Die Ausstellung "Unvergessliche Zeit" ist noch bis zum 30. August 2020 im Kunsthaus Bregenz zu sehen
Kunst - so aktuell wie die Nachrichten
05:40 Minuten
Isolation und Gefährdung - diese Begriffe stellt das Kunsthaus Bregenz einer Ausstellung voran, die Werke der Corona-Zeit zeigt. Künstlerinnen und Künstler beschäftigen sich in "Unvergessliche Zeit" mit dem beklemmenden Lebensgefühl der Quarantäne.
Was von der Corona-Zeit bleibt? Bei der Pariser Künstlerin Annette Messager sind es Schädel, Totenschädel – in düsteren Aquarellen. Ähnlich einem Quallenschwarm zieren sie die Wand im Foyer des Bregenzer Kunsthauses.
"Das hat mit ihrer persönlichen Biografie zu tun, in den letzten Monaten. Sie hatte im späten Herbst eine Schädeloperation. Sie hatte mir erzählt: Es ist alles wieder gut. Aber in der Rekonvaleszenz wurde sie dann zur Quarantäne verpflichtet. Was man da sehr spürt, ist diese Berührung; natürlich die Erfahrung von Todesnähe und Angst, aber gleichzeitig Lebenswille. Spiel damit. Manchmal ist dieser Schädel nicht bedrohlich, sondern wie 'a Sprifankerl', wie wir in Österreich sagen. So eine Art kleiner Geist, der dann um die Ecke lugt – ein bissl hämisch."
Museumsdirektor Thomas Trummer erkennt in manchen von Messagers Aquarellen mehr als nur ein makabres Spiel mit dem Motiv des Totentanzes:
"Mich persönlich berührt auch sehr: Manchmal tauchen diese Schädel auch zu zweit auf – in einer liebevollen, sich begegnenden Geste. Sie sagt selber, das sind Doppelbildnisse – mit ihrem Mann Christian Boltanski, mit dem sie zusammenlebt. Da ist nicht nur der Schauer und die Angst spürbar. Da ist auch Vertrautheit, Liebe, Zuneigung – auch das ist etwas, was wir ganz stark suchen."
Kurzerhand den Plan umgeworfen
Planmäßig sollte nun Peter Fischli eine Werksausstellung bekommen. Doch Trummer hat das Museumsprogramm kurzerhand umgeworfen – und zeigt nun künstlerische Kommentare zur Aktualität. Die jüngsten Werke in der Corona-Ausstellung "Unvergessliche Zeit" sind gerade einmal ein paar Tage alt. Und gerade deshalb will Trummer sie jetzt zeigen:
"Die Wissenschaft ist bedeutsam geworden, wie glaube ich, niemals zuvor in der Kulturgeschichte. Wir haben den Virologen vertraut, den Medizinern, den Mathematikern. Dann kam eine Phase, wo man dann mehr das Leben wieder in den Blick gebracht hat. Da wurden dann die Psychiater und Psychologen befragt. In einer dritten Phase dann – die Philosophen. Von der Kunst, von der Bildenden Kunst war am Anfang wenig zu spüren. Aber dann ging es relativ schnell. Dann war spürbar, da ist Aktivität. Einige haben mir, uns ungefragt Bilder geschickt von dem, was sie so machen", erzählt Trummer.
Manche haben schon in den Nullerjahren Bilder gemalt, die jetzt fast visionär wirken. Wie der Österreicher Markus Schinwald, der schon damals altmeisterliche Ölporträts aus dem 19. Jahrhundert mit abenteuerlichen, zahnspangenähnlichen Gerüsten versah, mit Prothesen und, ja, mit Gesichtsmasken. Wenn auch unter anderen Vorzeichen.
"Als ich die Masken gemacht habe, war das nicht, um andere von meinem potenziellen Virus zu schützen, sondern mich vom Blick der anderen. Dass das jetzt quasi das Accessoire der Pandemie wird, war mir damals natürlich nicht bewusst", sagt Schinwald.
Umtriebige Schleier
Tja, so ändern sich die Zeiten. Damals, vor Corona, als gerade viele Mächtige hinter der Gesichtsverschleierung noch zwielichtige, politische oder religiöse Umtriebe vermuteten. Schinwald stellt seine grotesken Bilder gern in diesen erweiterten Sinnhorizont, um genau das Vorher-Nachher-Gedankenspiel sichtbar zu machen.
Andere wie der südafrikanische Filmkünstler William Kentridge präsentieren in ihren Corona-Werken vor allem die eigene Langeweile. "Wir erkennen uns selber in dieser Situation. Wir sind irgendwie eingesperrt, wollen kreativ sein, wird aber nix. Plötzlich kommt der zweite Kentridge ins Bild, setzt sich in den Stuhl daneben. Die beiden schauen einander verblüfft an, stehen wieder auf, gehen im Kreis. Es passiert aber auch nichts", analysiert Museumsdirektor Trummer das Werk Kentridges. Dies in einminütigen Clips – höchst vergnüglich.
Anders Ania Soliman. Sie beansprucht eine ganze Etage für ihre Zeichnungen im quadratischen Format. Es ist das Corona-Tagebuch, das sie Tag für Tag auf Instagram teilte. Ein Experiment, bei dem ein Prinzip zutage tritt, das uns schon die vergangenen Wochen beim Blick aufs Handy nervte: Die virtuelle Selbstbespiegelung in geschlossenen Räumen wird irgendwann redundant. Ganz generell gefragt: Kunst zu Corona - wollen wir so was gerade sehen?
Alle sind Corona-Spezialisten
"Wir wollen uns verstehen, wir Menschen. Ich glaube, Kunst kann das. Eines habe ich selber interessant gefunden in meiner Erfahrung. Oft in der zeitgenössischen Kunst erleben Sie ja, dass Menschen in Ausstellungen gehen und sagen: Das verstehe ich jetzt nicht oder das ist mir fern oder nicht zugänglich, das Problem kenne ich nicht und so. Aber in dem Fall ist es genau umgekehrt. Denn jede und jeder, der dieses Haus betritt, ist ein Spezialist dieses Themas. Wir alle haben es erlebt", meint Trummer.
In dieser Hinsicht dürfte uns auch der Filmessay von Helen Cammock, berühren. Zu den Bildern aus ihrem Atelier hört man der Turner-Preisträgerin von 2019 laut beim Nachdenken über die Trägheit zu.
Eigentlich ein Urprinzip jeder Kunst, die Ruhe und Introspektion braucht. Und die dennoch heute mehr denn je den Privilegierten vorbehalten bleibt – die im allgemeinen Stillstand nicht ums Überleben kämpfen müssen.