Die Ausstellung "AUSZEIT. Vom Faulenzen und Nichtstun" ist vom 29. April 2015 bis 30. August 2015 im Sprengel Museum Hannover zu sehen.
Sehnsuchtsbilder des süßen Nichtstuns
Längst weiß man, dass erst das Nichtstun kreativ macht. Doch ständig wächst der Arbeitsdruck, und viele Menschen sehnen die nächste Auszeit herbei. Das Sprengel Museum nimmt diese Sehnsucht ernst und widmet dem Nichtstun eine ganze Ausstellung.
Einige Männer reißen hemmungslos ihre Mäuler auf und gähnen. Eine Frau liegt entspannt in einer Hängematte und schläft. Menschen räkeln sich am Strand, toben und baden. Und eine junge Frau hockt in einem Sessel und streichelt gedankenverloren eine Katze.
Kaum steht man in der Ausstellung und sieht die ersten Bilder weiß man, was einem seit Wochen fehlt: Genau diese Momente der Ruhe und Entspannung.
"Man selber überprüft sich ja auch immer wieder: Inwieweit man Freizeit macht. Inwieweit man viel zu viel arbeitet. Und wie sich beides auch bedingt. Das ist ganz wichtig. Denn die Freizeit geht ohne die Arbeit nicht. Und umgekehrt. Also wenn wir arbeiten, denken wir häufig an die Freizeit. Wenn wir Freizeit machen, kommen wir manchmal nicht so richtig los von der Arbeit. Es ist eine Konkurrenz zwischen den beiden."
…sagt Kuratorin Dörthe Wilke. Sie durchforstete die Sammlung des Hauses, entdeckte über 600 Arbeiten zum Thema, und wählte gut 160 für die Ausstellung aus, die durch eine kluge Hängung erstaunlich viele Geschichten über das Faulenzen und Nichtstun erzählen - einem Thema, das aktueller kaum sein kann - und das doch schon sehr alt ist.
"Es durchzieht eigentlich den Alltag und die Menschheitsgeschichte. Aristoteles hat da schon drüber geschrieben. Viele Künstler haben sich damit immer wieder befasst, über den Müßiggang, inwieweit das auch produktiv ist für die Kunst, das Kunst-Schaffen auch erst ermöglicht."
Auf großer Leinwand sieht man einen Swimming Pool, in dem der Künstler Piero Steinle ruhig seine Bahnen zieht. Der Pool grenzt direkt ans Meer - Mensch und Natur scheinen eins. Etwas weiter skizziert Max Beckmann eine schlafende Frau in einem Kornfeld, erhöht sie zum Inbegriff eines paradiesischen Sommers. Plötzlich bricht die Idylle: Auf Fotografien aus den 20er Jahren sieht man ein überfülltes Strandbad, die Leute drängeln sich, im Vordergrund hockt eine erschöpft wirkende Frau, die Beine voller Krampfadern.
"In der Industrialisierung war es so, dass man nicht der Zerstreuung nachgegangen ist sondern die Ruhe auch brauchte. Das heißt, die Freizeit war absolut notwendig, um sich wieder für die Arbeit fit zu machen. Das kennt man natürlich heute auch noch."
Erzwungenes Nichtstun ist negativ besetzt
Geschickt konfrontiert Dörthe Wilke Sehnsuchtsbilder von Freizeit mit der Realität: Da sieht man alte Plakate, die bereits vor über hundert Jahren für Kreuzfahrten an der Riviera warben. Und direkt daneben hängen Aufnahmen von Walter Ballhause, der um 1930 Arbeitslose fotografierte, die resigniert am Straßenrand hocken. Das vermeintlich harmlose Ausstellungsthema entpuppt sich so als durch und durch politisch. Deutlich wird: Produktives Nichtstun muss man sich leisten können. Und: erzwungenes Nichtstun - wie etwa Arbeitslosigkeit - ist schnell negativ besetzt. In einer Gesellschaft, die sich ausschließlich über Arbeit definiert, gilt sie als Stigma. Und so zeigen Käthe Kollwitz, Walter Ballhause - und aktuell Boris Michkailov - das Leid der Betroffenen, ihre soziale Ausgrenzung.
"Es gibt ja auch dieses 'Ora et Labora', dieses 'Bete und Arbeite!', das wirklich auch vom Calvinismus herrührt und von den Lutheranern, dass man die Sinnerfüllung des Lebens in der Arbeit findet. Das gibt’s natürlich heute auch noch. Im Prinzip ist unsere Art, wie wir Arbeit wertschätzen, noch von der Reformation herrührend, also dass die Arbeit gottgewollt ist, dass die Faulheit auch eine Sünde ist, und eben nicht als Teil, als wichtigen Teil des Lebens und des Alltags mit einzubinden.“
Hohe Zeit, das zu ändern. Zum Beispiel mit bewusstem Faulenzen und Nichtstun. Denn das kann ungemein subversiv sein. Der tschechische Künstler Pavel Büchler etwa filmte über Jahre hinweg seine eigenen Zigarettenpausen, und schnitt hunderte Frequenzen für eine Videoarbeit hintereinander, die vorführt, wie man sich durch Rauchen leidigen Verpflichtungen entziehen kann. Dörthe Wilke:
"Das 'Recht auf Faulheit' wurde ja auch in der Zeit der Industrialisierung verschriftlicht. Es ist im Prinzip eine aus der Arbeiterbewegung heraus entstandene Schrift. Und das ist natürlich auch eine Art von Demonstration. Man kann schon sagen, dass das auch eine Positionierung von Widerstand ist: Nichts zu tun - weil man sich verweigert. Weil man dem Ganzen die Schnelligkeit nehmen will. Weil man auch sagt: 'Ich möchte da nicht mitmachen, ich möchte da entgegenwirken.'"
Notwendig ist dafür nur eines: Endlich aufzuwachen!