Die Entdeckung des Wunderbaren im Nützlichen
Hängende Mopeds und das Foucaultsche Pendel – in der Ausstellung "Eppur si muove" kommen Alt und Neu zusammen. Das MUDAM in Luxemburg zeigt die Geschichte der Technik mit allein 70 Leihgaben experimenteller Gerätschaften aus dem Musée des Arts et Métiers.
Rolf Julius, einer der großen Protagonisten der Sound Art, entwickelte unter dem Einfluss von Fluxus seit Ende der 70er-Jahre seine sogenannte "Augenmusik". Sieben schwarze Lautsprechermembranen hängen in einer geraden Reihe an langen Fäden von der Decke und lassen speziell komponierte Frequenzen ertönen. Durch sie werden Farbpigmente in Bewegung gesetzt, die Julius auf die Membranen gestreut hat, und die langen Bänder der Aufhängung vibrieren und versetzen diese minimalistisch-geometrische Installation in permanente Schwingung.
Gegenüber findet man in Vitrinen sogenannte Photophone. Sie stammen aus dem 19. Jahrhundert und vollbrachten das Kunststück, Töne durch Licht zu übertragen. Eine technische Sensation zu ihrer Zeit. Es sind Exponate des Pariser Musée des Arts et Métiers, jener Schatzkammer zur Geschichte des technischen Fortschritts, die unter anderem das Original des Foucaultschen Pendels beherbergt. Eine Replik des Pendels schwingt nun frei unter der 25 Meter hohen Decke der Eingangshalle des Musee d'Art Moderne, des MUDAM in Luxemburg. Aber sind nun all die Experimente und technischen Geräte der Vergangenheit plötzlich Kunst? Kurator Clément Minighetti.
"Die Sammlungen des Musée des Arts et Métiers widmen sich der Geschichte der Technik. Unsere Idee hier am MUDAM war es, mit diesen Sammlungen zu arbeiten. Wir wollten Verbindungen zur Kunst der Gegenwart finden. Wir wollten einen Weg finden, zu verstehen, wie eine solche Verbindung von Kunst und technischem Fortschritt aussehen könnte. Wir recherchierten, experimentierten, probierten aus, so wie hier mit dem Foucaultschen Pendel, das wir neu als Installation präsentieren und das zugleich historisch den Bereich der Naturphänomene umfasst. In diesem Fall der elektromechanischen Wellen. Oder wir arbeiten mit Licht, das Sound überträgt, oder, wie im ersten Kapitel der Ausstellung, mit dem Bereich der angewandten Erfindungen."
130 Arbeiten von Gegenwartskünstlern
Insgesamt 70 Leihgaben experimenteller Gerätschaften aus dem Musée des Arts et Métiers treffen hier raumgreifend auf 130 Arbeiten von Gegenwartskünstlern – darunter einige Unvermeidliche wie Olafur Eliasson, Alicia Kwade oder Thomas Ruff, die immer wieder für offensichtliche Referenzen zwischen Kunst und Naturwissenschaften herhalten. Zuweilen wirkt diese Ausstellung tatsächlich wie ein Lehrkabinett zur Wissenschaftsgeschichte. Doch die Entdeckung des Wunderbaren im Nützlichen, der Dialog zwischen Kunst und Wissenschaft ist kein Privileg der Gegenwart. Anders gesagt: Die Geschichte des technischen Fortschritts, so die These dieser Ausstellung, ist von Grund auf nicht zu trennen von der Kunstgeschichte.
Marcel Duchamp, Gottvater der Konzeptkunst, so Yves Winkin, wäre nicht der geworden, der er war, hätte er seinerzeit nicht das Musée des Arts et Metiers besucht. Denn Duchamp wie zahlreichen modernen Künstlern ging es nicht darum, Kunst im historischen Sinn des Wortes zu machen. Sie wollten etwas Neues, Anderes, das nicht einfach menschengemacht war, sie wollten keinen Geniekult mehr, sondern eine unpersönliche Kunst, die den Gesetzen der Natur und der angewandten Praxis gehorcht.
"Darin besteht der einzig wahre Einfluss dieser Maschinen hier auf einen neuen Weg, Kunst zu machen – auf Duchamps Weg, Kunst zu machen. Sehen Sie, das ist der Grund, weshalb ich wirklich gespannt bin auf die vielen Werke in dieser Ausstellung, und wie sie sich gegenseitig neu erhellen. Und es wäre schön, wenn Historiker und Kunsthistoriker gemeinsam diese Ausstellung sehen würden und dann wüssten, dass es für sie beide viel neue Arbeit gibt."
Viel neue Arbeit aber auch für das interessierte Publikum. Es steht staunend vor skulpturalen Apparaten zur Sichtbarmachung magnetischer Kräfte und im nächsten Moment vor einer Fernsehinstallation von Nam June Paik, vor deren Mattscheibe eine elektrische Spule gehängt ist, die das Bild geometrisch verzerrt. Auf dem Bildschirm läuft gerade eine Ansprache des amerikanischen Präsidenten Nixon und verweist damit zugleich auf die Zeit von Vietnam-Krieg und Watergate-Affäre. Der technische Fortschritt zeigt also durchaus auch seine geläufige militärisch-industrielle Kehrseite, die die Künstler-Wissenschaftler von heute unausweichlich immer mehr zu politischen Akteuren werden lässt.