Ausstellung über Aberglaube und Tod in Kassel

Böses Omen

Blick auf einige Exponate des Kasseler Museums für Sepulkralkultur
Blick auf einige Exponate des Kasseler Museums für Sepulkralkultur. © imago stock&people
Von Christian Röther |
In manchen Gegenden kündigte der Ruf der Ringeltaube die Totenfrau an – und damit einen Todesfall. Aber auch andere Tiere und Gegenstände konnten Unheil bedeuten. Das zeigt jetzt die Ausstellung "Tutenfru!" im Museum für Sepulkralkultur in Kassel.
Was erzählt Ringeltaube mit ihrem Ruf? Will sie uns etwas mitteilen? "In manchen Gegenden wurde dieser Ruf, den man als 'Tutenfru' wahrnahm, interpretiert als der Ruf nach der Totenfrau", erklärt Ulrike Neurath, Kustodin am Museum für Sepulkralkultur in Kassel.
Neurath: "Das war die Frau, die den Angehörigen half, wenn es darum ging, einen Verstorbenen für die Beisetzung herzurichten. Das heißt, sie war primär dafür zuständig, zum Beispiel den Toten zu waschen, anzukleiden. Das war die Totenfrau."
Der Ruf der Ringeltaube kündigt also die Totenfrau an – und damit einen Todesfall. Kein gutes Zeichen. In der Ausstellung "Tutenfru – über Aberglaube und Tod" begrüßen den Besucher nicht nur eine Ringeltaube, sondern auch noch einige andere ausgestopfte Tiere, von denen Menschen glauben, dass sie Unheil bedeuten können: Rabe und schwarze Katze, klar, aber auch Hase oder Maulwurf. Und auch viele Alltagsgegenstände können unter bestimmten Umständen als böse Omen gedeutet werden.
Neurath: "Dass eine Nähmaschine beispielsweise plötzlich anfing, sich in Bewegung zu setzen, da sah man ein Todesvorzeichen drin."

Schnaps mit Sargspänen

Mit angeblich todbringenden Gegenständen und Begebenheiten hätten der Museumspädagoge Gerold Eppler und seine Kolleginnen vermutlich gleich mehrere Ausstellungen füllen können.
Eppler: "Im Hinblick auf die Todesvorzeichen muss man natürlich auch sagen, dass, wenn die sich alle bewahrheitet hätten, die Menschheit ausgestorben wäre, denn man trifft im Alltag überall auf solche Situationen, in denen sich dann quasi der Tod angekündigt hat. Und die meisten haben aber diese Todesvorzeichen überlebt."
Ganz "abergläubisch" könnte man nun einwenden: Die Menschen haben überlebt, weil sie sich gegen den Tod zu schützen wissen, etwa indem sie unter einem Sarg durchkriechen – was man in der Ausstellung sogar selbst ausprobieren kann. Oder indem sie Sargspäne mit Schnaps trinken – was man leider nicht ausprobieren kann. Die Ausstellung versammelt aber nicht nur all diese skurrilen Bräuche, sondern in ihrer Fülle und Kreativität vermitteln sie ein Gefühl: von Macht, Kraft und Faszination des Todes.
Eppler: "Der Tod ist etwas, was sich der Mensch bis heute nur bedingt erklären kann. Die Tatsache, dass sich der Tod ein Stück weit unserer Erfahrung entzieht, umgibt den Tod natürlich mit etwas Geheimnisvollem."
Neurath: "Wir Lebenden haben den Tod noch nicht erlebt, und die, die gestorben sind, können uns nicht erzählen, was der Tod ist. Insofern ist es ein Mysterium. Und insofern wird um diesen Tod – bei aller Naturwissenschaft – immer noch diese gewisse Rätselhaftigkeit bleiben, die auch dafür sorgt, dass in diesem Bereich Aberglaube latent immer noch vorhanden ist."

Die Kirche konnte den Aberglauben nicht besiegen

Die Vorstellungen um den Tod sind oft vorchristlichen Ursprungs. Sie widersprechen zumeist der christlichen Lehre, und so definieren die Ausstellungsmacher auch den "Aberglauben" als etwas Unchristliches, erklärt Ulrike Neurath.
"In vergangenen Jahrhunderten war man sich schon darüber bewusst, dass bestimmte Anschauungen abergläubisch waren, weil sie nämlich der christlichen Lehre widersprachen. Ein sehr bekanntes, anschauliches Beispiel ist etwa die Ketzerei. Ja, Ketzer..."
Dass genau jetzt beim Wort "Ketzer" irgendwo im Museum Hammerschläge einsetzen – bei einer Ausstellung über Aberglauben ist das sicher kein Zufall. Aber auch gewaltsam war der ketzerische Aberglaube – von der Kirche und anderen – nicht zu besiegen.
Neurath: "Dass man das aber eben nicht ausmerzen konnte, ist natürlich ein Beleg dafür, wie stark das in der Menschheit, in der Bevölkerung verhaftet ist."
Die vorchristlichen Glaubensvorstellungen erwiesen sich als wirkmächtiger als christliche Dogmen. Deshalb wählten die Kirchen teils eine andere Strategie, sagt Gerold Eppler. Sie deuteten den Aberglauben christlich um.
Eppler: "Die christliche Glaubenslehre macht aus dem sogenannten Totenkult einen Seelenkult."

Schluckbildchen sollten ans Abendmahl erinnern

Wo man früher die Toten milde zu stimmen versuchte, betet man heute für die Seelen der Verstorbenen. Diese Beeinflussung von christlichen und nichtchristlichen Glaubensvorstellungen funktioniert aber auch andersherum.
Eppler: "Beispielsweise bei den Schluckbildchen, die man dann verzehrt, um Krankheiten zu lindern – dass die auf dem Brauch des Abendmahls beruhen, das ist natürlich auch eine Glaubensvorstellung. Und das wird dann offensichtlich adaptiert und übertragen auf Alltagssituationen."
Schluckbildchen, das sind kleine Zettel mit Kultbildern, die man herunterschluckt, um sich zum Beispiel vor dem Tod zu schützen. Heute kennt sie wohl kaum noch jemand – ist das ein Zeichen dafür, dass der Aberglaube weitgehend verschwunden ist aus unserem aufgeklärten Weltbild?
Neurath: "Aberglaube ist nicht Schnee von gestern, obwohl die meisten Menschen, die man heute befragt, sagen würden: Nein, ich bin doch nicht abergläubisch."

Gespräche mit Sterbebegleiterinnen

Ulrike Neurath und ihre Kollegen haben für die Ausstellung auch Interviews geführt mit Menschen, die mit dem Tod arbeiten. Hauptberuflich oder im Ehrenamt. Also zum Beispiel Bestatter oder Sterbebegleiterinnen.
Neurath: "Da haben wir festgestellt, die sagen alle: Nein, wir sind nicht abergläubisch. Aber wenn man dann mit ihnen ins Gespräch kommt, dann erzählen sie doch von Dingen, die darauf hindeuten oder zumindest die Assoziation schaffen, dass es irgendetwas gibt zwischen Erde und Himmel."
Etwas, das weder wissenschaftlich erklärbar ist, noch mit der christlichen Lehre in Einklang zu bringen.
"Merkt man auch daran: Freitag der 13. Wir realisieren das, wenn wir in den Kalender gucken, und stellen fest: Aha, Freitag der 13. kündigt sich an. Die meisten Menschen lassen sich davon den Tag nicht vermiesen. Und trotzdem realisiert man es ja. Also insofern: Kein Schnee von gestern."
So schärft die Ausstellung "Tutuenfru" den Blick – und das Gehör – für allerlei Glaubensvorstellungen, die vermeintlich längst überwunden sind.

Die Ausstellung "Tutenfru – über Aberglaube und Tod" ist noch bis zum 17. März 2019 im Museum für Sepulkralkultur in Kassel zu sehen.

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