Ausstellung im Museum Folkwang

Eine Zeitreise durch die Plakatgeschichte

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Ein riesiges Uncle-Sam-Plakat vor dem Rekrutierungszentrum der US-Armee am Times Square in Manhattan, New York.
Seit 1917 wirbt die US-Armee mit diesem Plakat um neue Rekruten. © picture alliance / Newscom | Rafael Ben-Ari/Chameleons Eye
Von Susanne Luerweg |
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Gute Plakate bringen Menschen auch in größter Eile dazu, stehen zu bleiben und die Botschaften zu lesen. Eine Ausstellung im Museum Folkwang widmet sich nun dieser besonderen Kunstform, die sich in Deutschland erst verspätet durchsetzte.
Ein fordernder Finger streckt sich den Betrachterinnen und Betrachtern entgegen: Der Zeigefinger eines Mannes mit ernster Miene, der dazu auffordert, der US-Armee beizutreten. „Das ‚I want you for the US Army’ ist ein Plakat von 1917", erklärt René Grohnert, Kurator der Ausstellung im Essener Folkwang Museum.
"Die USA sind da in den ersten Weltkrieg eingetreten und hatten zum damaligen Zeitpunkt keine Wehrpflicht. Das war ein Plakat, das für diese Freiwilligkeit des Eintritts warb. Es war Onkel Sam als Person.
Den kannte man, der wurde sehr oft benutzt, auch schon vorher mit diesem Hut und den Farben. Und er zeigt hier mit dem Finger direkt auf den Betrachter und sagt: Genau Dich will ich nicht nur irgendwie, sondern genau Dich."

Das Plakat als Indikator für Industrialisierung

Das Plakat, gestaltet von James Montgomery Flagg, hatte einen Riesenerfolg und wurde immer wieder kopiert, so Grohnert:
„Das ist gerade in Amerika ein sehr, sehr populäres Motiv geworden, eines, das hundertfach variiert, wiederholt und benutzt wurde: ‚Wir suchen Kollegen’ und dann kommt dieser Finger. Wir haben auch ein Plakat von 1972: Da ist Onkel Sam zu sehen, aber völlig derangiert: Platzwunde am Kopf, Verbände an den Händen und in einer eher zu bedauernden Haltung.“

Die Ausstellung „We want you! Von den Anfängen der Plakatkunst bis heute“ ist bis zum 28. August 2022 im Museum Folkwang in Essen zu sehen.

Politik ist eines der Themen, das sich auf zahlreichen Plakaten wiederfindet – in Frankreich schon zu Zeiten der Französischen Revolution, in Deutschland deutlich später.
"Das Plakat ist für mich auch immer ein Teil der Industrialisierung", sagt Grohnert, "und Deutschland war noch nicht so gut industrialisiert, brauchte keine Werbung, Ende des 19. Jahrhunderts schon. Und dann sehen wir, wie sich das entwickelt bis 1914. Frankreich war sozusagen die Leitkultur, was das Plakat betrifft."

Die perfekte Wortbildmarke

Plakate aus Frankreich, das heißt auch hier: die unvermeidlichen Künstlerplakate von Henri de Toulouse Loutrec, die wohl vielen ein Begriff sein dürften. Deutlich spannender sind die Arbeiten des Tschechen Alfons Mucha, der für eine Theateraufführung von Sarah Bernard warb und die Schauspielerin von Blumen umflort im langen antiken Abendkleid auf einem Podest zeigt.
Mucha ist neben Julius Klinger, Ludwig Hohlwein und Lucian Bernhard einer der bekanntesten Plakatgestalter, deren Werke zu sehen sind. So auch das ikonische Schuhbild von Bernhard, einem der bekanntesten Vertreter der Neuen Sachlichkeit.
„Man muss sich vorstellen, oben drüber steht 'Stiller' als Wort und da drunter ist ein Schuh abgebildet. Die menschliche Fähigkeit, Dinge aufzunehmen, ist in dieser Wortbildmarke optimal gegeben. Das heißt: Sie merken sich so etwas supereinfach und irgendwann wird Stiller zum Begriff für Schuh so wie Tempo zum Begriff für Taschentücher wurde", erklärt Grohnert.

Manche Parolen haben sich kaum geändert

Die Ausstellung ist eine Zeitreise, die im 18. Jahrhundert beginnt, als Vorläufer des Plakats in der Öffentlichkeit in Form von Handzetteln auftauchen, und arbeitet dann die Epochen ab.
Von der Hochzeit im Jugendstil über den Expressionismus bis hin zur Pop-Art. Zu sehen sind vor allem Werbe-, keine klassischen Kunstplakate. Es wird deutlich, wie stark Werbung im öffentlichen Raum uns beeinflusst und wie wenig sich manche Parolen geändert haben.
Grohnert zeigt auf Plakate aus dem Zweiten Weltkrieg, Durchhaltepropaganda und sagt: "'Spare Gas für die Rüstung’,  ‚Nahrung ist Waffe’, ‚Hass und Vernichtung unseren Feinden’. Alles das, was wir eigentlich für überwunden gehalten haben, kommt da noch mal in die Aktualität. Und das ist natürlich höchst tragisch in jeder Hinsicht.“

Plakate werden lebendig

Plakate spiegeln den Zeitgeist wider. Die Kriegsjahre genauso wie die Wirtschaftswunder- und Flower-Power-Zeit mit Charles Wilps Afri-Cola-Werbung als einem der bekanntesten Vertreter.
Und inzwischen kleben sie nicht mehr auf Litfaßsäulen, sondern hinter sogenannten Wechslern, kommen mit Sound in den Alltag und haben den Sprung ins Digitale geschafft. Mithilfe einer App, die man sich im Ausstellungsraum runterladen kann, werden normale Plakate lebendig, bewegen sich, nehmen interessante Formen an.
„Man sieht einen Metallkäfig, in dem eine amorphe Form ist, die sich ein bisschen gegen die Stäbe drückt", erklärt Grohnert. "Und wenn man mit der App draufgeht, hat man den Eindruck, als ob das ein eingesperrtes Lebewesen ist, das sich so amöbenhaft gegen die Stäbe drückt und doch nicht durchkommt.“

Etwas mehr Text hätte nicht geschadet

Die Essener Ausstellung deckt eine große Bandbreite ab. Zehn Räume, viele Bilder und wenig Text. Und genau da liegt das Problem. Man wüsste gern mehr über Stilrichtungen, warum in Farbe für Schwarzweißfilme geworben wurde, warum Ludwig Hohlwein für die Nazis arbeitete und Lucian Bernhard vor ihnen fliehen musste.
Ein Bild sagt oft mehr als 1000 Worte, aber ganz ohne Text funktioniert es manchmal leider nur eingeschränkt. Es bleibt die hohle Werbefläche und damit tut man den Plakaten, die durchaus kunstvoll sind, unrecht.
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