Die Sonderausstellung "Provincia – Ingar Krauss, Ute Mahler & Werner Mahler, Hans-Christian Schink, Ulrich Wüst" ist bis 1. November 2020 auf Schloss Kummerow zu sehen.
Fünf Fotografen erkunden die Provinz
05:42 Minuten
Dem Leben abseits der Metropolen widmet sich eine Foto-Ausstellung in Schloss Kummerow. "Provincia" zeigt Bilder aus jenen Landstrichen und Orten, die sonst im Schatten der Zentren stehen.
In einem großformatigen Porträt des Fotografen Michael Wesely tritt der vor wenigen Wochen gestorbene Schlossherr von Kummerow dem Besucher noch einmal entgegen: Eine Viertelstunde lang hatte Torsten Kunert, Mitte 50, vor der Kamera gestanden für eine Mehrfachbelichtung. Aus der Überlagerung der Aufnahmen ergibt sich eine schemenhafte, wie vom Wind verwehte Gestalt.
"An der Fotografie hat ihn am meisten fasziniert, dass man die vergangene Zeit gut darstellen kann. Wie es hier im Schloss ja auch zu sehen ist: Das Schloss hat Falten und Narben, wie die Menschen auch", sagt Aileen Kunert.
Die Tochter des Kunstsammlers zeigt auf spiegelblankes, makellos restauriertes Parkett – und gleich daneben auf eine von Rissen durchzogene Tür. Ein spannungsreicher, idealer Ort für ein Museum mit prominenten Namen: Andreas Gursky, Wolfgang Tillmans, Thomas Demand.
"Es sind sehr großformatige Sachen dabei. Die hat er erst erworben, als feststand, dass hier die Fotografiesammlung reinkommt. Solche Riesenarbeiten kann man sich nicht ins Wohnzimmer hängen. Tatsächlich hat er Arbeiten von DDR-Fotografen schon vorher erworben. Die brauchen ja auch nicht viel Platz. Viele Konvolute, Sibylle Bergemann, Christian Borchert, Ute Mahler, Werner Mahler."
Häuser, Vorgärten, Gehöfte und Gehölz
Mit einem Konvolut startet die erste Sonderausstellung: Zahllose Fotografien von Eigenheimfassaden, Haltestellen oder Straßenkreuzungen reiht Ulrich Wüst zu einem Leporello – als endlose Variation eines einzigen, auf Dauer womöglich monotonen Themas. Keine Fotodokumentation, sondern Kunst. Bilder, geformt aus Licht, aus Häusern und Vorgärten, Gehöften und Gehölz.
"Ich war der Meinung, wir müssten hier jetzt mal frischen Wind reinbringen. Es war ein Kampf, aber als ich dann mit der Idee um die Ecke kam, dass wir DDR-Fotografen zusammenbringen – es sind ja keine Fotografien aus der DDR, es sind ja gegenwärtige Arbeiten – das fand er gut. Da hat er dann nur wohlwollend genickt und meinte nur, er ist gespannt."
Fünf Fotografen hatte Aileen Kunert eingeladen, und die fanden ihr Thema: Provinz. Das passt zur "Ungleichzeitigkeit" eines Schlosses, in dem Ablagerungen der feudalen Vergangenheit auf eine durchaus moderne, aber auch geschichtsbewusste Fotosammlung treffen.
So konnte Kurator Daniel Blochwitz die "Wanderarbeiter" von Ingar Krauss unter einer Parole platzieren, die aus DDR-Zeiten überdauert hat. "Thälmann-Pioniere halten Freundschaft mit anderen Völkern" steht an der Wand über dem Schwarzweiß-Porträt eines osteuropäischen Erntehelfers.
Witzige Gegenüberstellungen
"Besucher werden hier schon durchgehen und öfter schmunzeln", sagt Daniel Blochwitz, "nicht nur, weil sie etwas wiederentdecken, wo sie mal gelebt haben, sondern auch witzige Gegenüberstellungen von Zeichen und Bildfindungen."
Dazu zählen Ulrich Wüsts bei einer ländlichen Haushaltsauflösung entdeckte Handtaschen, die wie Objektporträts unter- und nebeneinander präsentiert werden: Eine ironische Anspielung auf die sündhaft teure Aufnahme einer Prada-Auslage von Andreas Gursky.
Nicht auf die Größen seines Fachs, sondern auf romantische Motive des Malers Caspar David Friedrich bezieht sich Hans-Christian Schink:
"Es ist schon das Schwelgen in der Landschaft, auch gerade für einen Fotografen wie Hans-Christian Schink. Er ist als Kind häufig in der Gegend gewesen, hat sehr gute Kindheitserinnerungen und ihn zog es immer wieder nach Mecklenburg – er hat also eine romantische Beziehung zur Gegend. Aber wenn man zum Beispiel hier auf die Arbeiten der Mahlers schaut, dann ist es doch eine Romantik, die auch wieder im Ruinösen ist."
Flucht in die Provinz - und von ihr weg
Das "Flachland" hat Schink in Szene gesetzt, Ute und Werner Mahler dagegen haben "Kleinstädte" erkundet. Und auch dort die "Ungleichzeitigkeit" in Schwarzweißfotos sichtbar gemacht. Daniel Blochwitz:
"Großstädter zieht’s aufs Land, Kleinstädter und Dörfler ziehen weg, nicht unbedingt, weil sie es wollen, aber um Arbeit und Kulturangebote zu finden. Und von der Warte ist das so ein bisschen eine Kombination aus Utopia und Provinz, 'Provincia'. Beides: Fluchtpunkte in die Provinz und von der Provinz weg."
Und genau das macht den besonderen Reiz von Schloss Kummerow aus. Torsten Kunert hat nicht geradlinig oder gar mit kommerziellem Kalkül eine Kollektion von über 2000 Fotografien zusammengetragen, sondern sich von Emotionen, Vorlieben und dem eigenen Blick treiben lassen.
Die Geschichte seiner Sammlung, die nun von Aileen Kunert fortgeführt wird, ist noch zu schreiben – im Blick auf die Bilder. Torsten Kunert: "Bei dem Bild von Andreas Gursky wird die Love Parade gezeigt – und auf der Love Parade war er, genau auf der. Und er hat immer gesagt: 'Ich suche mich noch heute.' Und ich habe auch danach gesucht, ich habe ihn aber noch nicht gefunden."