Die Ausstellung "Hexen" ist bis zum 3. Oktober 2021 im Taxispalais Innsbruck zu sehen.
Das Prinzip in Einzelteile zerlegt
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Die Hexenverfolgung gehört zu den düsteren Kapiteln der europäischen Geschichte. Welche gesellschaftlichen Strukturen dem einst zugrunde lagen und wie diese bis heute nachwirken, ergründen Kunstschaffende in der Innsbrucker Ausstellung "Hexen".
Das Menstruationsblut läuft ihnen die Strumpfhose herunter. In kleinen Sturzbächen fließt es, sammelt sich in Pfützen auf dem Fußboden – für den Jüngling an der Fleischtheke wird es schlecht ausgehen. Denn diese reiferen, adrett gekleideten Kundinnen haben die Wechseljahre übersprungen. Sie haben Lust auf Frischfleisch.
Und: Auf die Erotik folgt die Mordlust. Eine unstillbare Begierde, die selbst noch in Gefängniszellen sinnlich ausgelebt wird. Der brüllend komische Kurzfilm von Pauline Curnier Jardin bringt auf den Punkt, was hier, in der Ausstellung des Innsbrucker Taxispalais, gespielt wird.
"Ich glaube, es ist eben auch im Raum der Kunst gut möglich, Logiken mal auf den Kopf zu stellen und Vorschläge zu machen oder Versuche, Fragen aufzuwerfen, wie man diese Grundstrukturen, diese Infrastrukturen, die uns vorgeben, wie wir handeln, untersuchen kann", sagt Nina Tabassomi.
Das Prinzip Hexe wird zerlegt
Sie ist die Leiterin der Kunsthalle und hat die Gruppenausstellung kuratiert. Mit jungen, zeitgenössischen Künstler*innen zerlegt sie das Prinzip Hexe in seine Einzelteile – und wirbelt diese dann ordentlich herum. Eines davon ist sicherlich die okkulte Macht. Doch wer hat sie eigentlich inne im Fall von vermeintlichen Hexen und ihrer Verfolgung?
Die in Berlin arbeitende Künstlerin Neda Saaedi lässt es in ihrer Installation "Ezekiel dreams: beyond repair" in violettem und grünem Schimmerlicht aus dem Dunkeln funzeln. Angestrahlt ist ein moderner Hexenthron: Das Modell eines Sitzes des EU-Parlaments, der auf den Skulpturen von ausgestorbenen Pflanzen steht, im Hintergrund ein grüner Mond, der, folgt man der Bibelgeschichte vom Propheten Ezechiel, für Gott stehen könnte.
"Dieses Bild mündet dann aber auch in so ein schwarzes Loch. Wir wissen alle, die Kirche war Zeremonienmeister der Hexenverfolgung", erläutert die Kunsthallen-Leiterin. Und aus heutiger Sicht mindestens ebenso undurchschaubar wie die Frauen, die sie verfolgte.
Beziehung zwischen Leben und Tod ergründen
Alle, die in ihren Kernkompetenzen wie der Metaphysik herumpfuschten, waren den Klerikern ein Dorn im Auge. Die Linzer Performancekünstlerin Esther Strauß interveniert genau hier. Sie stellt sich einem besonders heiklen Thema: dem Tod. Welche Beziehung kann zwischen Lebenden und Toten existieren?
Auf einem Aktfoto, das sie bei einer Performance ohne menschliche Zeug*innen zeigt, hat sie sich mit Erde eingerieben. Die stammt vom Grab ihres Großvaters. Warum sie nackt ist? "Was mir bei der Art von Arbeit wichtig ist, weil man da ja viel Verantwortung trägt ist, eine Form zu finden, bei der beide Seiten in irgendeiner Weise ausgesetzt sind. Weil man die Toten eben nicht um Erlaubnis fragen kann."
Die Künstlerin, Jahrgang 1986, hält sich auf einem anderen unscharfen Aktfoto einen Totenschädel gegen die Brust – der Titel "Wiegenlied". Wenn Gräber aufgelöst werden, fallen immer wieder solche Überreste an.
Ein Freund fand den Schädel und überließ ihn ihr. Esther Strauß wird den Totenschädel mit in ihren Sarg nehmen, wenn sie stirbt. Ihre Kunst ist voller Wucht – und voller metaphysischer Zärtlichkeit.
In einer von drei identischen kapselförmigen Urnen, die auf einem Tisch stehen, hat sie das Haar ihrer toten Großmutter gebettet. Die anderen beiden bezeichnet sie als Kopien. Ob sie noch weiß, welche die Original-Urne ist? "Ich weiß es schon, aber ich behalte es gerne für mich. Ich stelle sehr gern Geheimnisse her", sagt die Künstlerin.
Geheimes Wissen um Heilkräfte in der Natur. Auch das wurde ja Hexen gerne zum fatalen Vorwurf gemacht. Und nicht nur Frauen.
Gab es ein indigenes Wissen in Europa?
Der Konzeptkünstler Joachim Koester übt sich daher in einer Filmperformance in knuffigen Ganzkörper-Zuck-Bewegungen. Laut dem Ethnologen und Schriftsteller Carlos Castaneda sollen diese Bewegungen zu dem naturnäheren Bewusstsein indigener Völker führen.
Ein Gedanke, der Nina Tabassomi beim Nachdenken über die europäische Hexenverfolgung kam: "Gab es da vielleicht ein indigenes Wissen in Europa, das eben eine ganz andere Logik von Resonanz, Durchlässigkeit zur Umgebung, zur Natur, zum Land – nicht ein Verhältnis der Ausbeutung – ein Verhältnis des Zuhörens und des Spürens erlaubte."