Durchschnittlich mutig
Viele Juden im Habsburger Reich gehörten zu denen, die dem greisen Kaiser Franz Joseph gern folgten, als er seine Untertanen vor 100 Jahren zu den Waffen rief. Denn der Kaiser hatte ihnen die Emanzipation ermöglicht. Eine Ausstellung in Wien widmet sich nun dieser Geschichte.
"Es gab ja ein besonders inniges Verhältnis...zwischen den Juden zum Herrscherhaus und insbesondere zur Person Kaiser Franz Josephs, weil Kaiser Franz Joseph hat den Juden 1867 mit der neuen Verfassung die vollen bürgerlichen Rechte gebracht. ..."
Markus Patka ist Historiker und Kurator der Wiener Schau. Mit seinem Team hat er viele Belege zusammengetragen, die die jüdische Kaisertreue symbolisieren. Fotos, die Kaiser Franz-Joseph umringt von Rabbinern zeigen. Bilder eines Synagogenneubaus in der Wiener Pazmanitengasse, mit dessen Einweihung die Gemeinde 1913 dem Kaiser huldigte. Schließlich Ruhmesschreiben aus Anlass des 50. Thronjubiläums auf Jiddisch und Hebräisch.
Ausstellungsbesucher Ari Rath: "Seit er auf seinem königlichen Thron sitzen konnte, unser Herr, unser König, der Kaiser... Franz Joseph, ha rishon.... das ist wie in einem Gebet..."
Ari Rath ist Israeli, er lebt in Jerusalem, zeitweilig auch in Wien. Im November 1938 hat er seine Heimatstadt verlassen. Dass Kaiser-Franz-Joseph von seinen jüdischen Untertanen besonders geliebt wurde, weiß der 89-jährige noch von seinen Eltern, die ein Leben hatten, wie es auf den biographischen Fahnen in der Ausstellung vielfach dokumentiert ist.
Markus Patka: "Es sind dann eben auch sehr viele Juden begeistert oder im Schwung der generellen Kriegsbegeisterung in den Krieg gezogen. Es waren insgesamt etwa 300.000 jüdische Soldaten in der k&k Armee während des Ersten Weltkrieges, ca. 10 Prozent davon sind gefallen."
Rath liest Dokumente murmelt: "So ist mein Vater nach Wien gekommen, aus Kolomea. Eingerückt in Wien, oder schon in Kolomea, ich weiß nicht genau...."
Im Krieg sind Raths Eltern aus Galizien, dem östlichsten Kronland der Habsburger Monarchie, nach Wien gekommen, haben ein Geschäft aufgebaut und emigrierten nach dem so genannten Anschluss 1938. Dass Rath über die Zeit davor wenig weiß, ist typisch. Denn in der jüdischen Geschichtsschreibung und der kollektiven Erinnerung haben die Verbrechen des Zweiten Weltkriegs und die Shoah die Erinnerung an den so genannten „Großen Krieg" überlagert. David Rechter schreibt im Katalog der Ausstellung:
Zitat: "Zu jener Zeit und auch für die folgende Generation war der Krieg von 1914 bis 1918 jedoch für Millionen von Juden in Osteuropa ungemein traumatisch, da er ihre Gesellschaftsstruktur weitgehend zerstörte. Teils wurden sie von den russischen Truppen mit Gewalt vertrieben, teils ergriffen sie schon aus Angst davor die Flucht. Es kam zu Pogromen, Massenvergewaltigungen und Plünderungen. Häuser wurden zerstört, Tausende Juden als Geiseln genommen und viele zur Zwangsarbeit genötigt."
Die Ausstellung zeigt aufwändig gestaltete Ritualgegenstände, die damals aus Galizien gerettet wurden, aber auch Fotos von zerstörten, abgebrannten Holzsynagogen und von ermordeten, in Gebetsschals gehüllten Zivilisten. Es gehört zur herausragenden Qualität der Schau, dass sie so vielfältige Aspekte zeigt: denn dem Leiden der jüdischen Zivilbevölkerung in Galizien steht der Erfolg der jüdischen Soldaten der Habsburger Monarchie gegenüber.
"Es gab relativ wenig Berufsoffiziere, aber fast 20 Prozent der Reserveoffiziere waren jüdischer Herkunft. Und da die Berufsoffiziere ja oft schon in den ersten Kriegswochen und -monaten weggeschossen worden sind, sind dann diese Reserve-Offiziere sehr rasch in diese Positionen nachgerückt und haben ihren Mann an der Front gestanden und haben damit auch antisemitische Klischees widerlegt, wonach Juden eben nicht kampfestauglich wären et ceterea."
Ganz anders unter dem deutschen Kaiser Wilhelm II: In seinem Heer wurden bestenfalls konvertierte Juden in höhere Ränge befördert. 1916 gab es gar eine so genannte Judenzählung – eine Reaktion auf den im deutschen Offizierskorps weit verbreiteten Antisemitismus. Sie sollte die angebliche Feigheit und Drückebergerei der Juden nachweisen, was misslang: Gemessen an der Zahl ihrer Gefallenen und Beförderungen erwiesen sich die jüdischen Soldaten als durchschnittlich tapfer. Zwar wurde die Umfrage nie publiziert – ihre antisemitische Wirkung hatte sie aber bereits entfacht.
"Es hat im Habsburger Heer keine Judenzählung gegeben, das hätte man sich gar nicht leisten können, weil dann hätte man auch bei allen anderen Minderheiten gleich schauen müssen, wer wo eingesetzt wird, und es hat sich der Kaiser Franz-Joseph sehr um seine jüdischen Mitbürger bemüht."
Eine facettenreiche Schau
Ein ganzer Raum der Ausstellung widmet sich der seelsorgerischen Betreuung der jüdischen Soldaten durch Feldrabbiner:
"Gegen Kriegsende hat es etwa 130 Feldrabbiner gegeben. Man muss dazu sagen: Koschere Ernährung hat es im Felde nicht gegeben. Aus einem Zeitzeugenbericht wissen wir: Wer mit der nicht-koscheren Verpflegung nicht einverstanden war, hat halt Konfitüre gegessen. Koschere Ernährung gab es bestenfalls zu den hohen Feiertagen."
Zum Facettenreichtum der Wiener Schau gehört das Kapitel über das Verhältnis der Donaumonarchie zur Heiligen Stadt Jerusalem: Im Jahr 1914 standen 9.000 – ein Zehntel aller in Palästina lebenden - Juden unter Habsburger Protektorat. 1916 unterstützte der Kaiser zudem die osmanische Offensive gegen den britischen Suez-Kanal. Bilder zeigen den Einmarsch österreichischer Soldaten in Jerusalem, ihre Gebete an der Klagemauer. Am 9. Dezember 1917 übernahm die britische Armee die Stadt. 2013 hat Markus Patka zur Vorbereitung der Ausstellung in Jerusalem auch den Britischen Soldatenfriedhof besucht, wo es eine Abteilung der jüdischen Gefallenen gibt:
"Was da also wirklich das Beklemmende ist: Die haben alle deutsche Namen, die heißen Galinsky oder sie heißen Mendelssohn, das waren eben auch die Nachfahren von Einwanderern aus Galizien, die halt eben nach London gekommen sind und dann dort in der Armee gekämpft haben.... Ausgerechnet im Heiligen Land war dann vielleicht doch auch die Wahrscheinlichkeit relativ groß, dass also jüdische Soldaten in verschiedenen Armeen aufeinander schießen."
Sieht man die Schau mit deutschen Augen, so verblüfft die ethnische und religiöse Vielfalt des Habsburger Heeres:
"Es gab halt auch sehr viele religiöse Gruppierungen, ob das jetzt Katholiken, Protestanten, griechisch-orthodoxe, Muslime, Juden waren und noch viele kleine andere Gruppierungen – in der Armee hat das prinzipiell keine große Rolle gespielt. Am Schlachtfeld gab es keine Kampfpausen aufgrund von religiösen Feiertagen und was vielleicht ganz interessant ist... Es gab ja auch das Regiment der Bosniaken. Dort waren etwa 40 Prozent muslimische Soldaten. Aber es gab eben auch jüdische Soldaten in diesem Regiment, die eben Schulter an Schulter gekämpft haben."
So verschieden die Situation im Krieg – so ähnlich die Entwicklung danach: In Deutschland beklagte man den so genannten Diktatfrieden von Versailles, in Österreich den Zerfall der Habsburgermonarchie. Die Juden wurden zu Sündenböcken gemacht, der Antisemitismus explodierte. Als Hitler 1933 in Deutschland an die Macht kam und Österreich 1938 dem Großdeutschen Reich einverleibte, zählte der aufopferungsvolle Einsatz der jüdischen Soldaten im Ersten Weltkrieg nichts mehr.
Hinweis:
Die Ausstellung ist noch bis 14. September zu sehen. Wer nicht die Möglichkeit hat, sie zu sehen, sei auf den reich bebilderten, umfangreichen Katalog verwiesen. Wie die Ausstellung heißt er "Weltuntergang. Jüdisches Leben und Sterben im Ersten Weltkrieg." Er ist in der edition styria erschienen, hat 255 Seiten und kostet im Buchhandel 24,99 €.
Die Ausstellung ist noch bis 14. September zu sehen. Wer nicht die Möglichkeit hat, sie zu sehen, sei auf den reich bebilderten, umfangreichen Katalog verwiesen. Wie die Ausstellung heißt er "Weltuntergang. Jüdisches Leben und Sterben im Ersten Weltkrieg." Er ist in der edition styria erschienen, hat 255 Seiten und kostet im Buchhandel 24,99 €.