Info: Die Ausstellung "Luthermania - Ansichten einer Kulturfigur" ist bis zum 17. April 2017 in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel zu sehen.
Jede Zeit hat ihren Luther
Luther als Bösewicht, den selbst die Teufel loswerden wollen, Luther als Heiliger: Die Ausstellung "Luthermania – Ansichten einer Kultfigur" zeigt mit Exponaten wie dem Tintenfass Luthers, das er nach dem Teufel geworfen haben soll, welche Bilder von Luther konstruiert wurden im Laufe der Zeit.
"Luther als siebenköpfiges Monster oder protestantische Luther-Ikonographie als Lichtbringer, der mit dem – in diesem Fall wasserspeienden Papst-Drachen zu kämpfen hat, der das Licht löschen möchte. Wo hinter diesen vielen Lutherbildern ist denn eigentlich der wahre Luther?"
Ob "wahrer" oder "echter Luther", Ausstellungsmacher Hole Rößler zeigt "Ansichten einer Kultfigur". Und eine Kultfigur erzeugt – ob wahr oder echt – jede Menge Klischees. Wie die zustande kommen, sich entwickeln und gegenseitig kreuzen, das wird mit dieser ersten Ausstellung des Forschungsverbunds Marbach Weimar Wolfenbüttel beleuchtet, mit ästhetischer Raffinesse illuminiert. Denn die drei Bibliotheken haben – was heute so abschätzig klingt – "Altbestände".
Ulrich Raulff, Direktor des Literaturarchivs Marbach:
"Die haben ja eine Qualität und eine Leuchtkraft. Das ist 300, 400 Jahre alt – und das ist frischer als ein Taschenbuch, was vor fünf Jahren gedruckt wurde. Und ein Bilder- und Pamphletekrieg in einer Aggressivität, wie wir das heute kaum gewöhnt sind."
Der Bilderkrieg um Luther als Heiligen oder als Teufel war ein Glaubenskrieg, mutet archaisch an. Aber geführt wurde er mit damals letzten Stand der Technik, nicht nur der Drucktechnik.
"Das sind Dinge, die, wenn man genauer hinschaut, eigentlich modern sind – oder wir vielleicht auch schrecklich vormodern in manchen Dingen."
Fake News des 17. Jahrhunderts
Ob Luther mit Inkarnation des Heiligen Geistes oder teuflisch gehörnt porträtiert wird, beides erscheint in seiner übertrieben realistischen Machart absurd. Aber genau deshalb wird die mentale Wirkungsweise deutlich: Verunsicherung, Schwächung des Glaubens im gegnerischen Lager. Und das ist ein aktuelles Muster:
"Das sind tatsächlich fake news des 17. Jahrhunderts: Luther, der bereits in der Hölle schmort, aber auch dort nicht aufhört, umtriebig zu sein. Sodass auch die Teufel beschließen: Jetzt müssen wir diesen Mann irgendwie los werden. Selbst die Teufel halten es mit Luther nicht aus."
Je absurder, desto besser. Um sich noch zurecht zu finden, bedurfte es starker Glaubenssätze, darin liegt die Gefahr. Und der entgehen Historiker, wenn sie ihre Disziplin als "Verunsicherungsfach" begreifen:
"Wenn man in der Geschichte wühlt, dann merkt man, dass die Dinge vielleicht etwas weniger selbstverständlich sind, als sie zunächst scheinen."
Diese Erfahrung mit dem Publikum zu teilen, darauf versteht sich Kurator Hole Rößler. Und das gilt nicht nur für alte Bücher. Schließlich gab es in Bibliotheken wie in Wolfenbüttel oder Weimar auch die Raritäten- oder Wunderkammern mit Amuletten, Totems oder wohl besser: Reliquien der "Luthermania".
Teufelsvertreibung mit dem Tintenfass
Denn die Manie, das ist nichts anders als Verfolgungswahn, Rechthaberei, Geltungssucht, Sammelwut, Vereinsmeierei. Insbesondere ein Objekt steht dafür, spricht nun wirklich jeden an:
"Es handelt sich um das Tintenfass Luthers, das der Reformator nach dem Teufel geworfen haben soll. Sie alle kennen diese Geschichte. Und darum geht es, nämlich um den Luther in unseren Köpfen."
Den Widerstreit dieser Kopfgeburten, dieser Images zeichnet die Ausstellung in vier "Spielfeldern" nach: Die Konstruktion von Luther dem Heiligen, dem Teufel, der Marke und Luther dem Deutschen wird in ihre Einzelteile zerlegt. Und es zeigt sich: Einige dieser anfangs protestantischen Elemente konnten schnell in ihr Gegenteil verkehrt werden.
"Ein Fetzen vom Chorrock Luthers. Ein Löffel, der aus Luthers Besitz stammen soll. Oder ein Glas, das sie später auf einem katholischen Blatt auch wiederfinden können, wo es darum geht, Luther als hemmungslosen Trinker und Fettwanst zu diffamieren."
Blühender Devotionalienmarkt
Der entlaufene Mönch in seiner dann sehr weltlichen Leibesfülle, das war ein gefundenes Fressen für Maler und Kupferstecher. Luther dürfte der meistporträtierte Mensch seiner Epoche gewesen sein. Nicht nur sein Freund und Nachbar Cranach, zahllose Kopisten, Karikaturisten und Kitschmaler belieferten einen blühenden Devotionalienmarkt:
"Das ist‘n Cran ... ach, ja: Das kommt auch aus der Cranach-Werkstatt: Eine Lochschablone, die dazu diente, Luther in Serie herzustellen."
Das ist die erste Lehre aus dieser wissenschaftlich soliden, aber eben auch sehr anschaulichen Präsentation: Weniges ist authentisch, vieles fabriziert. Der Zweifel wächst, man schaut noch mal genauer hin. Und bekommt wohl dosiert auch die nötigen Informationen. Etwa über die Totenmaske Luthers, die erst postum nach Porträtzeichnungen angefertigt und dann auch noch fortwährend überarbeitet wurde:
"Glättungen, Straffungen, also ein bisschen Facelifting. Zuletzt in den Dreißiger-Jahren des 20. Jahrhunderts, als man noch einmal daran ging, aus Luther den Deutschen zu machen."
Jede Zeit hat ihren Luther. Das macht diese Ausstellung sichtbar. Mehr nicht. Denn was das wiederum über die Zeiten, auch über unsere Epoche, verrät, das kann, darf und muss sich jeder selber denken