Die Ausstellung "Sex in Wien - Lust. Kontrolle. Ungehorsam" ist bis zum 22. Januar 2017 im Wien Museum am Karlsplatz zu sehen.
Sodom in Vienna
In Wien wurde die moderne Sexualwissenschaft geboren, und Anfang des 20. Jahrhunderts war die Stadt so etwas wie das Zentrum der Porno-Industrie. All das zeigt die Ausstellung "Sex in Wien" - aber auch, wie Sex und Stadtgeschichte miteinander verwoben sind.
Sie wollten keine "Aufklärungsausstellung machen", keine tradierten Verbote fortschreiben, etwa bei der Darstellung der 550 Exponate, was gezeigt und was nicht gezeigt werden dürfe. Nein, so bekennt Wien-Museum-Direktor Matti Bunzl, es sei seinem Museum darum gegangen, erstmals eine wissenschaftliche Ausstellung über die Geschichte der Sexualität in Wien von 1900 bis heute anbieten zu können. Das moderne Verständnis von Sexualität stamme aus Wien:
"Das Stichwort hier, an das wir natürlich alle sofort denken, lautet Sigmund Freud, aber Sigmund Freud war nur Teil einer wirklichen globalen Avantgarde der Sexualwissenschaft, die in Wien zentral beheimatet war."
Der Begriff "homo- und heterosexuell" wurde von einem gebürtigen Wiener geschaffen, dem Schriftsteller Karl Maria Kertbeny. Der erste Entwurf einer systematischen Erfassung aller Arten menschlicher Sexualität wurde 1886 verfasst von dem Wiener Psychiater Richard von Kraft-Ebing.
Wien sei der "Ground Zero" der Sexualwissenschaft gewesen, zwar nicht allein in akademischer Hinsicht: Wien war 1900 das Zentrum der Porno-Industrie, die ersten erotischen Spielfilme – made im noch habsburgischen Austria.
Die Kuratorin der ebenso umfangreichen wie sorgsam zusammengetragenen Ausstellung, Martina Nussbaumer:
"Es gibt ja über die Sexualgeschichte Wiens viele Klischees. Es gibt ja so Bilder im Kopf, geprägt durch den Porno-Roman mit Josefine Mutzenbacher. Es sind sehr viele Alt-Wien-Klischees auch immer enthalten, wenn man an Sex in Wien denkt. Da hoffen wir, dass man ein bisschen differenzierteres Bild kriegt. Vielleicht ein bisschen ein stärkeres Bewusstsein, wie sehr unsere Alltagssexualität auch von Außenperspektiven geprägt ist, von Reglementierungen, von denen wir uns gar nicht immer bewusst sind."
In drei Etappen – vor dem Sex, beim Sex, nach dem Sex – präsentiert die Ausstellung eine beeindruckende Vielfalt: Von historisch Amüsantem wie einen Kondom-Katalog eines Wiener Gummiwarenherstellers aus dem 1908, über Seltenes wie einen erstmals gezeigten Brief Sigmund Freuds an einen der Mitbegründer der ersten Homosexuellen-Bewegung, Magnus Hirschfeld, bis hin zu Bedrückendem, wie den staatlichen und kirchlichen Versuchen, Sexualität zu kontrollieren, zu reglementieren, Eheschließungen nur auf Mann und Frau zu manifestieren.
Bürgerliche "Benimmbücher" der letzten Jahrhundertwende schrieben vor, was ein "anständiges, sittliches Verhalten" zu sein habe. Kuratorin Martina Nussbaumer:
"Das reichte da von der Frage, wer darf wie schauen. Die Frau hatte sittsam den Blick zu senken, durfte Männer nicht aktiv ansprechen, sonst kam sie sofort in den Verdacht, eine Prostituierte zu sein, was auch zu einer sehr starken Selbstdisziplinierung der Menschen geführt hat. Wenn so ein starkes Regelwerk vorhanden ist, beweg ich mich auch nicht ganz frei in meinem Alltag, sondern reflektiere dieses Regelwerk immer mit und so Momente der Selbstdisziplinierung haben wir sicher bis heute."
Vor 20 Jahren, so bekennt Matti Bunzl, der Direktor des Wien Museums, hätte er nicht zu träumen gewagt, dass er einmal eine wissenschaftliche Ausstellung über Sex in Wien hätte eröffnen könnte. Er hoffe, sagt Bunzl abschließend, dass es zu einer Wechselwirkung zwischen Ausstellung und Besuchern kommen werde, denn:
"Hier ist sozusagen die Geschichte unserer Sexualität und unserer Sexualitäten, und wir haben es in der Hand, diese Geschichte neu zu schreiben."