Die Ausstellung "Mutter!" ist vom 1. Oktober 2021 bis zum 6. Februar 2022 in der Kunsthalle Mannheim zu sehen.
Menschliche Konstante gegen gesellschaftliche Spaltung
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Eine Ausstellung, die alle abholt, jeden und jede – das ist das Ideal im heutigen Kunstbetrieb. Die aktuelle Schau der Kunsthalle Mannheim erfüllt diesen Wunsch in besonderer Weise: Sie gilt der "Mutter" in der Kunst.
Mütter aus Hollywoodfilmen. Eine Videoinstallation der südafrikanischen Künstlerin Candice Breitz. Jodie Foster, Meryl Streep oder Julia Roberts in Momenten der Hysterie, der Empörung, der Seelenqual, der Zärtlichkeit. Oft in Wiederholungsschleifen, um das Stereotyp der zugeschriebenen Emotion zu demonstrieren.
Ikone der Mutterschaft
Kein angenehmes Video, eher Hard Stuff im Umfeld der Mutterschaft. Es macht klar: Hier in der Kunsthalle Mannheim geht es nicht um Frömmelei oder Rührseligkeit, trotz der Madonnenbilder aus der Renaissance, wie dem des Niederländers Dieric Bouts. Zärtliches Wiegen des Kindes, das mit einer Perlenkette spielt.
Doch wenn man genau hinschaut, ist die Miene der Madonna nicht unbedingt eindeutig: Da ist auch eine gewisse Skepsis zu erkennen. Die Hingabe der Madonna jedenfalls ist eine der stärksten Ikonen der Mutterschaft.
"Wie man eben an einigen der eingestreuten popkulturellen Bildern auch erkennen kann, wie Beyoncé, die sich in einer Aufnahme von Mason Pool in Instagram dann mit ihren zwei Twin-Babies inszeniert, in genau dieser Madonnentradition", sagt Johan Holten, der dänische Direktor der Mannheimer Kunsthalle und Kurator der Schau.
Beyoncé posiert in einem blauvioletten Kleid vor dem Blumenportal eines angedeuteten Paradiesgartens. Inszenierungskitsch einer Pop-Millionärin, die Mutterschaft von Zwillingen sicher besser geregelt bekommt als viele andere Frauen. Dass der Versuch, mittels künstlicher Befruchtung Mutter zu werden, sich zum Horrortrip ausweiten kann, zeigt die finnische Künstlerin Elina Brotherus in einer schonungslosen Fotoserie.
"Man sieht sie zum Teil nackt auf dem Stuhl sitzend, traurig blickend oder ihren Bauch anschauend, weinend, nach oben guckend, bis man dann die ganzen Medikamente, die sie hat nehmen müssen, auf dem Sofa aufgereiht sieht", sagt Holten. "Im letzten Bild hat sie dann mit einem gewissen Abstand davon, mit einer Abgeklärtheit sieht man sie mit einem Dackel, mit einem Hund, und streckt den Mittelfinger uns allen entgegen: kommt mir nicht mit Euren Muttervorstellungen, dass das die einzige Art ist, glücklich zu sein".
Wechselbad der Gefühle
Wie desillusioniert der Blick auf Mutter- und Schwangerschaft ausfallen kann, haben maßgeblich schon die Künstler und Künstlerinnen der Weimarer Republik bewiesen. Jeanne Mammen mit ihrer "Kindsmörderin" oder Otto Dix mit der "Schwangeren" - beide zeigen die existenzbedrohende Seite der Mutterschaft.
Kulturgeschichtlich wach und kunstgeschichtlich recherchestark taucht uns diese Ausstellung ins Wechselbad der Gefühle. Auch das "Muttertier" taucht auf: in Form eines überlebensgroßen Oktopusses mit Brüsten aus Glas, die abwechselnd aufleuchten oder eine schwarze Flüssigkeit absondern.
Das "Muttertier" der französischen Künstlerin Laure Prouvost steht in einem Spiegelkabinett, das die Besucher betreten können und damit unweigerlich Teil des Spektakels werden. "Dann gehen die Lichter an und aus und die Mutter schreit so hier aus dem Hintergrund 'Mother'", beschreibt Holten. "Das ist dieses Bild von der einerseits schützenden und gleichzeitig auch bedrohlichen oder abstoßenden Mutter."
Dass mit einer Fotoserie von Peter Hujar auch die transsexuelle Szene mit ihren Mutterrollen-Performances ihren Auftritt hat, sorgt für die gendermäßig korrekte Ausrichtung der Schau. Doch dieses Bemühen ist nicht penetrant, verdirbt nicht die undogmatische Lebendigkeit der Ausstellung.
Kommentar zu einem Fakt
Jeder und jede, das verdeutlicht uns die Schau, hat eine Mutter gehabt, ist auf diese Art zur Welt gekommen. "Mutter" in der Kunsthalle Mannheim ist der blitzgescheite und aufregend inszenierte Kommentar zu diesem unumstößlichen Fakt.
"In Zeiten, in denen wir ja leider sehr viel mehr über Spaltung in der Gesellschaft sprechen, ist es auch sehr schön und interessant, an diese anthropologische Konstante zurückzuerinnern", unterstreicht Johan Holten.