Zerfetzte Pappkameraden, zerschossene Kulissen
Für ihr Kunstprojekt reiste Herlinde Koelbl unter anderem nach Russland, in die Arabischen Emirate, nach China und Vietnam. Dort fotografierte sie bei Schießtrainings der Armeen und führte Interviews mit Soldaten. Die so entstandene Ausstellung wird im Deutschen Historischen Museum in Berlin zu sehen sein.
Frank Meyer: "Spuren der Macht - die Verwandlung der Menschen durch das Amt", vor allem diese Langzeitstudie hat die Fotografin Herline Koelbl berühmt gemacht. Ihre Beobachtung, wie sich Joschka Fischer oder Gerhard Schröder oder Angela Merkel oder viele andere durch ihre Ämter verwandelt haben. Das Deutsche Historische Museum in Berlin wird jetzt eine neue Ausstellung mit Fotografien von Herlinde Koelbl zeigen, "Targets" heißt diese Ausstellung, also Ziele, oder noch genauer Schießziele für das Training von Soldaten. Herlinde Koelbl ist jetzt hier bei uns im Studio. Seien Sie herzlich willkommen!
Herlinde Koelbl: Einen schönen guten Tag!
Meyer: Vor 30 Jahren hat sich Ihnen das erste Target eingeprägt – da haben Sie eine zerschossene Blechfigur auf einem deutschen Acker gesehen. Können Sie sagen, was Sie daran so berührt hat oder interessiert hat, dass Sie jetzt 30 Jahre lang dieses Projekt verfolgt haben?
Eine Figur im kalten Morgenlicht auf einem Acker
Koelbl: Die Figur selber stand in diesem kalten Morgenlicht auf einem Acker, und normal hat man ja nichts mit Militär zu tun, man sieht diese Figuren ja auch nicht. Also es hatte so den Umriss eines Menschen, groben Umriss eines Menschen, und die Sonne kam so im Gegenlicht durch diese zerschossenen Löcher durch, und es sah gespenstisch und schön zugleich aus. Und faszinierend, hatte aber auch etwas, durch diese Löcher auch, ganz klar das Signal von Gewalt, auch von Tod. Also man sah, wie sie zerfetzt war. Und das habe ich fotografiert, und das Bild wurde auch nie veröffentlicht, aber es hat mich nicht losgelassen.
Und dann habe ich jetzt vor sechs Jahren angefangen, das Thema wieder aufzugreifen. Also es ist 30 Jahre her, aber vor sechs Jahren habe ich wieder angefangen, das Thema wirklich anzufassen, und habe angefangen, dann Kontakte zu knüpfen. Und es war klar, dass ich es nicht nur in Deutschland sozusagen sehen will, was es für Ziele eigentlich gibt, sondern ich wollte eben international das Projekt anlegen, damit man wirklich sieht, wie sieht eigentlich die Militärwelt aus, sprich wie sehen die Schießziele aus, an denen Soldaten konditioniert werden? Wie sieht der Feind aus? Hat er ein Gesicht?
Meyer: Sie haben das ja sehr energisch angefasst in diesen sechs Jahren und waren in 30 Ländern, auch in Ländern, wo ich nicht vermutet hätte, dass man da auf eine militärische Schießanlage gelassen wird. In China zum Beispiel – war es in China am schwierigsten, da rein zu kommen, oder in anderen Ländern?
Koelbl: Es war in mehreren Ländern sehr schwierig und brauchte einen langen Atem. Also, um in die Arabischen Emirate zu kommen, habe ich vier Jahre gebraucht, nach Russland zwei Jahre – das sind nur so kleine Beispiele, wie lang manchmal es brauchte, um eine Genehmigung zu bekommen, weil Militär grundsätzlich natürlich eine geschlossene Gesellschaft ist und misstrauisch ist, und in dem Fall kam noch etwas dazu: Die sind gewohnt, dass Anfragen kommen, wir wollen also Soldaten in Action haben, wir wollen die neuen tollen Waffen haben. Nein, da kommt jemand an und fragt: Wir wollen Schießziele fotografieren. Schießziele war für das Militär kein Thema. Das war so ein Nebenbei-Thema. Da guckt man nicht hin, ist auch nichts Tolles, Pompöses, wie Waffen.
Also haben sie erst mal gedacht, was steckt da dahinter. Und dann haben sie aber doch gesehen, dass das ein interessantes Kunstprojekt ist oder mal was anderes ist, und haben dann nach langem Hin und Her oft zugesagt. Manchmal ging es auch schneller, Gott sei Dank, aber dann wurde ich dann doch reingelassen.
Meyer: Ich hätte vorher ja gedacht, dass diese Schießziele im Prinzip überall gleich aussehen. Eben ein abstrakter Umriss eines menschlichen Körpers, wie Sie es für diese Blechfigur beschrieben haben, aber das ist ganz offensichtlich nicht so, dass die gleich aussehen?
Die Amerikaner schossen auf einen Iwan mit rotem Stern am Helm
Koelbl: Das stimmt. Es ist also wirklich eine große Verschiedenheit da, speziell auch kulturelle Unterschiede, und es kommt noch etwas dazu, einerseits durch die Veränderung des Feindbildes – mein amerikanischer Begleiter sagte, wir sind noch trainiert worden auf die Figur, das ist so ein grünes, dreidimensionales Männchen, heißt übrigens Iwan, mit einem roten Stern am Helm.
Und jetzt gibt es diesen Stern natürlich nicht mehr, Sowjetunion, der Feind ist Vergangenheit. Das heißt, man weiß es ja jetzt nicht mehr so ganz genau. Aber es war Vergangenheit. Und der neue Feind sah, man sieht es an den Bildern, man sieht es an der Videoinstallation, orientalisch gekleidet aus – nennen wir es mal so. Die Häuserkampfanlagen sind dementsprechend ausgebildet – orientalische Dörfer. Und so hat sich das Feindbild verändert, und natürlich auch noch, von welcher Seite aus sieht man den Feind? Wenn ich in Kurdistan bin, sieht der Feind anders aus, in Südkorea oder in China sieht der Feind anders aus, als wenn ich in Amerika den Feind sehe. Es ist immer die Frage, wer ist der Feind, und jeder glaubt auch, dass er der Gute ist und auf der richtigen Seite steht.
Meyer: Eine Tendenz scheint zu sein, wenn ich Ihr Buch richtig verstehe, dass die Feinde eigentlich, die Darstellung dieser Schießziele immer menschlicher werden, sich immer mehr einem realen menschlichen Körper annähern. Warum ist das so?
Koelbl: Es ist natürlich – ein Ziel ist sicherlich eine Desensibilisierung. Im Zweiten Weltkrieg haben – ich weiß nicht mehr die Zahl ganz genau – nur eine ganz bestimmte Prozentzahl dieser Soldaten ihre Waffen wirklich abgefeuert. In Vietnam waren es schon sehr viel mehr. Und diese Desensibilisierung durch das Training ist auch ein Ziel. Und das Neueste ist ja auch, dass in ganz, ganz vielen Ländern mit sogenannten Simulationssystemen gearbeitet wird inzwischen. Das heißt als, der Soldat, seine Waffe, alles, was nur irgendwie geht, wird technisch vernetzt und elektronisch. Und somit sieht man genau, wann man getroffen wird, wie man getroffen wird – ob man schon tot ist oder noch schießen kann. Und man schießt direkt auf den Kameraden, der den Feind spielt. Das heißt also, auch da ist eine Desensibilisierung, dass man direkt auf die Menschen schießt. Und diese Systeme werden auch sehr viel mehr jetzt in den verschiedenen Ländern eingesetzt.
Meyer: Deutschlandradio Kultur, die Fotografin Herlinde Koelbl ist bei uns zu Gast. In dieser Woche wird ihre Ausstellung "Targets" im Deutschen Historischen Museum Berlin eröffnet. Man findet in dem Katalog zu der Ausstellung auch Bilder von Soldaten selbst, Porträts von Soldaten. Die haben Sie fotografiert, weil sie selbst natürlich immer auch Ziele sind für ihre Gegner?
Koelbl: Ja, genau. Ein ganz wichtiges Erlebnis war für mich eben auch, an einem großen Schießplatz, wo ich, als ich fragte, wo sind denn hier die Ziele – dann sagte er, wir haben keine Ziele, unsere Ziele sind die lebenden Soldaten, eben, weil sie diese Simulationssystem verwendet haben. Daraufhin habe ich gesagt, natürlich hat der Recht, in letzter Konsequenz sind es immer die Soldaten oder Zivilisten auch natürlich, die Ziele. Und man sieht es an den vielen Soldaten, den Friedhöfen auf der Welt, dass sie die Ziele waren und bei jedem Krieg auch sind. Daraufhin habe ich also Soldaten porträtiert auf der ganzen Welt, also ihre Gesichter zu sehen, sozusagen, dass ist die letzte Konsequenz, das letzte Ziel, sodass auch der menschliche Aspekt, und dann wirklich, was es bedeutet zu töten – das war mir wichtig, das zu zeigen, und deshalb auch die vielen Porträts von Soldaten.
Meyer: Das haben Sie durch die Porträts zu erfassen versucht. Aber Sie haben sich auch berichten lassen von Soldaten, was der Einsatz im Krieg und eben das Töten und das Trainieren des Tötens mit ihnen angestellt hat. Was haben Sie erfahren von den Soldaten darüber?
Fürs Überleben und fürs Töten trainiert
Koelbl: Viel. Sie waren sehr offen, weil ich ihnen Anonymität zugesichert habe. Und es ist ja so, dass sie einerseits fürs Überleben trainiert werden, aber ganz gezielt auch zum Töten, beides.
Viele haben gesagt, na ja, to kill and to be killed, is part of the job. Oder der eine sagte, es war also doch sehr emotional, ein ganz großes Gefühl, das Blut des Kameraden an den Händen zu haben, wie er verletzt wurde und dann starb. Aber es hat ihm nichts ausgemacht – straight back to business. Oder ein anderer sagte mir, Töten lernen muss automatisiert werden, damit man wirklich funktioniert im Ernstfall.
Und so gab es noch viele, viele Geschichten über Angst, aber auch über das Töten, über die Kameradschaft und wie das ist, wenn man heimkommt. Und natürlich, das Leben ist ja weitergegangen, und man kommt zurück und findet sich nun nicht mehr so richtig zurecht in der Familie, aber auch, wie das ist, wenn man mit diesen Erlebnissen, die man im Krieg hatte, eben fast getötet zu werden, aber auch getötet zu haben, wie man damit umgeht. Und das war mir wichtig, dass man nicht nur die Ziele sieht, sondern auch die Gedanken der Soldaten, was sie erlebt haben, dass man noch eine zusätzliche Ebene hat und viel tiefer gehen kann von dem, was es bedeutet, wie gesagt, schießen lernen, töten lernen, überleben. Und dann das, was man erlebt hat, wieder nach Hause zu bringen in die Familie, in die Gesellschaft.
Meyer: Würden Sie denn sagen, Ihre Ausstellung ist eine pazifistische Ausstellung?
Koelbl: Wissen Sie, jeder will eine Richtung haben in dieser Ausstellung. Die anderen meinen, es müsse doch für Militär sein, die anderen sagen, es ist gegen Militär. Ich würde sagen, ich zeige etwas, was man in dieser Form noch nicht gesehen hat oder eine neue Sichtweise und neue Erkenntnisse bringt durch die verschiedenen Ebenen, durch die Bilder. Andererseits durch die Aussagen der Soldaten, die auch in einer Hörstation noch mal extra Gehör finden.
Und dazu noch durch eine Video-Installation und durch Zitate, die in der Ausstellung angebracht sind, sodass es eine mehrdimensionale Ausstellung ist, und dass man ganz viele Ebenen von Soldaten, von Krieg, von Tod, von Gefahr erlebt und vielleicht auch neue Erkenntnisse mitbringt. Aber auch, was ich wichtig finde, dass unsere Gesellschaft auch darüber diskutiert, wenn ich daran erinnere, dass, wie die deutschen Soldaten nach Afghanistan gingen, hieß es, sie bauen Brunnen. Natürlich haben sie das auch gemacht. Aber sie waren auch im Krieg. Und ich glaube, das ist eine gesellschaftliche Diskussion, die, denke ich, geführt werden muss, wenn deutsche Soldaten überall hingeschickt werden, nicht überall, aber in viele Länder geschickt werden.
Meyer: "Targets", eine Ausstellung mit Fotografien von Herlinde Koelbl. Die Ausstellung wird am Donnerstag im Deutschen Historischen Museum Berlin eröffnet. Frau Koelbl, ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch!
Koelbl: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.