"Luxus in Seide. Mode des 18. Jahrhunderts", Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, 5.7.2018 bis 6.1.2019
Ein Kleid wie ein hellblauer Traum
Zwölfeinhalb Meter Seide, über 260 Jahre alt, fast ungetragen: Ein luxuriöses Kleid ist derzeit die Hauptattraktion im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg. Kuratorin Adelheid Rasche verrät, wer es getragen hat - und was es so spektakulär macht.
Ute Welty: Kühl auf der Haut, empfindlich im Alltag, und teuer in der Anschaffung – Seide ist Luxus, und das gilt für das 21. wie für das 18. Jahrhundert. Eine besondere Anschaffung hat das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg gemacht: Ein einteiliges, hellblaues Seidenkleid aus der Zeit um 1760, mit einem Riesenrock, sehr breiten Hüften, Dreiviertelarm und Blumenstickerei. Und wenn es nicht so verdammt unpraktisch wäre, man möchte es eigentlich sofort anziehen. Gezeigt wird dieses Kleid ab sofort in der Ausstellung "Luxus in Seide", Kuratorin ist Adelheid Rasche. Guten Morgen!
Adelheid Rasche: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Um mal beim Praktischen zu bleiben, welche Größe hat dieses Kleid nach heutigen Maßstäben?
Rasche: Dieses Kleid kann man vielleicht gar nicht nach heutigen Maßstäben in seiner Größe messen, denn das Oberteil ist geschnitten für ein halbwüchsiges Mädchen, würde man denken, der Rock andererseits, Sie haben es schon betont, ist enorm weit. Also ich würde denken, vielleicht wäre es eine 36. Aber wie wir wissen, in dieser Zeit ist Kleidung eine Maßanfertigung, und nach unserer Hypothese ist dieses Kleid von einer 17-Jährigen zwischen ihrem 17. und 18. Lebensjahr, einer jungen Frau in der Nähe von Wittenberg, als Hochzeitskleid getragen worden.
Welty: Das Kleid sieht sehr danach aus, als ob sehr viel Stoff vernäht wurde. Wer hat sich so was leisten können?
Rasche: Zurück erst noch zum Stoff: Es sind tatsächlich 12,5 Meter dieses sehr luxuriösen Seidengewebes, das nicht bestickt, sondern tatsächlich gewebt ist – jedes bisschen Farbe, das sind mehr als zwölf Farbtöne, wurden von dem Weber eingewebt.
Welty: Das ist auf dem Foto kaum zu erkennen, welche Ausstrahlung das haben muss, wenn man es in echt sieht.
Die große Anschaffung des Lebens
Rasche: Das ist auch die Besonderheit der Zeit, dass die Webstühle schon so raffiniert waren, dass sie so ein Muster weben konnten. Natürlich wollten sie die Stickerei imitieren, das haben Sie sehr richtig gesehen. So ein Gewebe war eigentlich die große Anschaffung des Lebens.
Wir vermuten, dass dieses Kleid von einer Pfarrerstochter, einer evangelischen Pfarrerstochter getragen wurde, denn das Kleid hat sich 261 Jahre im Familienbesitz befunden. Und wir können die Genealogie tatsächlich so gut zurückverfolgen, dass wir eben auf die Juliana Eck gekommen sind. Sie ist 1739 geboren und hat 1757 eben in diesem jugendlichen Alter geheiratet. Und für so einen Anlass kann so ein Kleid perfekt gepasst haben.
Welty: Was würde ein Kleid in heutigen Maßstäben kosten?
Rasche: Es ist immer ein bisschen schwierig umzurechnen. Wir haben es trotzdem versucht. Wir haben Quellen, wonach wir wissen, dass ein Durchschnittspreis eines solchen Stoffes, wenn er gehandelt wurde – und solche Gewebe konnte man auf der Leipziger Messe etwa, das war ja die große Warenmesse, dort konnte man es erwerben.
Es gab aber auch in Berlin die Hugenottischen Seidenhändler. Es gab auch Berliner Seidenwebereien. Kurz, ein Gewebe dieses Typus könnte man schon so umrechnen, dass es in etwa heute auf vielleicht 20- bis 30.000 Euro kommen würde, wobei der größte Teil damals tatsächlich die Anschaffung dieses Stoffes war. Die Lohnkosten waren sehr gering.
Spektakuläres Beispiel der europäischen Modegeschichte
Welty: Was hat Sie dann dazu bewogen, um dieses Kleid herum eine ganze Ausstellung zu stricken?
Rasche: Weil dieses Kleid doch ein sehr spektakuläres Beispiel ist dieser Modegeschichte des 18. Jahrhunderts, die natürlich eine europäische Modegeschichte ist, in klareren Worten vielleicht sogar eine deutsch-französische Modegeschichte. Wenn wir annehmen, das Seidengewebe kommt aus Lyon oder wurde zumindest von Seidenhändlern mit französischem Ursprung gehandelt, dann ist das so spektakulär, dass man sich natürlich enorm freut, wenn man es mit dieser guten Dokumentation, eben ein Familienbesitz seit so langer Zeit, für sein Museum gewinnen kann.
Es ist quasi ungetragen. Es dürfte in der späteren Zeit noch einmal vielleicht für einen Kostümball im späten 19. Jahrhundert getragen worden sein. Aber die ursprüngliche Besitzerin hat es wohl nie mehr getragen, hat es geschont. Es hat keine Umarbeitungen, und das ist natürlich enorm selten. Denn zwölf Meter Stoff, da ist man schon versucht, etwas Neues draus zu machen.
Welty: Inwieweit spielt ein Material wie Seide heute noch eine Rolle? Oder ist es vielmehr inzwischen die Marke, die den Luxus ausmacht?
Rasche: Ich denke, es ist beides. Die Materialität spielt ja wieder zunehmend eine Rolle, glücklicherweise, auch die Anfertigungsmethoden, also die Handarbeit in den Produkten, wenn sie wirklich dem echten Luxus zugehören, ist weiterhin ein großer Faktor. Natürlich spielt das Label, die Marke, auch diese gewollte Verknappung, die gesteuerte Verknappung heute eine wesentlich größere Rolle.
In damaliger Zeit war es automatisch durch die Handarbeit eine Verknappung, denn die Dinge dauerten einfach länger. An diesen Objekten, dem Kleid und allem anderen, was wir zeigen, ist ja alles Handarbeit. Es gibt keine Maschinen in dieser Zeit.
Vor dem 18. Jahrhundert galt Luxus als negativ
Welty: Das heißt, es hat sich eigentlich gar nicht so viel verändert, denn viele Frauen träumen ja spätestens beim Brautkleid von eben diesem einen Kleid. Und das Kleid, das Sie in Nürnberg zeigen, ist ja wohl offensichtlich auch ein Brautkleid gewesen.
Rasche: Genau, Sie sprechen es genau aus. Das 18. Jahrhundert ist eigentlich der Beginn unseres heutigen modischen Denkens, unseres Luxusdenkens. Vor dem 18. Jahrhundert war dieser Begriff "Luxus" sehr negativ besetzt. Er war eigentlich fast ein von der Kirche gebrandmarktes Wort. Die Kirchen mussten natürlich dafür sorgen, dass der Mensch im Diesseits etwas bescheidener lebt und nicht dem Luxus verfällt.
Und dann im Verlauf des 18. Jahrhunderts, was ich als den Beginn der Moderne auch gern bezeichne, durch Aufklärung, durch die Wirtschaftspolitik der verschiedenen Länder, hat man verstanden, dass die Produktion und der Konsum von Luxusgütern gefördert werden müssen, dass quasi dadurch die Wirtschaft Aufschwung bekommt. Und damit hat dann doch die Kirche relativ wenig zu sagen gehabt.
Insofern passt es also bis in die heutige Zeit, dass ein solches Produkt, ein solches Kleid, auch unsere Accessoires, die in der Ausstellung gezeigt werden, dass sie sehr viel mit uns heute zu tun haben.
Welty: Adelheid Rasche ist Kuratorin in Nürnberg. Die Ausstellung "Luxus in Seide" ist im Germanischen Museum dort zu sehen, und zwar bis zum 6. Januar. Frau Rasche, vielen Dank!
Rasche: Danke Ihnen!
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