Helmut Newton: Sumo
7. Juni 2019 bis 10. November 2019
Helmut Newton Foundation, Berlin.
Protzige Geste eines Perfektionisten
07:29 Minuten
30 Kilo schwer, 3000 Mark teuer, nackte Frauen auf High-Heels: "Sumo" von Helmut Newton war der bis dahin größte Fotoband. Eine Ausstellung in Berlin feiert sein Erscheinen vor 20 Jahren - ohne inhaltliche Auseinandersetzung, kritisiert Lotta Wieden.
Vielleicht sei das Buch "Sumo" eher ein Kunstobjekt als ein Bildband, findet Kritikerin Lotta Wieden. Gut darin blättern, kann man jedenfalls nur, wenn es auf einem großen Tisch liegt, denn es ist 30 Kilo schwer, 70 cm groß, 50 cm breit. Der größte bis dahin jemals gedruckte Fotoband - mit einem Buchdeckel aus Holz.
Zu sehen sind mehr als 400 Fotos von Newton, die meisten in Schwarz-Weiß, fast immer ganzseitig gedruckt. Versammelt sind verschiedene Genres: Modefotografie, Porträts von Prominenten, zum Beispiel von Liz Taylor, Jack Nicholson, Helmut Kohl oder Carla Bruni und natürlich gibt es viele Bilder von nackten Frauen auf hohen Absätzen.
1999 erschien der Bildband und kostet 3000 Mark pro Exemplar. Das war ein besonderes Statement, erklärt Wieden: "Es ging um eine fette Geste: protzig, luxuriös und omnipotent. Und das Buch richtet sich, das merkt man nach drei Seiten, ganz explizit an Männer mit Geld, Männer, die sich mit Kunst umgeben wollen, und zwar mit einer Kunst, die vor allem auch so was wie ein Statussymbol ist, das man gerne herzeigt, mit der man sich schmückt. Und aus Unternehmersicht ist das auch wunderbar aufgegangen."
Kontroversen um Newtons Sexismus
Newton arbeitete Jahrzehnte als Modefotograf, unter anderem für die "Vogue", für "Vanity Fair" oder für den "Stern". "Er ist wirklich ein Meister der Inszenierung - vom Licht, von der Komposition, wusste immer ganz genau, welches Bild er wollte, und er war ein absoluter Perfektionist", so Wieden.
Newtons Markenzeichen: Fotos, die sexuell aufgeladen sind. Zum Beispiel: Eine Frau in einem weißem, extrem dünnen Dior-Trägerkleid steht im Park, ein weißes durchsichtiges Tuch um die Schultern, das im Wind flattert. Und direkt vor ihr sieht man einen Mann, der wirkt als sei er eben schnell aus dem Gebüsch gesprungen, und greift der Frau mit einem aggressiven, fordernden, Blick auf die linke Brust.
Seine Fotos lösten immer wieder Kontoversen aus, zum Beispiel mit Alice Schwarzer. "Newtons freie Arbeiten, hat zum Beispiel Alice Schwarzer als sexistisch, rassistisch und faschistoid bezeichnet", erklärt Wieden. Die Vorwürfe an Newton: Er würde Frauen zeigen, die als Subjekt gar keine Rolle mehr spielen, sondern die eine Rolle von ihm zugewiesen bekommen, also Objekt sind, innerhalb einer Sexfantasie.
"Was ich persönlich daran interessant finde, ist: Wie seine Fotos immer wieder den sexuell geschlechtergetrennten Blick reproduzieren", sagt Lotta Wieden. "Ich kann mich beim Betrachten, egal ob Mann oder Frau oder welche Identität auch immer, nie selbst entscheiden, wie ich die Szene empfinden will. Newton zwingt uns seine Sicht, einen ganz bestimmten männlichen Blick, der ja auch wiederum nur einen ganz bestimmten, eng umgrenzten Teil von Sexualität umfasst, auf. Und man kann sich dem überhaupt nicht entziehen. Man muss das alles genauso empfinden wie er selbst."
Die Ausstellung ist der Bildband
Dass die Kontroversen um Newtons Arbeit in der Ausstellung "Sumo" keinen Platz haben, bemängelt Lotta Wieden. Kernidee der Ausstellung sei, einfach die Bilder des Fotobandes an die Wand zu bringen.
"Das heißt, diese 464 Fotos hängen schwarz gerahmt, exakt in der Größe, und Reihenfolge, in der sie auch im Buch abgebildet sind, in drei Reihen übereinander. So dass man praktisch durch das Buch hindurchwandern kann", erklärt Wieden, "aber das Fehlen jeglicher Auseinandersetzung mit der Rezeption - damals und heute - das irritiert dann schon, muss ich sagen. Weil es wäre einfach interessant gewesen, diese Kontroverse Ende der 90er Jahre mal genauer aufzudröseln: Welche Standpunkte wurden da verhandelt und wie sehen wir das heute, gerade auch nach MeToo."