"Thinking With, Through, and by Anton Wilhelm Amo" im Kunstverein Braunschweig
Ein afrikanischer Philosoph der Aufklärung
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Als Sklave kam der 1703 in Ghana geborene Anton Wilhelm Amo an den Braunschweiger Hof. Er wurde "Kammermohr" des Herzogs - und der erste afrikanische Philosoph in Deutschland. Der Kunstverein Braunschweig widmet ihm jetzt eine Ausstellung.
Als Sklave kam Anton Wilhelm Amo um 1700 aus Afrika an den Braunschweiger Hof und durfte mit Fürsprache des Herzogs studieren. Über seine philosophischen Schriften hinaus weiß man kaum etwas von ihm, aber Amos Abhandlungen sind Grundlage genug für ein facettenreiches Lebensbild, aus dem 16 Künstler im Braunschweiger Kunstverein ein durchaus aktuelles Gesellschaftsporträt entwickeln.
Lungiswa Gqunta reflektiert die Ambivalenz von Anton Wilhelm Amos Überlegungen zur Rechtsstellung der sogenannten "Mohren" in Europa mit quer durch den Raum gespanntem NATO-Draht, den die südafrikanische Bildhauerin durch darum herum gewickelten Salbei "entschärft" – ohne ihrer Installation die bedrohliche, ausgrenzende Wirkung zu nehmen.
Mit Nägeln auf einen verletzenden Text reagieren
Weniger subtil, recht derb und handfest werden Amos Thesen zur Leib-Seele-Problematik übersetzt: Neben Schrifttafeln hängt jeweils ein Hammer, dazu gibt es reichlich Nägel – um auf einen seelisch verletzenden Text mit Schlägen zu reagieren.
"Es geht bei Patricia Kaersenhout darum, einem körperlichen Impuls zu folgen – und gar nicht darum, noch viel länger darüber nachzudenken. Sondern man liest diesen Text, empfindet etwas und kann unmittelbar körperlich reagieren. Das ist eine Rede von Willie Lynch, einem Sklavenhalter, die tatsächlich an ganz vielen Stellen sehr entsetzlich ist."
Jule Hillgärtner geht es allerdings nicht darum, jemanden oder eine politische Haltung mit herausgegriffenen Zitaten "festzunageln". Die Direktorin des Braunschweiger Kunstvereins will einen Diskurs der Denkbilder initiieren: Alle Künstler reagieren auf Amos ausgesprochen akademische Texte – bis auf einen Fall von bemerkenswertem Eigensinn:
"Anna Dasović hatte einen anderen Zugang. Sie hatte realisiert, dass es in Anton Wilhelm Amos Biografie unfassbar viele Lücken gibt, vieles bleibt spekulativ. Und Anna Dasović hat das große Talent, sehr präzise Fragen zu formulieren. Zum Beispiel wenn es heißt, dass er wie ein Sohn am Hof leben konnte, die Frage, ob er jemals am Abendbrottisch mit dem Herzog saß", sagt Hillgärtner.
Es geht um Widersprüche und Leerstellen
Das ergibt aber eben nicht jene Anekdoten, von denen Verfasser konventioneller Biografien zehren. Vielmehr macht die Künstlerin einfach nur auf Widersprüche aufmerksam: Was musste Amo – körperlich wie seelisch – bei der Überfahrt auf einem Sklavenschiff erdulden, das ihn an den Hof eines Herzogs brachte, der sich als aufgeklärter Menschenfreund gab – zugleich aber an kolonialistischer Ausbeutung beteiligt war?
Solche Fragen erweisen sich als Schlüsselelemente der Ausstellung, gerade weil sie am Rande als Textfolie auf den untersten Scheiben der Sprossenfenster gestellt werden: "Das Fenster im Ausstellungsraum ist ja eigentlich ein Ort, der selten bespielt wird. Oft wird er sogar zugebaut. Und hier geht es genau darum, in dieser Leerstelle im Raum auf die Leerstellen in Anton Wilhelm Amos Leben hinzuweisen, wenigstens diese Fragen in die Runde zu geben", sagt Hillgärtner.
Erstaunlich viele Kooperationspartner
"Die Runde" - das ist beim Blick durchs Fenster die Stadt, der öffentliche Raum, in den der Name Anton Wilhelm Amo dank einer Initiative "Amo – Braunschweig Postkolonial" Eingang gefunden hat:
"Wir kooperieren schon gerne und gut, aber in dieser Ausprägung ist es ungewöhnlich. Dann muss ich aber auch sagen, dass, sobald man Anton Wilhelm Amo erwähnt, viele hellhörig werden. Und deshalb machen im Grunde fast alle Museen in Braunschweig inzwischen mit und auch die Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel. Das Staatstheater Braunschweig kooperiert mit uns für eine Lecture Performance", erklärt Hillgärtner.
Da allerdings taucht Anton Wilhelm Amo nicht mehr in seiner inspirierend unscharfen Gestalt als Fragestellung auf: Der schwarze Philosoph wird zur Projektionsfläche für plakative Parallelen wie den Streit um die Berliner "Mohrenstraße" oder Bismarck und die Berliner Konferenz zur Aufteilung Afrikas. Und dabei geraten wissenschaftliche Kategorien und Begriffe wie etwa "Auslöschung" unversehens zum beliebig verwendeten Schlagwort.
Wie ein Leben vergessen wurde
Im Kunstverein dagegen stehen fern aller Klischees visuelle Eindrücke, Bilder im Vordergrund – und ein sehr bunt ausgemaltes Porträt: "Die Arbeit von Adjani Okpu-Egbe zeigt eine sehr abstrakte, auch imaginierte Vorstellung von Anton Wilhelm Amo auf dem Cover des ‚Time Magazine’. Und das ist tatsächlich eine Forderung des Aktivisten, dass man Anton Wilhelm Amo auf das Cover des Magazins platziert", sagt Jule Hillgärtner.
Darauf aber, auf journalistische News über Anton Wilhelm Amo, kommt es nun wirklich nicht mehr an. Mit dieser Ausstellung geht es fortan um Kunst – die Kunst, ein Leben nicht darzustellen, wie es gewesen ist, sondern wie es vergessen wurde.