Die Ausstellung "Madame D’Ora. Machen Sie mich schön!" ist noch bis zum 18.03. 2018 im MKG – Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg zu sehen
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag: 10-18 Uhr, Donnerstag: 10-21 Uhr, 1. und 2. Weihnachtstag: 12-18 Uhr, Heiligabend und Silvester geschlossen
Portraitistin der Künstlerboheme
Ob Anita Berber, Maurice Chevalier oder Josephine Baker. Alle wollten Anfang des 20. Jahrhunderts von Madame d’Ora fotografiert werden. Jetzt ist erstmals ein umfassender Gesamtüberblick über das Werk der Künstlerin zu sehen.
Auftritt der Schönen und Reichen: Die Damen präsentieren sich aristokratisch-elegant in schimmernden, bodenlangen Kleidern. Andere lagern lässig in einem Sessel, versinken in kostbaren Stoffmassen aus Seide, Brokat oder Tüll.
Anfang des 20. Jahrhunderts rissen sich Wiener Komtessen und Hofrätinnen, Stars und Sternchen darum, von Madame d’Ora in Szene gesetzt zu werden. Zusammen mit zeitgleich entstandenen, sachlich-klaren Porträts von Karl Kraus, Max Liebermann oder Gustav Klimt lässt Kuratorin Esther Ruelfs die Damen jetzt die Ausstellung eröffnen: "Sie inszeniert ja eigentlich bei diesen Frauen auch die schöne Oberfläche. Das geht nicht darum, jetzt ein Charakterporträt zu zeigen. Oder etwas, was hinter dieser Fassade liegt."
Dieses Interesse für Oberflächen bildet den unauffälligen roten Faden der Ausstellung. Chronologisch geordnet wurde sie in einem großen Saal und in zwei parallel verlaufende Teile gegliedert: links das Frühwerk, rechts das Spätwerk, das erstmals derartig umfassend gezeigt werden kann, denn, so Ruelfs: "Ein großer Teil des Spätwerks ist hier am MKG als Nachlass. Das war Material, was jetzt erschlossen wurde. Also, wir zeigen sie sowohl als Gesellschaftsporträtistin, als Modefotografin, aber haben eben einen Fokus gelegt auf ihr Nachkriegswerk, ein sehr interessantes, weil sehr brüchiges Werk."
Madame d’Ora, die 1881 als Dora Philippine Kalmus in einer großbürgerlichen jüdischen Wiener Familie geboren wurde und 1907 ihr erstes Atelier eröffnete, war gleichzeitig eine der bedeutendsten Modefotografinnen ihrer Zeit. Zahlreiche Aufnahmen für Illustrierte zeigen, wie stilbildend die Künstlerin war: Schon um 1919 entwickelte sie beispielsweise das Bild der "Neuen Frau" mit Bubikopf und Hängerkleidchen.
Als sie 1925 nach Paris ging, belieferte sie weiterhin die deutschen Mode-Illustrierten - bis 1940 die deutsche Wehrmacht in Paris einmarschierte. Esther Ruelfs: "Sie muss ihr Studio verkaufen und hält sich dann versteckt in einem kleinen Ort in der Ardeche, überlebt dort den Holocaust. Versucht auch noch zu emigrieren und auch ihre Schwester, die in Österreich lebt, nachzuholen. Das misslingt aber und ihre Schwester wird im KZ ermordet."
Mit der Befreiung vom Faschismus setzt der zweite Teil der Ausstellung ein. Er zeigt, was die Fotografin nach 1945 umtrieb. Als erstes reiste sie nach Wien und Salzburg. In Sammellagern für "displaced persons" fotografierte sie jüdische Überlebende, die auf ihre Ausreise nach Israel warten. In den Haltungen der Überlebenden spiegelt sie Erlittenes. So sieht man einen Mann und eine Frau über Eck auf Stühlen sitzen und sich vorgebeugt umklammern.
Anfang der 50er Jahre entstand eine Serie mit dem exzentrischen Dandy und Ballett-Leiter George de Cuevas, der bekannt war für maßlos verschwenderische Partys. In morbid-abgründigen Bildern sieht man den Kopf des alten Mannes mal umringt von gehäuteten Schafsköpfen, mal ausgeleuchtet wie einen Totenschädel. Esther Ruelfs: "Beide arbeiten an einer Inszenierung, die ihn als brüchige Figur, als kranken alten Mann zeigt. Und das sieht man hier eben auch: dass die Fassade einen Riss bekommt."
Die Fassade wird eingerissen
Mitte der 50er Jahre riss die Fotografin die brüchig gewordene Fassade endgültig ein: Mehrfach fotografierte sie in Pariser Schlachthöfen! Sie zeigt das systematische Schlachten: Eine lebende Kuh an einer Kette. Dann ein Kuhkopf mit geschlossenen Augen im eigenen Blut liegend. Reihen ausblutender Schweine. Ein gehäutetes Pferd. Aus jedem Foto schreit der Horror der systematischen Judenvernichtung.
Dazwischen: Extreme Nahaufnahmen von Schlachtabfällen, Haut und Kadavern - von Oberflächen! Esther Ruelfs: "Also, da kann man ja zum Teil gar nicht mehr richtig erkennen, was das eigentlich ist. Und das ist natürlich auch ein Verfahren, was einen ganz nah daran holt!"
Madame d’Ora, Überlebende der nationalsozialistschen Judenverfolgung, zwingt den Betrachter so, genau hinzusehen - und sich dem gerade Geschehenen zu stellen! So unaufdringlich wie nachvollziehbar zeigt die Ausstellung erstmals, dass und wie die Fotografin, immer wieder "Oberflächen" auch als Metapher nutzte: Von der glänzend-inszenierten Oberfläche der Reichen und Schönen bis zur nackten, geschundenen Oberfläche als Ausdruck des millionenfachen Judenmords.