Ausstellung "Stereo_Typen" in Bonn

Wie Kunst die Geschlechtergrenzen sprengt

08:34 Minuten
Zwei Männer in Anzügen stehen vor einer Wand und spitzen die Münder als würden sie sich küssen wollen.
Jürgen Klauke, Begegnung, 1975, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019
Barbara Scheuermann im Gespräch mit Dieter Kassel |
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Momentan wird über Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit intensiv diskutiert. Die Ausstellung "Stereo_Typen" in Bonn zeigt: Schon in der Kunst der 1970er- und 80er-Jahre war das Thema präsent.
Dieter Kassel: Die Diskussion über Männlichkeit und Weiblichkeit, über Überschneidungen, Abgrenzungen und Zuordnungen ist nicht neu, auch wenn sie möglicherweise gerade intensiver geführt wird als je zuvor. Auch die Kunst hat sich immer wieder mit diesem Thema beschäftigt, nicht zuletzt auch in den 70er- und 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts.
Aus dieser Zeit stammen nämlich die grafischen Werke, die von dieser Woche an unter dem Titel "Stereotypen" im Kunstmuseum Bonn zu sehen sind, und wir wollen darüber sprechen mit einer der beiden Kuratoren. Da geht es schon los, der andere ist nämlich ein Mann. Sagt man dann: eine der beiden Kuratoren oder Kuratorinnen? Auf jeden Fall sprechen wir mit Barbara Scheuermann.
Ist tatsächlich diese Ausstellung ein Beitrag über die aktuelle Diskussion, also wirklich das, was wir jeden Tag hören vom dritten Geschlecht im Personalausweis bis hin zu genderneutralen Toiletten?
Scheuermann: "Beitrag" finde ich immer ein bisschen viel gesagt, im Sinne von Kommentar oder Antwort. Wir wollen mit unserer Ausstellung eigentlich so etwas sein wie ein Gesprächsanlass, was ja schon hervorragend geklappt hat. Schon bin ich bei Ihnen und spreche mit Ihnen über das Thema Geschlechterrollen und Rollen in der Gesellschaft.
Also es geht auch wirklich nicht nur um Geschlechterrollen. Wir merken das jetzt schon beim Interesse der Öffentlichkeit, dass auch die meisten sich auf dieses mit der Geschlechterrolle stürzen, was uns natürlich zeigt, wie aktuell das Thema ist, das wir da aufgenommen haben.
Kassel: Interessant ist ja, ich finde, meistens lohnt es sich nicht, an einzelnen Begriffen lange zu bleiben, aber ich finde, bei dem Titel dieser Ausstellung eigentlich schon, aus zwei Gründen. Das ist gar nicht so leicht auszusprechen. Es ist nicht das eigentliche Wort Stereotypen, sondern es ist Stereo – Unterstrich – Typen: Stereo_Typen.
Scheuermann: Genau.

Anspielung auf das binäre Konzept der Geschlechter

Kassel: Schon im Unterstrich spüre ich eine gewisse Ironie. Den Unterstrich, den erleben wir ja jetzt inzwischen häufig, wenn man Männer und Frauen nicht völlig getrennt ansprechen will, aber Stereotypen heißt ja auch, da wird gespielt nicht nur mit dem klassischen Männer- und Frauenbild, sondern auch mit den gängigen Vermischungen.
Scheuermann: Ja, genau, und das ist genau, wie Sie das empfunden haben, mit dem Unterstrich, da ist natürlich etwas drin, diese Ironie vielleicht oder so eine Brechung zumindest. Und Stereo, klar, das spielt auf dieses binäre Konzept der Geschlechter an, und dann zeigen wir aber auch Typen.
Ein Mann steckt im Cafe seinen Kopf in das Dekolleté einer Frau
Erwin Wurm, Inspection, 2003, C-Print auf Diasec© VG Bild-Kunst, Bonn 2009
Wir hatten auch lange überlegt, sollen wir das Gendersternchen benutzen. Wir haben uns damals – das ist jetzt schon eine Weile her – für den Unterstrich entschieden, und jetzt denke ich manchmal, hätten wir doch das Gendersternchen genommen, dann wären wir noch näher an den aktuellen Debatten dran gewesen.
Aber es spielt mit diesen unterschiedlichen Aspekten, und man kann ja im Grunde auch seine Geschlechterrolle gar nicht von seiner gesellschaftlichen Rolle trennen. Das ist auch das Interessante, wie viel sich eigentlich an unserer körperlichen Erscheinung immer festzumachen scheint.
Kassel: Aber da es sich nun um grafische Darstellungen aus den 70er- und 80er-Jahren handelt, ist es ja klar …
Scheuermann: Nicht nur.
Kassel: Nicht nur, aber doch im Kern. Das heißt, das Ganze oder vieles von diesem Ganzen steht schon auch im Zusammenhang mit der damaligen sogenannten 68er-Revolution.

Das Thema war in den 70ern und 80ern virulenter

Scheuermann: Na ja, ja, es ist ja so, also die Ausstellung hat ja so begonnen oder unsere Arbeit an der Ausstellung, dass wir oder mein Kollege Maximilian Rauschenbach und ich haben gemerkt, wir reden ganz, ganz oft über dieses Thema Geschlechterrollen, Genderfragen und haben dann gedacht, ach, da gucken wir uns doch mal – ich bin ja Leiterin der grafischen Sammlung am Kunstmuseum –, da gucken wir uns doch mal unsere grafische Sammlung unter diesem Aspekt an.
Das ist ja anders als bei einer Sonderausstellung, wo wir Leihgaben anfragen. Da müssen wir ja mit dem arbeiten, was wir in unserer Sammlung tatsächlich haben. Da haben wir festgestellt, die grafischen Arbeiten, die sich mit dem Thema auseinandersetzen, sind meistens aus den 70er- und 80er-Jahren.
Das kann also zum einen daran liegen, dass vielleicht die Sammlungspolitik unseres Hauses, das Sammlungsinteresse unseres Hauses damals anders war, aber es kann auch daran liegen, dass das Thema virulenter war, also dass das ein wichtigeres Thema war oder was wir glauben, oder wir haben den Eindruck, dass damals eine größere Lust und Freiheit am Spiel mit den Rollen es gegeben hat, und das lässt sich sicher auf die 68er-Revolution zurückführen.
Kassel: Ich habe schon erwähnt, dass natürlich die Beschäftigung mit diesem Thema nicht begonnen hat erst in dieser Zeit, auch nicht erst im 20. Jahrhundert.
Scheuermann: Nein, genau.
Kassel: Aber gerade wenn ich persönlich jetzt mal so auch, ehrlich gesagt, ein bisschen klischeehaft an viel ältere künstlerische Darstellungen dieser Art denke, dann denke ich vor allen Dingen an Hermaphroditen und auch so ein bisschen häufig –
Scheuermann: Genau.
Kassel: – an deren Verherrlichung. Sieht man sowas auch bei Ihnen?

Streben nach dem Verbinden der Geschlechter

Scheuermann: Die Verherrlichung oder Überhöhung, nein, das sieht man bei uns nicht, aber das liegt mit Sicherheit auch wirklich an der Gegenwartskunst und dem anderen Kunstbegriff, den wir heutzutage haben. Kunst verherrlicht doch heutzutage oder auch in den letzten Jahrzehnten seit der Moderne doch eher nicht mehr. Das ist einfach ein anderer Kunstbegriff oder ein anderes Konzept, was da zum Tragen kommt.
Ein Mann, mit Pflaster an der Stirn, nacktem Oberkörper und einem Straß Narzissen schaut in die Kamera
Rudolf Bonvie, 14 Personen – 25 Narzissen, 1976,© © VG Bild- Kunst, Bonn 2019
Interessant ist aber ja auch, dass dieser Begriff oder das Bild des Hermaphroditen bei uns so in den Hintergrund getreten ist. Also das ist ja auch eine These, dass die Wichtigkeit des binären Konzeptes – Mann hier, Frau da – und die Trennung dazwischen, dass das immer mehr zugenommen hat, und das bildet sich wahrscheinlich auch in der Kunst ab – so unser Gesprächsvorschlag, das mal anzugucken, ob das tatsächlich so ist.
Kassel: Nun denke ich bei den 70er-, 80er-Jahren zum Beispiel an David Bowie und die Phase, in der er in den 70ern war, und nicht nur er. Ich meine, er kommt einem schnell in den Sinn, aber dieses Androgyne. Ist androgyn und Hermaphrodit dasselbe – sicherlich nicht, aber was Ähnliches? Ist das die Fortsetzung oder ist das was völlig anderes?
Scheuermann: Sind bestimmt verwandt, aber ich glaube doch, vom Äußerlichen her ist das sicher verwandt, aber es sind natürlich ganz andere Typen, und das ist ja auch das Interessante: David Bowie oder in unserer Ausstellung Jürgen Klauke und auch andere, also junge Männer, die sich geschminkt haben oder sich mit vermeintlich weiblichen oder femininen Attributen gekleidet haben, die haben eigentlich nie so getan, als wären sie aber nicht dennoch heteronormativ lebende Männer, und das hat sich ja tatsächlich auch geändert.
Jetzt heutzutage ist der Begriff trans und drag, und sowas kommt da immer rein. Das hat aber, glaube ich, wirklich nichts mit Hermaphrodit zu tun. Aber vielleicht ist es doch so ein Streben nach dem Verbinden der Geschlechter. Klar, letztlich ist es dann doch die Idealvorstellung.
Kassel: Sie haben ja selber schon gesagt vorhin, Sie sind dann auch als Leiterin der grafischen Sammlung einfach ins Archiv, nenne ich es mal, gegangen, um zu gucken …
Scheuermann: Genau, ins Depot.
Kassel: Ins Depot, um zu gucken, was haben wir eigentlich hier in Bonn alles da, was zu diesem Thema passt. Manche Dinge sind ja offensichtlich, aber wie sind Sie da überhaupt vorgegangen? Merkt man im jeden Fall sofort eindeutig, die Künstlerin oder der Künstler hat das so gemeint, oder wie sind Sie bei der Auswahl dann vorgegangen?

Ein dekonstruiertes Bügeleisen

Scheuermann: Na ja, viele von den Künstlern, von denen wir was zeigen, kannten wir ja auch. Wir sind ja Kunsthistoriker und Kunsthistorikerin, und deswegen können wir viele von denen natürlich schon gleich einordnen, wenn wir Blätter dann uns angeguckt haben. Bei manchen also fiel es einem gleich ins Auge, dass da eine Selbstdarstellung auf androgyne Weise beispielsweise stattgefunden hat.
Bei Konrad Klapheck, wo eigentlich nur ein dekonstruiertes Bügeleisen und dekonstruierte Schuhspanner zu sehen sind, ist es natürlich sehr viel weiter weg das Thema. Manchmal ist es auch einfach nur so ein erstes Interesse gewesen, dann haben wir weiter recherchiert und haben geguckt, könnte das sein, dass der Künstler, die Künstlerin das tatsächlich auch so gemeint hat.
Das Schöne ist, wenn man mit der Sammlung arbeitet, mit Werken, die schon da sind, dass wir uns auch erlauben konnten, assoziativ vorzugehen. Die ganze Ausstellung ist auch eher atmosphärisch eingerichtet als zugespitzt auf eine These, wie man das sonst machen würde, wenn man eigens Werke anfragt für eine Ausstellung, um ein bestimmtes Ausstellungsthema zu bebildern.
Kassel: Und man kann diese Ausstellung sehen ab Donnerstag. Morgen Abend ist die Vernissage, ab Donnerstag dann normal geöffnet, und zu sehen wird sein wird diese Ausstellung "Stereo_Typen" im Kunstmuseum Bonn dann bis zum 2. Juni. Das war die Leiterin der grafischen Sammlung des Museums und eine der beiden Kurator*innen – ich mach das jetzt mit mitgesprochenem Sternchen –, Barbara Scheuermann.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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