Ausstellung in Bremen

Auf den Igel gekommen

In der Igelstation in Neuzelle (Brandenburg) ist ein kleiner zusammengerollter Igel zu sehen.
In der Igelstation in Neuzelle (Brandenburg) ist ein kleiner zusammengerollter Igel zu sehen. © picture alliance / dpa / Patrick Pleul
Von Anette Schneider |
Mit dem herkömmlichen Kunstbegriff kann Lili Fischer nichts anfangen, oft dient ihr die Natur als Quelle der Inspiration. Neuerdings ist die Documenta-Künstlerin auf den Igel gekommen. Ab Sonntag kann man ihm in der Bremer Böttcherstraße begegnen.
Sie blicken durch die Hecken, die Lili Fischer aus braunem, mit Gestrüpp bemaltem Papier schuf und an die Wände der Ausstellungsräume lehnte. Sie kleben als Silhouetten aus grauem Filz hinter Türen oder klettern die Treppe hoch ins zweite Stockwerk. Sie wuseln über Zeichnungen und durch Videofilme.
Auf den Igel kam Lili Fischer, als sie vor etwa zehn Jahren ein verletztes Tier in ihrem Garten fand. Sie fütterte es und lockte damit weitere an. Bald schon beobachtete und zeichnete sie die Tiere ganze Nächte durch. Und je länger sie das tat, desto mehr Fragen hatte sie, zum Beispiel:
"Was passiert mit einem Igel im Winterschlaf? Wie sucht der sich sein Nest? Und dann dachte ich: „Was für ein heiliges Tier, das die ganze Zeit geschlafen hat, und jetzt kommt er mit irgendeinem Wissen wieder raus."
Wenn Lili Fischer von etwas fasziniert ist, - seien es Wolken, Schnaken oder Wischlappen - widmet sie sich ihrem Gegenstand mit Haut und Haaren. So war es auch bei dem Igel, den sie jetzt endlich in die Kunst einführte: Auf Zeichnungen, Skulpturen und in einer Performance stellt sie die Ergebnisse jahrelanger Feldforschung vor: einen Igelkosmos, zu dem auch eine Skulptur gehört, die sie vor einiger Zeit für das Freilichtmuseum Detmold entwickeln sollte.
"Und dann dachte ich, das kann ja nur ein großer Igel sein, der sozusagen alle Igel auch im Winterschlaf vertritt. So entstand dann Balthasar, der goße Vorsitzende des Igelgeheimbundes."
"Es gibt so unterschiedliche Igel-Charaktere wie Menschen"
Mit seinem riesigen Tonkopf und dem drei Meter großen Körper aus Borsten passte er leider nicht ins Museum. Doch Lili Fischer zeigt ihn und die Igel-Hierarchie auf einer Zeichnung. Deren Basis: ein Gewimmel aus Menschen und Igeln, das sich pyramidenförmig zuspitzt - bis zu Balthasar. Auf anderen Zeichnungen stehen Menschen nebeneinander - zu ihren Füßen hockt je einen Igel.
"Weil: Ich hatte festgestellt, es gibt genau so unterschiedliche Igel-Charaktere wie Menschen. Der Faule, der Emsige, der Draufgänger-Igel, die sind alle unterschiedlich geartet."
Ein vier Wochen alter Igel sitzt am 27.09.2013 im Igelzentrum in Laatzen in der Region Hannover (Niedersachsen) auf einer Hand. Im Igelzentrum können jährlich etwa 1000 verletzte oder hilfsbedürftige Igel aufgenommen und versorgt werden (Foto: 2013)
Ein vier Wochen alter Igel sitzt im Igelzentrum in Laatzen in der Region Hannover.© picture alliance / dpa / Peter Steffen
Wenig später landete der Igel auf Lili Fischers Kopf: Auf einer großen, alten Spiegelkommode liegen zahlreiche so genannte Mützenigel. Das sind flauschige Stoffigel, die Lili Fischer auf Schirmmützen nähte. Mit ihnen auf dem Kopf reiste sie um die Welt - als Botschafterin in Sachen Igel. Fotos aus New York und Florenz belegen das.
Wenn man genau hinguckt, entdeckt man plötzlich überall Igel. So hängen über der Spiegelkommode etliche kleine Scherenschnitt-Porträts der Familie Bach. Und das, was die da auf ihren Köpfen trägt, nun ja, es sieht wirklich aus...
"Jedenfalls habe ich festgestellt, dass die komplette Bachfamilie ihn hatte: in den Haaraufsätzen und auch zum Teil in Nachtmützen waren versteckte Igel. Und ich habe sogar bei Paula Modersohn hinten, dieser Knoten, ist eigentlich auch ein versteckter Igel."
Faktisch ist der Igel also überall. Umso unverständlicher ist die Tatsache, dass ausgerechnet er kein eigenes Tierkreiszeichen erhielt!
"Das bedauere ich auch sehr. Und deshalb habe ich auch gleich gesagt, es wäre die Aufgabe des Igelgeheimbundes ein Tierkreiszeichen für den Igel zu verlangen, dass der mit am Firmament ist. Und dann habe ich entdeckt: Es gibt ein Haar der Benedikte. Das besteht aus so drei, vier, fünf Strahlen - das könnte man ja umfunktionieren."
Natürlich hat Lili Fischer längst vorgesorgt: Auf einer Zeichnung blickt ein Igel in den Nachthimmel - auf ein Igel-Sternenbild.
Meint die Künstlerin das wirklich ernst? Ja!
Von Anfang an fragt man sich in der Ausstellung: Meint Lili Fischer all das Ernst? Kann man wirklich so konsequent unsere aktuellen Probleme ignorieren, und sich exzessiv mit einem stacheligen Vierbeiner beschäftigen? Man kann, jedenfalls wenn man Lili Fischer heißt, und das Ergebnis derart abgedreht und erfrischend daherkommt. Der verrückte Kosmos des stachligen Sympathieträgers - er beschwingt. Und damit, so Kuratorin Verena Borgmann, gelänge es der Künstlerin...
"... unseren Blick eben auch zu öffnen für Dinge, die uns ja eben auch umgeben und die man sich nur näher anschauen braucht, um daraus für sich Positives zu nehmen."
Was gäbe es Positiveres als die Lust, die auch Igel umtreibt? Und so entwickelte Lili Fischer aus der Lust des Igel eine Performance, bei der Mitmachende eine der Igelmützen aufhaben sollten.
"Das kleinere Igelmännchen schnaubt ununterbrochen immer in den gleichen Schlangenlinien um das Hinterteil des Igelweibchens. Und dann hab ich gedacht, das bringt doch Spaß, das nachzutanzen. Und dann fand ich in so bayerischen Musikklängen so das Düdadüdadidada - so das Schnaub Schnaub Schnaub - also solche Walzerschritte. Und das hab ich dann eben ausgebaut in einen Igelschnaubtanz, den ich dann eben auch in den Museen anbiete, also dass man dann Abends auch mal so einen Igeschnaubtanz übt."
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