Über Kunstgeschichten und Künstlerfreundschaften
Die im Museum für Gegenwart gezeigten Exponate aus der Sammlung Flick sind Werke bedeutender Künstler des 20. Jahrhunderts. Die Erwartung, dass Geschichten der Berliner Kunstszene erzählt werden, erfüllt sich nicht.
Im Hamburger Bahnhof zeigt Berlins Museum für Gegenwart Kunstwerke des Sammlers Friedrich Christian Flick. Die Ausstellung "Local Histories" will vermitteln, in welchem Umfeld die Ideen zu diesen Arbeiten des zwanzigsten Jahrhunderts entstanden sind.
"Ich habe in dieser Person einen Menschen kennengelernt, der eine tiefe, eine große Kenntnis über Kunst besitzt, der eine große Leidenschaft im Dialog mit Künstlern zeigt." So charakterisiert Udo Kittelmann, Direktor der Nationalgalerie, den Sammler Friedrich Christian Flick. Und dann erwartet man Geschichten – short stories – die sich um eine Kollektion ranken, die nun schon seit vielen Jahren im Hamburger Bahnhof präsent ist. Aber die Funken der von Kittelmann beschworenen Sammlerleidenschaft sind nie so recht übergesprungen.
Und auch die jüngste Kombination der Flick Collection mit dem übrigen Bestand der Nationalgalerie ist kein Ausreißer in der Ausstellungsbilanz von Gabriele Knapstein, der Leiterin des Museums für Gegenwart. Gabriele Knapstein:
"Von Wolfgang Tillmans zu Richard Jackson zu Urs Fischer zu Roman Signer, Bruce Nauman 2010, Martin Kippenberger 2013, Carl André 2016. Das ist inzwischen eine beachtliche Liste von großen Ausstellungen, die aus der Sammlung heraus entwickelt wurden."
Vom lokalen Netzwerk in die weite Welt
Die Auflistung prominenter Namen als Charakteristikum der Flick-Kollektion? Das wollte Berlin nicht auf sich sitzen lassen. Also kreierten Kittelmann und sein Team für die jüngste Bestückung der Rieck-Hallen einen verheißungsvollen Titel: "Local Histories". Aber wo finden sich diese ganz besonderen Geschichten zwischen Metallkästen von Donald Judd, Leuchtschriftbändern von Jenny Holzer, einem beängstigend engen Korridor von Bruce Nauman und Gemälden von Gerhard Richter oder Sigmar Polke? Falsche Frage – für Direktor Kittelmann bedeutet "Local Histories":
"Dass die Welt sich im Lokalen äußern kann – und dafür wird es Beispiele in der Ausstellung geben. Das heißt, lokal sich manifestierende Netzwerke, die dann eben aus dem Lokalen heraus zu internationalen Netzwerken sich ausweiteten."
Und die – geknüpft in Düsseldorf, Köln, New York oder Los Angeles – irgendwann auch nach Berlin herüberreichten. Jahrzehnte spielten die "local histories" anderswo, etwa im Rheinland: Dort waren in den Siebzigern US-Künstler eingeladen und produzierten, weil niemand die Transportkosten übernehmen konnte, ihre Arbeiten direkt vor Ort.
Carl André legte Metallplatten auf den Fußboden – darauf standen Galeriebesucher und fragten, wo denn nun die Kunst hängt. Diese "stories" sieht man den Werken in Berlin nicht an, eben deshalb will Gabriele Knapstein sie lebendig halten: "Jetzt mit der Ausstellung 'Local Histories', wo es um Künstlerfreundschaften, Künstlerprojekte, aber auch Künstlerkunstgeschichten geht."
Kunstbetrachtung von innen
Die "Künstlerkunstgeschichte", auch das ist keine Berliner Erfindung, sondern nur eine Anspielung auf Donald Judds "Local History": Der Künstler hatte diesen Titel 1964 für einen Aufsatz gewählt, in dem er die Arbeiten seiner Kollegen in einer Jahresbilanz der New Yorker Kunstszene kritisch sichtete. Matilda Felix, Kuratorin der Ausstellung:
"Aus diesem Essay heraus habe ich die Idee entwickelt, die Werke einmal so zu gruppieren, wie Künstler und Künstlerinnen sie in ihrer jeweiligen Gegenwart betrachtet haben, wie sie zusammen gearbeitet haben vor Ort, wo sie ihre Inspiration hergeholt haben."
Mit Fotos auf den Spuren von Künstlerkarrieren
Diese Zusammenhänge versucht Matilda Felix einzufangen mit anekdotisch gespickten Wandtexten und Vitrinen voller historischer Fotos und Dokumente. Die damals, in den Sechzigern, aufkommende Überschreitung der Grenzen zwischen Malerei und Skulptur, die Happenings und Performances werden damit zwar nicht wieder lebendig. Doch man erfährt so einiges. Etwa über die Anfänge der heute erfolgreichen Galeristin Monika Sprüth als wenig beachtete Künstlerin. Oder über die Freundschaft zwischen Isa Genzken und dem Fotografen Wolfgang Tillmans. Aber dann folgt mit einem mehrere Meter langen, konzeptuellen Wandbild doch noch eine kleine Überraschung. Die Arbeit von Richard Jackson wurde 2006 schon einmal gezeigt und hat – "eingehaust" – hinter der weißen Museumswand unbemerkt überdauert. Gabriele Knapstein erinnert sich:
"Wir konnten es auch zu einem Zeitpunkt machen, als Richard Jackson gerade auch international stärkere Aufmerksamkeit bekommen hat. Er war ja in den siebziger, achtziger und frühen neunziger Jahren nicht so bekannt."
Eine gut recherchierte Ausstellung
Also doch keine Berliner "local history", kein besonderes Gespür des Sammlers Flick, sondern auch hier wieder der Seitenblick auf den internationalen Kanon, auf den globalen Marktwert. Mehr hat die Flick-Kollektion womöglich nicht zu bieten. Aber die Ausstellung ist gut gehängt, solide recherchiert, informativ aufgearbeitet. Wie es sich für Museen gehört – ob mit oder ohne Privatsammler.