Ausstellung

Vom Knetgummi-Porno zum Riesen-Donut

Von Andrej Klahn |
Bekannt geworden ist Nathalie Djurberg mit Animationsfilmen. Darin sieht man Plastilin-Puppen, die kindlich anmuten, jedoch abgründige Fantasien zeigen. In Köln ist nun zusätzlich eine imposante Installation - ohne Knetgummi - zu sehen. Die Elektro-Sounds kommen noch immer von Hans Berg.
Grotesk herausgeputzte Huren mit grell geschminkten Lidern paradieren vor einer kleinen Tribüne herum. Darauf sitzen Richter mit fratzenhaft lüsternen Gesichtern, brünstig roten Ohren und Pinocchio-langen Nasen. Sie begutachten die ausladenden Dekolletés der vorbeiziehenden Frauen. Und nach jedem Defilee geben die Herren mit den Allongeperücken ihre Wertungen bekannt. Wie die Jury beim Eiskunstlauf. Vorher verwandeln sich Priester-Roben in Ku-Klux-Klan-Gewänder. Ein blondes Mädchen wird geopfert und eine Prostituierte vergewaltigt.
Willkommen im alptraumhaften Knetgummi-Universum der Nathalie Djurberg. "The Parade of Rituals and Stereotypes" heißt die knapp elfminütige Animation, die die schwedische Künstlerin mittels Stop-Motion-Technik produziert hat. Zusammengesetzt aus Tausenden von fotografierten Einzelbildern. So hat Nathalie Djurberg dem Kinderzimmer-Plastilin seine Unschuld genommen. Denn ihre märchenhaft-archaischen Geschichten muten zwar farbenfroh kindlich an, doch sie erzählen mit ruckelnden Bewegungen von lustvoller Gewalt und destruktiver Sexualität, von Macht und Unterwerfung. Und häufig sind sie in ihrer Bosheit befreiend komisch:
"Humor ist ein unglaublich starkes Werkzeug, um die Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und sie auf den Kopf zu stellen. Er hilft einem dabei, sie neu und anders zu verstehen. Und ich glaube, dass es wichtig ist, hinzuschauen und nicht wegzuschauen. Animationsfilme können genau das leisten. Sie machen dich als Betrachter verletzlicher. Aus Gewohnheit denken wir, dass Trickfilme für Kinder sind. Wenn ich als Erwachsener solche Filme sehen, bin ich schutzlos. Weil ich nicht darauf eingestellt bin, dass sie für Erwachsene gemacht sind."
"The Black Pot" stellt einen Bruch im Schaffen Djurbergs dar
Vier dieser Knetanimationen sind in der Ausstellung "Maybe This Is A Dream" zu sehen, die der Kölnische Kunstverein dem Künstlerduo Nathalie Djurberg und Hans Berg widmet. Der in der Techno-Szene verwurzelte Hans Berg produziert seit zehn Jahren elektronisch-verfrickelte Sounds für Djurbergs Filme. Bislang hatten seine Kompositionen eher begleitenden, illustrativen Charakter. In der neuen Arbeit der beiden, die jetzt erstmals in Deutschland gezeigt wird, kommt der Musik hingegen eine strukturbildende Funktion zu.
"Musik wird immer wichtiger für mich. Manchmal denke ich sogar, dass sie wichtiger ist als meine eigene Arbeit. Viele meiner Idee entwickeln sich mittlerweile häufig von der Musik her. Aus dem heraus, was Musik ist. Man kann sie nicht anfassen, sie ist so abstrakt. Und sie existiert nur für kurze Zeit und ist in der nächsten Sekunde schon wieder weg oder verändert sich. Musik ist nicht wie ein Objekt, das man sehen und berühren kann."
"The Black Pot" heißt die raumgreifende neue Installation. Sie stellt in vielerlei Hinsicht einen Bruch im Schaffen der 1978 geborenen Schwedin dar, die 2009 auf der Biennale von Venedig als beste Nachwuchskünstlerin mit dem Silbernen Löwen ausgezeichnet worden ist. Auf dem Boden eines großen, abgedunkelten Raumes hat Djurberg überdimensionierte, mit Spots angestrahlte Donuts verstreut. Bunt lasierte Kringel, so groß wie Traktorreifen. Dazwischen liegen ebenso große Skulpturen in Eierschalenform. So aufgeplatzt, dass sich der Besucher in sie wie in einem Kugelsessel fallen lassen kann. Um dann in Djurbergs neuen, über eine Breite von 30 Metern projizierten Film abzutauchen.
Wunderbar meditativer Urschlamm
Zu sehen ist ein kontinuierliches Entstehen, Fließen und Zergehen. Auf schwarzem Grund bilden sich Blasen, sie teilen und umspielen sich, lösen sich auf, verwandeln sich in Fäden und größere Farbflächen. Djurbergs Animation hat sich von der Figuration gelöst. Diese Bewegung hin zur Abstraktion vollzieht sich auch in Hans Bergs Komposition. Die Synthesizer-Sounds tropfen in den Raum hinein und breiten sich dann zu einem abstrakt gemusterten Teppich aus. Die Musik erzählt nichts mehr. Sie hypnotisiert. Und verbindet sich so atmosphärisch mit Djurbergs Filmprojektion:
"Ich bin an einen Punkt gekommen, wo ich das Gefühl hatte, etwas erledigt zu haben. Ich hatte nicht mehr diesen Drang, weiter figurativ zu arbeiten. Ich wollte in eine andere Richtung gehen. Und ich halte es für sehr wichtig, dass man von Zeit zu Zeit einen Schritt beiseite wagt, um aus dem herauszutreten, was man bisher gemacht hat. Wenn du nicht das Bedürfnis danach hast, ist deine künstlerische Arbeit tot. Jetzt entwickelt es sich hin zur Abstraktion. Ich fühle mich Inhalten nicht mehr verpflichtet. Ich habe das alles in meinen bisherigen Arbeiten erschöpfend behandelt. Es scheint mir wirklich erledigt."
Dieser wunderbar meditative Urschlamm, den Djurberg in "Black Pot" aus 14.000 Einzelbildern zusammengemischt hat, entfaltet eine überwältigende körperliche Wirkung. Die Installation saugt einen in sich hinein. Und markiert Djurbergs vorläufige Abkehr von den kunterbunten Gruselpuppenspielen. Mit einem nachgereichten Urknall im Animations-Universum.
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