Ausstellung "Manns-Bilder"

Zwischen Schmerzensmann und dicker Wampe

05:43 Minuten
Diese Zeichnung von Albrecht Dürer zeigt den Heiligen Sebastian nur mit einem Lendenschurz und an einen Baum gefesselt.
Ging es um die Bibel, war auch Nacktheit möglich: Albrecht Dürers "Heiliger Sebastian am Baume" von 1501. © imago / Artokoloro
Von Anette Schneider |
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Männliche Akte sind im Vergleich zu Frauenakten eher selten in Ausstellungen zu sehen. Die Kunsthalle Bremen zeigt Beispiele aus sechs Jahrhunderten, verschenkt dabei aber ihre Möglichkeiten durch zu wenig Hintergrundinformationen.
Männer haben‘s schwer, nehmen´s leicht, singt Herbert Grönemeyer. Das gilt auch für Bremen und die Ausstellung "Manns-Bilder. Der männliche Akt auf Papier". Denn kein Fitnessplan und kein Protein-Drink würden helfen: So lässig in antiken Idealmaßen und mit Waschbrettbauch am Baum lehnen wie der Gott Apollo von Marcantonio Raimondi anno 1506, das schafft heute wohl keiner mehr!
Dabei haben sich die Herren das Schönheitsideal selbst geschaffen, betont Kuratorin Christine Demele: "In der Antike war der männliche Körper das Ideal. Das Maß aller Dinge. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Also: Nach den männlichen Proportionen – oder dem Ideal dieser männlichen Proportionen – wurde auch die Architektur gebildet. Es gab einen entsprechenden Kanon."

Männliche Akte werden selten gezeigt

Nur kam dem männlichen Größenwahn offenbar seine voyeuristische Lust am Frauenkörper in die Quere. Denn bis heute gibt es zwar immer mal wieder Ausstellungen mit Frauenakten. Auch aktuelle Männerbilder wurden schon gezeigt. Aber: "Ausstellungen zum männlichen Akt vor 1800 sind sehr selten. Es gibt dann speziell zu einzelnen Künstlern was. Aber diese Bandbreite, die hier zu sehen ist, vom 15. bis zum 20. Jahrhundert – das ist doch, glaube ich, recht einmalig", sagt Demele.
Also: Fokus auf die Herren der Schöpfung! Da wäre: ein dickbäuchiger, berauschter Silen aus dem Gefolge des Dionysos, der den Wein in sich hineinschüttet. Oder: Der heilige Sebastian mit androgynem Hüftschwung.
Oder: kraftstrotzende Herkulesse, fette Sumoringer, Badende von Dürer über Cezanne bis Liebermann sowie einige satirische Athletenbilder, unter anderem von Max Beckmann, die genussvoll das vorherrschende Männerbild unterminieren. Nackte Männer, wohin man guckt.
Max Beckmanns Bild "Schlafender Athlet".
Max Beckmanns "Schlafender Athlet" von 1946.© Kunsthalle Bremen – Der Kunstverein in Bremen, Kupferstichkabinett
"Völlige Nacktheit im öffentlichen Kunstwerk war fast immer ein Tabu", sagt Demele. Zumindest, seitdem die christliche Kirche das Sagen hatte. Und so erzählen die frühen Arbeiten immer auch, mit welcher Fantasie und welchem Mut die Künstler der zensierenden und verbietenden Kirche begegneten. Vor allem seit der Frührenaissance und der rationalen Aneignung der Welt.

Bibel geht immer

"Da suchten sich die Künstler ganz gezielt Themen aus der Bibel, wo Nacktheit ein Thema war. Und durch die Bibel hatten sie quasi die Legitimation, das auch ins Bild zu setzen: also Adam und Eva. Oder Josef und die Frau des Potifar, Judith und Holofernes. Das griffen die Künstler dankbar auf", sagt Demele.
Sebald Behams Bild "Der Tod und das unzüchtige Paar".
Sebald Behams "Der Tod und das unzüchtige Paar" von 1529.© Kunsthalle Bremen – Der Kunstverein in Bremen, Kupferstichkabinett
Sie wagten noch mehr: Hans Sebald Beham schuf kleine pornografische Stiche, die auf dem Markt heiß begehrt waren. Albrecht Dürer zeichnete vermutlich die ersten Akt-Selbstbildnisse überhaupt, zu denen sich in der thematisch gegliederten Ausstellung der alternde Max Slevogt gesellt, der sich selbstironisch mit dicker Wampe beim Sonnenbad zeigt.

Entdeckungen von Barthel Beham

Auch ein, zwei Blicke von Künstlerinnen auf den Mann gibt es. Doch dass der nackte Körper auch politisch sein kann, dass sich in ihm gesellschaftliche Zustände und Entwicklungen spiegeln können, interessiert kaum. Dass Goya mit seinen Bildern nackter, geschundener, gefolterter Körper Kritik an Verhältnissen übte, die bis heute aktuell sind? Nichts davon.

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Dass Fürsten mit den kraftstrotzenden Bildnissen von Herkules ihre Stärke demonstrierten? Kein Wort dazu. Und was ist mit der grotesk-muskelbepackten Variante, die Hendrick Goltzius 1589 schuf? "Es gibt verschiedene Deutungen zu diesem Blatt. Und eine ist, dass er hier die große Stärke und politischen Ambitionen der nördlichen Provinzen der Niederlande mit ins Bild bringt, die sich von den Spaniern im 80-jährigen Krieg befreit haben", sagt Demele.
Doch weder Wandtext noch Katalog informieren darüber. Und dann lässt sich in der Ausstellung dies entdecken: Drei gut 5 Zentimeter hohe und 30 Zentimeter breite Kupferstiche von Barthel Beham aus dem Jahr 1528.

Das kritische Interesse fehlt

Barthel und sein Bruder Sebald waren zwei der drei gottlosen Maler von Nürnberg, die aufgrund ihrer Unterstützung des Revolutionärs Thomas Müntzer verhaftet, gefoltert und wegen Ketzerei vertrieben wurden. Die drei Stiche entstanden nach diesen Ereignissen.
Sie zeigen ein fürchterliches Gemetzel zwischen berittenen, übermächtigen Herren und ihren Untertanen, die nichts haben als ihre nackten Körper. Um die Zensur zu umgehen, verpackt Barthel Beham die aktuelle Geschichte in die Form eines antiken Tempel-Frieses. Doch von all dem erfährt man nichts.
So fehlt der Ausstellung letztendlich eine eigene Haltung, ein kritisches Interesse, etwas, das über die rein kunsthistorische Ansammlung unterschiedlicher Manns-Bilder hinausgeht und noch weit erkenntnisreicher sein könnte, als es das Projekt hier und da jetzt schon ist.

Die Ausstellung "Manns-Bilder. Der männliche Akt auf Papier" ist noch bis zum 6. November 2022 in der Kunsthalle Bremen zu sehen.

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