Ausstellung

Proteste als Kunstform

Von Christian Gampert |
Politischer Protest ist heute viel mehr als nur ein paar Spruchbänder. Flashmobs, Zeltlager auf zentralen Plätzen, Schweigestunden – Demonstranten von heute sind schnell und oft kreativ. Das ZKM Karlsruhe widmet ihnen eine Kunstausstellung.
Joseph Beuys‘ Einsicht, dass jeder Mensch ein Künstler sei, ist heute, um es respektvoll ins Bild zu bringen, ein alter Hut. Beuys Theorie hat zu einer Überschwemmung des Kunstmarkts in vielerlei Hinsicht geführt - und man muss heute verdammt aufpassen, dass man inmitten der vielen Dilettanten nicht das eine Genie übersieht, das vielleicht doch etwas zu sagen hat.
Die Karlsruher Ausstellung hat allerdings ganz anderes im Sinn: die Kuratoren haben offenbar schon länger beobachtet, wie intensiv künstlerische Ausdrucksformen den öffentlichen Raum besetzen und politisch umgenutzt werden. Was mit den Sit-ins der Studenten und den Fluxus-Happenings der 1960-er Jahre begann, ist heute längst zur Massenbewegung geworden: Flash-Mobs verabreden sich weltweit zu den kuriosesten Aktionen, und ohne das Internet wären die irgendwie steckengebliebenen Revolutionen im arabischen Raum nie denkbar gewesen.
Bauzaun von Stuttgart 21 und Zelte vom Gezi-Park
Deshalb sieht man ziemlich dominant auf der Breitseite des ZKM-Lichthofs eine Riesen-Google-Wand; das Publikum kann egriffe eingeben, und auf ziemlich vielen Fenstern erscheint, was im Netz zum Thema geboten ist.
Dieser Wand gegenüber steht ein Teil jenes Bauzauns, der von Demonstranten am Stuttgarter Bahnhof mit Protestnoten geschmückt wurde - Stuttgart 21 ist bereits jetzt nicht nur politische Kultur, sondern auch Kultobjekt. Genau auf diesem schmalen Grat, in dieser Ambivalenz balanciert die Ausstellung, sagt Kurator Andreas Beitin:
"Also diese Ausstellung will nicht nur den Überblick geben über die Vielfalt der globalen Aktionen, die aus dem künstlerischen Bereich kommen, aber auch in den Bereich der NGOs hineinreichen, sondern man will darauf aufmerksam machen, dass es weltweit ein Grundbedürfnis nach demokratischer Mitbestimmung gibt.
Sie ist auch ein Stück weit ein Statement gegen einen gewissen Kulturpessimismus, und will zeigen, dass es nicht nur den popkulturellen Massenkonsum gibt, sondern auch die Masse, die sich für die Demokratie, für politische Belange interessiert und dafür auf die Straße geht."
In der Mitte des ZKM-Lichthofs steht ein chaotisch aufeinandergehäuftes Zeltdorf, als habe die Polizei es gerade ineinander geschoben. Das sah man, zum Beispiel, in Frankfurt vor den Bankentürmen, aber diese Arbeit hier kommt aus Istanbul:
"Das ist eine Arbeit des türkischen Künstlers Osman Boskurt, und zwar war er bei den Mitbegründern dieser Gezi-Park-Revolte, und das ist eine Installation, die hier erstmalig aufgebaut worden ist. Das sind die gleichen Zelte wie die, die damals in Istanbul von den Aktivisten benutzt worden sind und von der Polizei weggeräumt worden sind. Man sieht in den Zelten Filme, die von den Aktivisten aufgenommen wurden, um die Situation nachvollziehbar zu machen."
Nun ist so ein Protest-Camp aber viel mehr als eine soziale Plastik; es zielt ja tatsächlich auf Veränderung. Der performative Akt ist den Aktivisten nicht genug, sie wollen Ergebnisse, sie wollen tatsächliche Teilhabe, sie wollen, etwas ungeschminkter gesagt, auch Macht. Was zur Zeit in Kiew sich abspielt, ist ja nicht nur großes Theater, sondern ein Machtkampf.
Ein Großteil der Kunstwerke hat dokumentarischen Charakter
Das ist in einer Ausstellung nicht darstellbar - man muss sich auf die verfügbaren Objekte beschränken. Da gibt es tatsächliche Kunstwerke wie den Leuchtturm, den Thomas Kilpper für die Insel Lampedusa entworfen hat, damit die Flüchtlinge auf See den Weg finden - ein Mahnmal, das vor Ort nie aufgebaut wurde. Der Großteil der Exponate hat aber dokumentarischen Charakter - wie die Zeitleisten über den arabischen Frühling - oder sie sind künstlerische Rekonstruktionen:
"Wir haben hier eine phantastische Installation von Mark Wallinger, die sehr schön diesen Grenzbereich zwischen Kunst und Nicht-Kunst erläutert. Mark Wallinger hat diese Arbeit 2007 geschaffen, dafür hat er damals den Turner-Preis bekommen. Es ist eine 40 Meter lange Installation - und zwar hat er ein Protestcamp eines Friedensaktivisten, der zehn Jahre lang vor dem britischen Parlament aufgebaut hatte und hauptsächlich gegen den Irakkrieg, aber auch gegen viele andere Dinge protestiert hat.
Dieses Protestcamp ist damals von der Polizei weitgehend zerstört worden, und Mark Wallinger hat dieses Camp rekonstruiert und es in den Kunst-Kontext überführt. Das ist eine unglaublich beeindruckende Arbeit mit vielen Bildern von Kindern aus dem Irakkrieg ... von ihren Verletzungen, Misshandlungen. Das rahmt in dem Lichthof die anderen Arbeiten ein."
Eine Vielzahl zum Teil auch bizarrer Aktionen wird vorgeführt. Nur ein Beispiel: In Moskau protestierte eine Gruppe gegen die Diskriminierung Homosexueller, indem sie nachts mit Autos durch die Stadt fuhrt - auf dem Autodach war ein Bett installiert, in dem man eifrig dem Geschlechtsverkehr frönte. Das Video der Aktion zeigt, man glaubt es kaum, wie der Wagen an einer Tankstelle hält: unten wird getankt, oben wird gevögelt.
Die Ausstellung will aber auch aktuell sein: Zur Eröffnung gibt es eine Live-Schaltung ins römische "Teatro Valle", ein Theater, das wegen chronischer Unterfinanzierung von Schauspielern und anderen Aktivisten besetzt gehalten wird, bei fortlaufendem Betrieb. Man hätte auch eine Live-Schaltung nach Kiew machen können - dort findet in der Kälte derzeit der wichtigste Akt "performativer Demokratie" statt, wie Ausstellungsleiter Peter Weibel das nennt. Hoffen wir, dass es nicht nur bei der Performance bleibt, sondern dass die Demokratie gewinnt.
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