DRAG: Self-portraits and Body Politics
HENI Project Space at Hayward Gallery in London
22. August bis 14. Oktober 2018
Drag als politische Performance
Drag hat eine lange Geschichte. Die Verwandlung der Geschlechter hatte schon in der Barockoper Tradition. Eine Ausstellung in der Londoner Hayward Gallery taucht in die Welt der Drag-Queens ein – und verhandelt die politischen Diskurse dahinter.
Ein warmer Sommerabend an der Londoner South Bank, dem Kulturviertel am Südufer der Themse. Von dem Spritzbrunnen, an dem sich kleine Kinder abkühlen, bis hin zum Eingang der Hayward Gallery zieht sich eine lange Schlange von Leuten, die gekommen sind, um sich eine auf einen einzigen Raum beschränkte Foto- und Videoausstellung anzusehen. Das Thema "Drag" trifft ganz offensichtlich den Nerv einer Zeit, in der die Verhandlung von Gender-Identitäten zum zentralen Politikum geworden ist.
"Autoportraits", Videos und Protestposen
In der Galerie selbst drängen sich bereits die geladenen Gäste vor den ebenso dicht behängten Wänden. Ein zweiteiliges Selbstbildnis von Robert Mapplethorpe, die kleinformatigen "Autoportraits" von Pierre Molinier in Strapsen oder die verwischte Protest-Pose des Francesco Copello mit der chilenischen Flagge. Man muss diese historischen Schätze richtiggehend suchen, so sehr verblassen sie in der grellen Umgebung des überlebensgroßen Antlitzes einer Cindy Sherman oder der Collage "His Majesty The Queen" von Luciano Castelli.
An der von Bildschirmen dominierten Wand gegenüber konkurrieren indessen Videos von Victoria Sin bis zu Genesis Breyer P. Orridge. Der Greenroom eines Cabarets sei seine Inspiration gewesen, erklärt Kurator Vincent Honoré, wo hinter der Bühne die Ehrengalerie aller bisher aufgetretenen Drag Queens und Kings ausgestellt ist - allerdings nicht in chronologischer oder thematischer Reihenfolge, sondern wild vermischt:
"Ich wollte keine Hierarchie herstellen oder Historisierung des Drag-Begriffs betreiben, sondern eine generationenübergreifende Ausstellung mit verschiedenen, manchmal widersprüchlichen Stimmen, die in unter dem Dach einer Galerie für sich selbst sprechen."
Mehr als lange Wimpern und Stöckelschuhe
Dieser Verzicht auf Kommentar wirft jedoch erst recht Fragen auf: Lässt sich etwa Valie Exports feministische Fotoserie "Identity Transfer" wirklich unter das Motto "Drag" einordnen? Und wie verhält sich die auf die Parodie von Geschlechterrollen aufbauende "Drag"-Tradition eigentlich zu einer aktuellen, non-binären Genderfluidität? Statt darauf Antworten zu suchen, dehnt Vincent Honoré lieber den Begriff über seinen landläufigen Gebrauch hinaus:
"Ich will dem Publikum vermitteln, dass es bei Drag nicht nur um lange Wimpern und Stöckelschuhe geht. Es ist eine politische Performance, ein Diskurs über Gender, aber auch über Klasse, Rasse und vielleicht sogar über Geschmack."
Ob sich so analog zu Gender-Rollen auch Klassenunterschiede und Rassendiskriminierung überwinden lassen, darüber lässt sich streiten. Am Ende funktioniert diese kompakte Ausstellung aber immerhin als Zelebrierung des Lebens außerhalb gesellschaftlich festgelegter Rollen, und als Erinnerung daran, dass die Infragestellung von Gender-Normen ganz sicher nicht vom 21. Jahrhundert erfunden wurde.