Info: Die Ausstellung "Beautiful Books: Dickens and the Business of Christmas" ist bis zum 19. April 2020 im Charles Dickens Museum zu sehen.
Wie Charles Dickens das moderne Weihnachten erfand
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Die Geschichte vom geizigen Scrooge, der an Weihnachten geläutert wird, kennt in England jedes Kind. Sein Erfinder, Charles Dickens, hat mit „A Christmas Carol“ nicht nur unser Bild von Weihnachten geprägt, sondern auch den Weihnachtskommerz angestachelt.
Es gibt wohl keinen Schüler und keine Schülerin in England, die nicht einmal "A Christmas Carol" ("Ein Weihnachtslied") von Charles Dickens aufgeführt hätten. Das Stück vom geizigen Verleiher Ebenezer Scrooge ist der Weihnachtsklassiker.
Auf das "Merry Christmas" reagiert Scrooge verächtlich: "Weihnachten ist eine Lüge." Am Ende aber ist Scrooge geläutert, zeigt sich großherzig und feiert doch noch mit seinem Neffen das Weihnachtsfest.
Simon Eliot ist Professor für Buchgeschichte an der University of London. Kurz vor Weihnachten 1843 habe Dickens seine Weihnachtsgeschichte in nur sechs Wochen niedergeschrieben, penibel die Illustrationen überwacht und einen gewaltigen Erfolg gefeiert.
"Sie zielte ganz bewusst auf eine neue Idee von Weihnachten ab. Natürlich wurde Weihnachten schon seit Jahrhunderten gefeiert. Aber das neue Weihnachten konzentrierte sich auf die Familie und feierte die Kinder. Es gab eine neue Vorstellung von Weihnachten."
Gehört unbedingt dazu: Schnee und Familie
Im Charles-Dickens-Museum in London ist die Originalausgabe des Buches zu bewundern, ein roter Leinenband mit vergoldeter Aufschrift. Neue Drucktechniken ermöglichten es, dass Dickens‘ Bücher nur halb so teuer waren wie die bis dahin üblichen Almanache.
Der Autor schrieb, angetrieben vom Erfolg von "A Christmas Carol", danach jedes Jahr wieder eine neue Weihnachtsgeschichte. Neben der Familie als zentralem Ort von Weihnachten fügte Charles Dickens dabei ein weiteres Erfolgsrezept hinzu: den Schnee.
"Der Schnee ist entscheidend, ganz besonders in Großbritannien. Jede fünfte oder sechste Erzählung spielt im Schnee. Eine Postkutsche erreicht ein schneebedecktes Dorf. Das ist typisch Dickens."
Damit waren alle Zutaten geschaffen, die heute unser Bild von Weihnachten prägen: die Familie im Zentrum, die an Weihnachten wie der geläuterte Ebenezer Scrooge an die Armen denkt, und die Kutschfahrt im Schnee. Ab den 1840er-Jahren verdrängte zwar die Eisenbahn die Postkutsche, aber der Mythos blieb.
Die erste Weihnachtskarte der Welt
Zeitgleich mit Dickens‘ erster Weihnachtsgeschichte entstand in London auch die erste gedruckte Weihnachtskarte der Welt. Louise Price, Kuratorin des Charles-Dickens-Museums, hält sie vorsichtig in ihren Händen.
"Sie wurde 1843 von Henry Cole entworfen, der später der erste Direktor des Victoria & Albert Museums in London wurde. Es handelt sich um eine wundervolle Szene mit einer Familie, die zusammen sitzt. Sie essen, trinken und feiern gemeinsam ein Fest. Und hier unten steht ‚Frohe Weihnachten und ein frohes neues Jahr‘."
1875 wurden in Großbritannien bereits 4,5 Millionen Weihnachtskarten pro Jahr mit der Post verschickt oder persönlich übergeben. Immer mehr Menschen im viktorianischen England lernten damals Lesen und Schreiben.
Dickens publizierte Kurzgeschichten für nur einen Penny, die sich sogar Arbeiter leisten konnten. Weihnachten wurde damit auch demokratischer und für breitere Bevölkerungskreise erschwinglich. Der gezielte Aufbau eines funktionierenden Post- und Transportwesens ließ Bücher, Karten und Geschenke ihren Siegeszug auf der Insel antreten.
"Vor diesem Hintergrund wurde den Händlern bewusst, dass es einen Markt gab für Grußkarten. Weihnachts-, Geburtstags- und Valentinskarten wurden immer häufiger gedruckt. Der Markt entwickelte sich weiter."
Weihnachtskommerz wurde Dickens zu viel
Der kommerzielle Erfolg des "neuen" Weihnachten wurde am Ende selbst Charles Dickens zu viel, obwohl gerade er selbst Wegbereiter der Kommerzialisierung von Weihnachten war. In einem Brief an seinen Verleger beklagte Dickens, wie viele Weihnachtsbücher es doch jetzt gäbe.
"Ich sehe nur noch Reproduktionen von alten Geschichten, die hin gepfuscht werden. Mit jeder weiteren Publikation imitiert man alles zu Tode."