Der Volksempfänger als Kathedrale
Wichtig ist, was rauskommt. Aber interessant ist auch die Form. Die Ausstellung "RADIO Zeit" in Köln beschäftigt sich ausschließlich mit dem Design des Radios - vom sperrigen Gerät mit mehreren Röhren, über den Volksempfänger bis hin zum Internetradio.
Die Radiogeräte in der Kölner Ausstellung schweben von der Decke, sehen aus wie Kommander-Brücken eines Raumschiffs oder wie ausladende futuristische Möbel. Kuratorin Romana Breuer kennt solch ein Multifunktionsgerät noch aus ihrer Kindheit.
"Meine Eltern hatten auch so eine Musiktruhe, die hat mich natürlich interessiert, weil in dieser Musiktruhe war auch eine Bar. Das war alles verspiegelt und sah alles so toll und edel aus."
Dabei stand am Anfang des Radiogeräts allein seine Funktion im Vordergrund., Romana Breuer zeigt auf ein Holzgehäuse aus den 20er-Jahren, schmucklos, dunkel und groß:
"Am Anfang waren die Elektronenröhren, mit denen man ja auch einen besseren Empfang hatte, relativ groß, also die sind, ich sage jetzt mal, mit Sockel so zehn Zentimeter groß. Wenn sie dann ein leistungsstarkes Gerät haben möchten, dann brauchen sie eine ganze Menge Platz."
Die Ausstellung beginnt mit den klobigen Kisten aus dunklem Holz. Eine freiere Form erlaubte dann schon in den 30er-Jahren der Press-Phenolharz, der sich biegen und färben lässt. Tatsächlich ist es der deutsche Volksempfänger VE 301, der dann ein überraschendes Design auf den Markt brachte. Die Zahl 301 in dem Namen des Gerätes steht dabei für den 30.1., die Machtergreifung der Nationalsozialisten.
Optisch orientiert sich der Volksempfänger an der Kathedralarchitektur
"Der Volksempfänger ist ein ganz, ganz typisches Art Deco angehauchtes Radio, dass sich an Kathedralarchitektur orientiert, mit einem Portalbogen, einer Fensterrosette, das ist ganz ganz typisch. Und der Gestalter ist Walter Maria Kersting, der Entwerfer die Grundidee. Da Kersting aber nicht gesinnungskonform war, ist er dann sozusagen aus der Historie des Geräts wieder verschwunden."
Das ist nur eine von vielen überraschenden Geschichten, die Romana Breuer hinter dem Rundfunkempfänger entdeckt hat.
"Wenn sie sich mit einem dieser Gehäuse beschäftigen oder mit einem Gerät beschäftigen, dass ist so, als wenn sie irgendwo so ein kleines Fädchen erwischen, dann ziehen sie dran und dann kommt ein Riesenwollknäuel dabei raus."
Zu dem Riesenwollknäuel gehören auch die Musiken und Geschichten, die aus dem Rundfunkgerät ins heimische Wohnzimmer schallten und in der Ausstellung noch einmal zu hören sind, zum Beispiel die englischsprachige Reportage vom Brand des Zeppelins Hindenburg.
Radios, die an Schlittschuhe erinnern
Mit politischen Bezügen, untermauert vom jeweiligen Lebensgefühl, unternimmt diese sehenswerte Ausstellung eine spannende Zeitreise durch die letzten hundert Jahre über glitzernde Radiogeräte, die von innen leuchten, mit sogenannten Gebisstasten, Radios, die an Schlittschuhe erinnern, an Toaster, an Kühlschränke, an Armaturenbretter von Autos. Oder an Urnen!
"Das hier ist ein Flop, muss man so sagen."
Neben außergewöhnlichem Design suchte Romana Breuer aber auch nach einem speziellen Formenkanon, der sich durch die Geschichte des Radiogeräts zieht. Tatsächlich fand sie ihn in einem dunklen Gehäuse der 30er Jahren.
"Dass ist der, den sie hier unten sehen. Sie sehen eine quer-rechteckige Form. Man könnte ihn auch aufstellen. Und der hat abgerundete Ecken. Und wenn sie ihr Smartphone rausnehmen und sich das mal anschauen, dann sieht das genau so aus. Und wenn sie sich Braun-Geräte anschauen in den 50er Jahren, der hat genau diese Form. Und Apple hat diese Form auch übernommen. Und das ist dieser Kanon, der sich in dieser Ausstellung herauskristallisiert hat und das beginnt 1934 / 1935 mit Wells Coates."
Apple schaute sich auch ganz genau die Kompaktanlage an, die Hartmut Esslinger Ende der 70er Jahre für die deutsche Firma Wega entworfen hatte: Ein klares Design, in einem schwarzen Gehäuse, in dem die einzelnen Komponenten wie Plattenspieler, Kassettenrecorder und Radio übersichtlich nebeneinander angeordnet sind.
"Steve Jobs wurde auf Esslinger aufmerksam und hat zu ihm gesagt: Das ist das, was ich für Apple haben möchte. Und Hartmut Esslinger ist dann zu Apple gekommen und hat dann eine Zeit lang das Design mitgeprägt."
Designer wie Dieter Rams oder Philippe Starck arbeiteten sich am Radiogehäuse ab
Ghettobluster, tragbare Transistorgeräte, HiFi-Türme, Geräte, die auf Bewegung reagieren – Designer wie Dieter Rams oder Philippe Starck arbeiteten sich an dem Gehäuse ab, auf der Suche nach der idealen Form zwischen Funktion und Spaßfaktor.
Romana Breier bleibt vor zwei Geräten stehen, einem rechteckigen Kasten auf einem Standfuß und vor einem kleinen roten Kubus, Andockstationen für digitale Geräte:
"Das hier ist jetzt unser Schlusspunkt, und zwar mit zwei Geräten von 2008, das Geneva Soundsystem und der Cubo von Sonoro. Und das, was die beiden verbindet, sind die abgerundeten Ecken."
So schließt sich der Kreis - vermeintlich moderne Geräte mit abgerundeten Ecken orientieren sich an den Vorgängern aus den 30er Jahren. Ist damit die Geschichte des Radiogerätes am Ende? Abgelöst vom Internet, vom PC und vom Smartphone?
"Ob jetzt das Radio tatsächlich verschwindet, als Apparat, da würde ich sagen, da sprechen wir uns in zehn Jahren noch einmal."