Die Ausstellung "And the FORESTs will echo with laughter … Wald ohne Bäume in Kunst und Wissenschaft" ist in der ERES-Stiftung in München-Schwabing noch bis zum 27. März 2021 zu sehen.
Ökosystem, Mythos und mystischer Sehnsuchtsort
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Die ERES-Stiftung in München widmet sich dem Thema "Wald" von zwei Seiten: der Kunst und der Wissenschaft. Auf einem künstlerischen Parcours wird die Vielschichtigkeit des Themas illustriert - und das ganz ohne Bäume.
Wer den schwülen Großstadtsommer hinter sich lassen möchte, der trete durch diese knarrende, schwarze Holztür. Ein ätherisch-rauchiger Duft umhüllt mich. Zu Beginn der Ausstellung befinde ich mich in einer einfachen Holzhütte, verdichtet mit Schiffspech.
Der Wald im Märchen
Und bin schon mittendrin – in der Tiefe des Waldes, in der mich die Kuratorin Sabine Adler empfängt: "Alle Assoziationen, die wir mit dem Wald haben, werden hier eigentlich sofort sehr sinnlich und vollkommen unmittelbar angesprochen. Ich denke an Hänsel und Gretel, ich denke an Rotkäppchen und den Wolf. Aber ich denke auch an dieses Urbedürfnis des Menschen, eine Schutzhütte zu haben, dass man sich im Wald verirrt, dass man sich verläuft."
Die Holzhütte ist eine Installation des Österreichers Hans Schabus. "Im tiefen Wald" heißt sie. Sofort ist man an den Ausstiegs-Bericht "Walden" des liberalen Bleistift-Fabrikanten Henry David Thoreau erinnert. Der Amerikaner hatte sich jahrelang in eine solche Hütte zurückgezogen.
Eine benachbarte Filminstallation des US-Künstlers James Benning greift diesen Gedanken auf. Benning baute die Blockhäuser der großen amerikanischen Wald-Genies Thoreau und Ted Kaczynski – letzterer ein Mathematiker und Anarchist, der wegen eines Bombenanschlags in den Wald flüchtete und dort vom FBI verhaftet wurde.
Weg von der Zivilisation
"Es ist ganz klar, dass der Wald auch immer ein Rückzugsort für Außenseiter ist oder dass er Gegenbild zur zivilisierten Gesellschaft ist. Im Wald, da sind die Räuber, da sind die verrückten Spinner – die guten wie die schlechten", erklärt die Kuratorin.
Wald, so die Grundthese der Ausstellung – ist in erster Linie eine Projektion. "Denn der Wald – das ist auch interessant – ist in erster Linie eine Idee, eine kulturelle Idee. Und man tut sich sehr schwer, eine exakte Definition von Wald zu finden", fügt Adler hinzu.
Wann ist der Wald ein Wald? Wenn der einzelne Baum vor lauter anderen nicht mehr zu sehen ist? Oder ab einem gewissen Grad an Verzauberung – wobei der Mensch ja immer schon gern nachgeholfen hat? Sabine Adler führt mich zu einem Baumstamm mit seltsamen, runzeligen Verwachsungen – es ist gewissermaßen Landart aus dem Jahr 1460.
"Das war damals ein sehr begehrtes Sammlerstück der Fürsten für die Kunst und Wunderkammern. Man hat im Wald ein Hirschgeweih an verschiedenen Stellen in den Baumstamm eingebracht und einwachsen lassen und nach 20 Jahren hat man das geerntet und als bestaunenswertes Objekt in die Wunderkammern gesteckt", so Adler.
Mit Kunst den Wald verstehen
Es ist Teil der Menschheitsgeschichte, den Wald wieder als die möglichst reine Natur zu betrachten. Dafür muss man die Natur erstmal verstehen – so wie sie ist. Ein evolutionärer Schritt, den die Ausstellung anhand von zwei Kunstwerken sichtbar macht.
Der Künstler John Baldessari wollte 1972 in einer dadaistischen Videoinstallation noch einer Zimmerpflanze das Alphabet beibringen – mit Buchstabenkarte und repetitivem Vorsprechen. Daneben lädt die Multimedia-Installation des Tonkünstlers und Regenwald-Forschers Marcus Maeder von 2017 ein, in einer kokonförmigen Amazonas-Hütte den Klängen von Tieren und Pflanzen im Dschungel zu lauschen.
Die Klänge des Urwalds
"Es gibt da bis zu fünfzig verschieden Töne – auf drei Ebenen. Und man braucht eine Zeit, bis man sich überhaupt in diese Komplexität einfindet. Das ist der Zugang, dass wir lernen, als Menschen uns von unserer anthropozentrischen Sicht- und Hörweise zu distanzieren und uns mal auf ein anderes System einzulassen", erläutert die Kuratorin. Als einzige menschliche Tonspur hat Maeder den Klang einer Flöte eingefügt. Sie repräsentiert das Abgas CO2, das auch den Regenwald immer stärker bedroht.
Der Wald ist auch ein mächtiger Mythos des Deutschen, den die Nazis feierten – wohl niemand konnte diesen so schnoddrig auf seine Dumpfheit reduzieren wie der Westberliner Künstler Martin Kippenberger in seiner Installation "Ich geh jetzt in den Birkenwald, denn meine Pillen wirken bald". Sie besteht aus Birkenstämmen, die aus Fototapete bestehen – umgeben von überdimensionierten holzgedrechselten Tabletten.
Deutscher Mythos trifft auf US-Zeichentrick
Mit ihren treffenden Exponaten leuchtet die ERES-Stiftung unser Verhältnis zum Wald lustvoll und zugleich schonungslos aus. Und vielschichtig: Fesselnder Höhepunkt ist, jawohl, "Bambi". Der erste Zeichentrickfilm, der uns mit einer in den dreißiger Jahren neu entwickelten Multiplan-Kamera sprichwörtlich durchs Unterholz führt.
Persijn Broersen und Margit Lukács aus den Niederlanden haben den Disneyfilm in einem zehnminütigen Kamera-Streifzug durch virtuelle Waldlandschaften rekonstruiert – diesmal aus der Ego-Perspektive der Tiere. "Und es ist sehr überwältigend, so wie Disney auch gearbeitet hat. Diese Arbeit hat einen unheimlichen Sog", schwärmt Sabine Adler. Und so fliegt man über dunstverhangene Tannen, huscht durch die Farne – und durchlebt das atemberaubende Drama einer romantisch durchkomponierten Wildnis.