Ausstellung "Kanzlers Kunst" in Hamburg

Eine ganz private Meta-Ebene

05:39 Minuten
Helmut Schmidt steht vor einem Gemälde, eine Hand in der Hosentasche, Loki Schmidt steht lachend daneben
Helmut und Loki Schmidt bei einer Ausstellung 1977 im Barlach Haus © Archiv Ernst Barlach Haus Hamburg
Von Axel Schröder |
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Eine Ausstellung in Hamburg zeigt die Kunstsammlung von Helmut und Loki Schmidt. Neben Werken der klassischen Moderne gibt es auch Nippes aus dem Kanzlerbungalow zu sehen. "Kanzlers Kunst" bringt die bodenständigen Eheleute auch menschlich näher.
Bei all ihrer Begeisterung für die Kunst: Bodenständig und bürgerlich, so gar nicht abgehoben – das waren Loki und Helmut Schmidt aus Hamburg-Langenhorn. Private Schätze und große Kunst zeigt nun eine Austellung im Hamburger Barlach-Haus.
Besonders greifbar wird das Bodenständige vor einem Nachbau der Glasvitrine aus ihrem Langenhorner Bungalow, in der die ganze Bandbreite der Schmidtschen Sammelleidenschaft präsentiert wird. Afrikanische Schnitzereien stehen neben steinzeitlichen Faustkeilen und Figuren von Ernst Barlach.
"Beide haben sich sehr für Barlach begeistert", erzählt Kuratorin und Kunsthistorikerin Dr. Friederike Weimar. "Auch kleine Skulpturen zum Beispiel von Eva de Maizière, der Mutter von Thomas de Maizière, sind hier dabei. Kleine filigrane Figürchen: Hier sitzt eine Nachdenkende oder eine tanzende Königsfigur. Dann haben sie sich auch eine kleine Skulptur von Henry Moore geleistet. Vielleicht als Erinnerung an die große Arbeit 'Two large Forms', die vor dem Bonner Kanzleramt steht."

Geschenke von der Nachbarin

Dr. Friederike Weimar hat als Projektleiterin den Begleitband zur Ausstellung "Kanzlers Kunst" entwickelt. Und auch wenn Emil Nolde und Ernst Barlach in der Ausstellung dominieren, sind in der erwähnten Vitrine eben auch ganz profane Gegenstände ausgestellt.
"Dann stehen hier auch Sachen, die wahrscheinlich jeder auch aus seinem eigenen Haushalt oder dem seiner Eltern oder seiner Tanten kennt, nämlich kleine Enten aus Stein, die mehr dekorativ sind als Kunst."
Und daneben sind in einem Körbchen die ausgeblasenen und mit Sonnenblumenkernen und Mohn verzierten Hühnereier drapiert, ein Geschenk für Loki Schmidt von ihrer Nachbarin in Langenhorn.

Schmidt verehrte Emil Nolde

Das Profane ist aber die Ausnahme. Verteilt auf sieben Räumen werden Zeichnungen, Skulpturen und Gemälde präsentiert. Der Hamburger Hafen, skizzenhaft von Oskar Kokoschka, Boote am Kai von Adolf Wiggers, Dampfer auf der Binnenalster von Ernst Eitner. Und immer wieder Emil Nolde, zum Beispiel mit einer Radierung der Hamburger Speicherstadt oder den leuchtend gelb-violetten "Dahlien in einer Vase".
1976 hatte Helmut Schmidt in Verehrung des Künstlers ein "Emil Nolde"-Zimmer im Bonner Bundeskanzleramt einrichten lassen. "Für ihn stand die Begeisterung für Emil Nolde auch im engen Kontext dazu, dass er sich selbst und die Bundesrepublik vom NS-Regime distanziert hat und das über seine Begeisterung für Nolde auch gut nach Außen transportieren konnte", meint die Projektleiterin.
Dass Nolde keineswegs der widerständige Geist gegen den Nationalsozialismus war, sondern ganz im Gegenteil ein glühender Anhänger der NS-Ideologie, kam erst 2014 ans Licht. Ein Jahr vor Schmidts Tod.
"In der Tat würde es mich sehr interessieren, wie Schmidt in diese Diskussion eingestiegen wäre, wenn er noch zehn Jahre länger gelebt hätte. Er hatte nicht mehr viel Zeit, das wahrzunehmen. Er hat es wahrgenommen, es gibt dazu Äußerungen von ihm. Da hat er gesagt, das stünde aber vollkommen hinter der künstlerischen Leistung zurück", so Weimar.

Mit Honecker vor Barlach sinnieren

Und klar ist, dass Ernst Barlach, der zweite von Helmut und Loki Schmidt hochverehrte und in der Ausstellung so präsente Künstler, frei von diesem historischen Ballast ist. Auch Barlach wurde von Schmidt nicht nur bewundert, sondern auch politisch genutzt.
Das erklärt der Leiter des "Ernst Barlach Hauses", Dr. Karsten Müller: "Legendär ist Schmidts Staatsbesuch in der DDR im Dezember 1981. Und er hat sehr darauf gedrungen, Güstrow zu besuchen, was die Stasi und das Regime massiv alarmiert hat. Die ganze Kleinstadt musste entvölkert und überwacht werden. Es fand aber statt. Und es gibt heute die ikonischen Fotos, die Honecker und Schmidt gemeinsam unter dem 'Schwebenden' von Barlach zeigen.
Helmut Schmidt besucht zum Abschluss seines DDR-Besuchs 1981 Güstrow und begutachtet Ernst Barlachs "Der Schwebende".
Mag menschliche Menschen: Helmut Schmidt besucht zum Abschluss seines DDR-Besuchs 1981 Güstrow. © picture-alliance / dpa
Schmidt wollte diesen Ort und Barlachs authentische Wirkungsorte unbedingt sehen. Das waren zum einen der Dom, zum anderen das Atelierhaus am Heidberg. Auf Fotos sieht man die beiden Herren vor dem 'Singenden Mann' von Barlach sinnieren."
Barlach, hat Helmut Schmidt einmal gesagt, schaffe es, in seinen Skulpturen "menschliche Menschen" zu zeigen. Das habe ihn fasziniert. Und Gleiches gilt vielleicht auch für die Zeichnungen von Käthe Kollwitz, die die Schmidts gekauft haben.

Ein Porträt Stauffenbergs

Wer einmal den Kanzlerbungalow in Hamburg-Langenhorn besucht hat, wird sich wundern, dass all die im Barlach-Haus nun präsentierten Kunstwerke dort Platz gefunden haben. Die vielen Öl- und Kreidebilder der Familie Modersohn aus Worpswede, die Stiftzeichnungen von Horst Janssen, der den Schmidts nie begegnet ist, aber stets Briefkontakt vor allem zu Loki Schmidt hielt.
Die Lithografien und Ölbilder von Bernhard Heisig: Die Porträts von Kurt Masur, des Hitler-Attentäters Stauffenberg und Schmidt selbst stammen von Heisig. Genauso wie das Porträt von Loki Schmidt: mit einem Blumenkranz über dem Kopf, fast ein Heiligenschein.

Lokis Malerei als Sechzehnjährige

Der Bildband zur Ausstellung listet nicht nur die Kunstwerke auf, sondern öffnet den Blick auf die innige Beziehung des prominenten Ehepaars zur Kunst und den Künstlerinnen und Künstlern dahinter.
"Das hat schon ganz frühe Wurzeln in der Reformschule, in der sie beide groß geworden sind. Da war die Auseinandersetzung mit Kunst, ihren Stilen, ihren Epochen, bildender Kunst, Musik und so weiter sehr selbstverständlich. Beide waren in dieser Hinsicht auch selbst aktiv und kamen zu durchaus bemerkenswerten Ergebnissen. Loki Schmidts Malerei als Sechzehnjährige muss sich nicht verstecken. Da gibt es eine eigene schöpferische Wurzel, die durch das Sammeln von Kunst offensichtlich auch beflügelt wurde", sagt Müller.

Die ganz private Meta-Ebene

Und wer genau hinschaut, entdeckt neben den oft so gefälligen Werken der klassischen Moderne auch solche von Goya oder Otto Dix.
Die Idee: "Zeig mir Deine Kunst und ich sag Dir, wer Du bist" wird im "Ernst Barlach Haus" erstaunlich gut umgesetzt. Eine Ausstellung mit einer ganz privaten Meta-Ebene, mit einem Blick auf zwei besondere und ganz bodenständige Menschen.

"Kanzlers Kunst"
Ausstellung im Ernst Barlach Haus, Hamburg
vom 4. Oktober 2020 bis 31. Januar 2021
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