Marx' Positionen sind für überhistorisch und allgemeingültig erklärt worden, einzelne Bruchstücke aus seinem unvollendeten und fragmentarischen Werk sind herausgegriffen worden und zu der Lehre des Marxismus gemacht worden. Mit der Ausstellung versuchen wir, Marx wieder in seine Zeit zu setzen.
Karl-Marx-Ausstellung im DHM
Die historische Figur wieder kenntlich machen: Karl Marx (l.) und Michail Bakunin auf Bannern in der DHM-Ausstellung. © imago-images / Emmanuele Contini
Marx von den Marxismen befreien
05:54 Minuten
Das Deutsche Historische Museum in Berlin will mit seiner Marx-Ausstellung den Philosophen und Ökonomen wieder in seinen historischen Kontext setzen. Dabei zeigt sich sowohl die Vielfältigkeit als auch der fragmentarische Charakter seines Werks.
Karl Marx wurde im 20. Jahrhundert vor allem als Begründer eines in sich geschlossenen Systems gesehen, des wissenschaftlichen Sozialismus: eine Art politischer Weltanschauung, die eine Sprache der Macht und des Protestes bereithielt. Bei der Ausstellung geht es vor allem darum, ihn als historische Figur wieder kenntlich zu machen.
„Marx‘ Oeuvre ist weder abgeschlossen noch in sich geschlossen. Wir haben es mit einem riesigen Torso von Entwürfen, Fragmenten, Studien und Vorstudien zu tun. Und man versteht, dass sein Werk unterschiedliche, auch gegensätzliche Lesarten erlaubt, ja in gewisser Weise sogar erzwingt“, sagt der Historiker Jürgen Herres, wissenschaftlicher Berater der Ausstellung.
Themeninseln zeigen Vielfalt des Marxschen Denkens
In den Marxismen des 20. Jahrhunderts sei die Person Karl Marx stark enthistorisiert worden, sagt Kuratorin Sabine Kritter.
Die Ausstellung wird – dem fragmentarischen Charakter des Marxschen Werks gemäß – nicht als chronologischer Rundgang gezeigt, sondern auf sieben „Themeninseln“.
Diese berühren religions- und gesellschaftskritische Kontroversen, Themen wie Judentum und Antisemitismus, Revolution und Gewalt, neue Technologien, Naturzerstörung, globale Wirtschaftskrisen, internationale Protest- und Emanzipationsbewegungen.
Der doppelte Charakter des Kapitalismus
Damals neue Waren und Produkte sind zu sehen: eine Christbaumkugel, ein Hochrad für Kinder, eine Straßengaslaterne, ein Webstuhl, der Nachbau einer raumgreifenden Spinnmaschine.
Die gesellschaftlichen Veränderungen, die Marx miterlebte, waren enorm. Handel und Kolonialismus brachten eine erste Globalisierungswelle, die Industrialisierung veränderte durch neue Technologien alle Lebensbereiche – und Marx hatte dazu ein differenziertes Verhältnis.
„Marx sah den doppelten Charakter des Kapitalismus. Einerseits ein profitgenerierendes System zu sein, andererseits aber auch eine Wachstums- und Wohlstandsmaschine“, sagt Herres.
Marx habe Analyse und Kritik des industriellen Wachstumsprozesses mit einer politischen Perspektive verbinden wollen und als einer der ersten gesehen, welches Problem eine rein wirtschaftliche Macht für die Politik darstellt.
Viele Exponate auf engem Raum
Im Mittelpunkt der Ausstellung steht das Werk von Karl Marx, nicht seine Person. Debatten und politische Theorien zu visualisieren, ist nicht einfach. Die Ausstellung gibt sich darin große Mühe, arbeitet mit Audiocollagen, interaktiven Stationen, Grafiken, Lärminstallationen.
Ein Problem ist dabei, dass der gewählte Ausstellungssaal im Pei-Bau des Deutschen Historischen Museums für die Fülle des Gezeigten zu klein ist, die Objekte haben wenig Raum, um Wirkung zu entfalten, die „Themeninseln“ liegen so dicht beieinander, dass es schwerfällt, sich inhaltlich wirklich auf etwas vertiefend einzulassen. Der Ausstellungskatalog kann hier helfen, er ist vorzüglich.
Karl Marx und der Kapitalismus
10. Februar - 21. August 2022
Deutsches Historisches Museum