Ai Weiwei: translocation - transformation
Ausstellung im 21er Haus Wien und im Belvedere
14. Juli 2016 bis 20. November 2016
Ai Weiweis Lotusblüten aus Schwimmwesten
1000 Rettungswesten, die zur Form einer Lotusblüte gebunden wurden, bilden ein großes "F". Diese Installation ist Teil einer Ai-Weiwei-Ausstellung in Wien. Die heutige Flüchtlingssituation sei ein Test für unsere Gesellschaften, sagt der Künstler.
Er kommt mit seinem siebenjährigen Sohn ins 21er Haus, kehrt mit ihm noch schnell Tee-Reste am Rande einer Skulptur aus gepressten Teeziegeln zusammen. Ai Weiwei blickt zufrieden auf den riesigen Holztempel aus der Ming-Dynastie, den ein kleines Heer von Assistenten gerade fertig aufgebaut hat, und sagt auf die Frage, warum diese Ahnenhalle nun in Wien steht:
"Das 21er Haus ist ein sehr interessantes Gebäude. Ich kenne Wien, weil ich hier an der Sommerakademie unterrichtet habe. Das 21er Haus spricht eine starke zeitgenössische Sprache, es wurde ursprünglich für die Weltausstellung 1958 in Brüssel konzipiert, ist selbst ein transformiertes Gebäude – wie dieser Ahnentempel einer Teehändler-Familie aus dem Süden Chinas, die während der Kulturrevolution vertrieben wurde.
Wir haben den Holztempel hier nun in alter, neuer Form wieder aufgebaut. Mir geht es immer um die Übertragung von Werten, Ideen, das Aufeinanderprallen verschiedener Epochen, Kulturen. Jetzt ist diese hunderte Jahre alte Ahnenhalle aus China eingebettet in total westliche, moderne, zeitgenössische Architektur. Eine bessere Übereinstimmung hätte ich nicht finden können."
Ai Weiwei hat jüngst vor allem mit Aktionen für Flüchtlinge für Aufsehen gesorgt. Er hat auf der griechischen Insel Lesbos zurückgelassene Rettungswesten eingesammelt, und er hat für ein Schwarzweißfoto den an der türkischen Küste ertrunkenen Flüchtlingsjungen Aylan Kurdi, dessen Bild um die Welt ging, mit seinem eigenen Körper nachgestellt.
Freiheit, Fake, Fälschung, F-Wort
Auch in Wien bilden nun im Wasserbecken des Belvedere-Schlossparks gut 1000 Schwimmwesten aus Lesbos eine Art Flüchtlingsmahnmal. Je fünf Rettungswesten sind zu Lotusblüten angeordnet, insgesamt formt die Installation den Buchstaben "F".
"Das F kann für das Wort Freedom, Freiheit stehen. Auch für Fake, Fälschung. Oder für das gebräuchlichste Schimpfwort im Englischen, das F-Wort. Es gibt der Installation Form, Struktur, mit verschiedensten Interpretationsmöglichkeiten."
"Die Lage der Flüchtlinge erscheint als aktuelles Problem - aber das stimmt nicht", sagt Ai Weiwei.
"Auch in Europa gab es immer Fluchtbewegungen, viele Großväter mussten nach dem Zweiten Weltkrieg fliehen. Auch hier in Wien sind Menschen auf der Flucht zurückgewiesen, diskriminiert worden. Die heutige Flüchtlingssituation ist ein Test für unsere Gesellschaften, für christliche Werte, Menschlichkeit, Würde. Meine Aktionen sind erstens Selbststudien meines eigenen Umgangs mit dem Thema. Und ich will als Künstler Alarmsignale setzen - als Anstoß, als Herausforderung."
"Ich war Flüchtling, seit ich geboren wurde"
Sieht sich der 58-Jährige, der aktuell in Berlin lebt, selbst als Flüchtling?
"Ich war Flüchtling, seit ich geboren wurde. Mein Vater wurde in ein militärisch organisiertes Arbeitslager verbannt. Später ging ich nach New York, musste mich dort in einer völlig neuen Kultur und Sprache durchschlagen. Nach meiner Rückkehr nach China musste ich das Land jetzt wieder verlassen, weil es dort für mich gefährlich ist. Ich habe das Wesen eines Flüchtlings, bis heute."
Und was sagt er den Kritikern, die ihn als wohlhabenden, global agierenden Künstler-Star sehen und seine Aktionen als oft plakativ, gar geschmacklos bezeichnen?
"Meine Antwort ist erstens: Ich begrüße diese Kritik. Natürlich treffe ich Empfindlichkeiten, natürlich haben andere ein anderes ästhetisches Empfinden als ich selbst. Aber wenn ich über Kritik nicht froh wäre, wäre ich kein Künstler geworden. Das bleibt immer auch ein Kampf. Aber daran glaube ich."
Glaubt er auch daran, irgendwann wieder in China zu leben?
"Meine Verstand sagt: ja. Ich spreche chinesisch, ich liebe chinesisches Essen. Mein natürlicher Platz ist dort. Aber ich fühle mich heute nicht wohl dort. Ich brauche persönliche Freiheit, Meinungsfreiheit. Unabhängige Justiz, freie Presse - jede gesunde Gesellschaft braucht das. Davon ist China weit entfernt. Es ist schwer für mich, zurück zu gehen - weil mir China wichtig ist."