physischen Körperwahrnehmung. Diese Kluft zwischen sich selbst und dem Bild der anderen hat die Kuratorin Alessandra Pace am Spiegelbild interessiert.

"Ich glaube, dass in diesem Zeitalter, in dem Egos sehr mächtig geworden sind, und das sieht man z.B. an dem Phänomen des Selfies, das sind so konstruierte Abbildungen von sich selbst, die sich zelebrieren und verhübschen, da ist es schon interessant zu sehen, dass die philosophischen Fundamente der Identität eigentlich sehr flexibel sind, weil die physiologischen Gründe so flexibel sind."

Nicht das Auge sondern das Gehirn gestaltet unser Körperbild. Nicht was wir sehen, sondern was wir davon halten, formt unsere Wirklichkeit. Nach dem Blick in all die Spiegel wirkt das vertraute Bild ganz fremd.

Weitere Informationen zu der Ausstellung "Mirror Images – Spiegelbilder in Kunst und Medizin" in der Charité