Zwischenzeit – die Fotos von Thomas Florschuetz sind bis zum 3. November im Schloss Rheinsberg und dem dortigen Kurt Tucholsky Literaturmuseum zu sehen.
Die Kamera als Augenöffner
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Thomas Florschuetz spielt mit der Eindeutigkeit. Er fotografiert Fragmente von Körpern, Gebäuden oder Früchten. Im Schloss Rheinsberg hängt er diese Ausschnitte in die historischen Gemächer. Aus dem Zusammenspiel entstehen neue Metaphern.
Ein Glas mit Wasser: mal voll, mal halbvoll, mal mit Eiswürfeln gefüllt - immer geschliffen und durchsichtig. Und doch verändert der Blick durch Glas und Wasser den blauen Hintergrund. In Rheinsberg hat Thomas Florschuetz drei Miniaturen mit diesem Motiv in das Eckzimmer zum See gehängt.
Die Fotos verschieben die Wahrnehmung. Obwohl helle Jalousien die Fenster verschließen, verwandelt die Vorstellungskraft das Schloss am See in einen wasser- und lichtgefluteten Körper. Es geht um das Sehen in den Bildern von Thomas Florschuetz.
"Das Glas wirkt auch nochmal wie eine Linse, wie eine zusätzliche Linse. Es geht um den Ausschnitt des Auges, um den Ausschnitt der Kamera, um das Sehen durch eine zusätzliche Linse oder eine Trübung, unterschiedliche Ebenen von Fokussierung, die Umgebung oder die Kontur", sagt Thomas Florschuetz.
Vom Aufstieg Preußens bis zum Ende der DDR
Neben den Bildern von Glas und Wasser hängen großformatige Fotos vom Palast der Republik. 2006 fotografierte Florschuetz kurz vor dem Abriss das dunkle Innere des Gebäudes, an dessen Stelle nun das Stadtschloss wieder ersteht. Nur von einzelnen Strahlen der Wintersonne beleuchtet wirkt der ausgeweidete Koloss wie ein nachglühendes Kraftwerk der Geschichte.
"Das ist ein ganz rohes, entkerntes Gebäude. Da war nichts mehr drin. Da gibt es noch Treppenaufgänge. Da gibt es dieses Stahlskelett, was man von Innen sieht, was an vielen Stellen mit hunderten und tausenden von Zeichen und Buchstaben, Pfeilen bedeckt ist, damit es dann richtig demontiert wird, damit man nicht die großen tragenden Elemente zuerst rausnimmt", erklärt Florschuetz.
Florschuetz blickt aus der Gegenwart zurück
Im Rheinsberger Schloss fächert sich nun der ganze historische Bogen vom Aufstieg Preußens bis zum Untergang der DDR auf. Der Kronprinz Friedrich erhielt das Schloss 1736 von seinem Vater als Geschenk, weil er sich in sein Schicksal gefügt und geheiratet hatte.
Sechs Jahre zuvor musste seine erste Liebe, Hans Hermann von Katte, den gemeinsam geplanten Fluchtversuch mit dem Tod bezahlen. In Rheinsberg ging der Kronprinz seiner Leidenschaft für die Kunst nach und bereitete seine Regentschaft vor. Thomas Florschuetz blickt aus der Gegenwart zurück und schaut aus dem Inneren des DDR-Palastes durch halb blinde Fenster auf die Museumsinsel:
"Interessant war für mich diese Spannung zwischen dieser inneren, sehr rohen, aber stabilen Struktur und diesen Blicken nach außen, die man dadurch haben konnte. Es ist letztendlich ein bisschen wie ein Prisma, das in die Berliner Vergangenheit, Gegenwart blickt."
Metaphorisches Begreifen
Thomas Florschuetz, 1957 in Zwickau geboren, zog 1981 nach Ost-Berlin und wurde bekannt für Bilder von schwebenden Fragmenten seines eigenen Körpers.
"Für mich war es so, dass ich das erste Mal in Bildern – und das ist ein unglaublich starkes Gefühl – so etwas wie eine Identität in dem gefunden habe, eine formale Identität auch. Man kann das natürlich nicht genau bezeichnen. Das ist einfach 'bäm'."
Nach seiner Ausreise aus der DDR begann er in seinem West-Berliner Atelier eine Serie mit Fenstern: "Ich habe über Monate immer dieses eine Fenster fotografiert und merkte dann, es geht eigentlich auch nicht um die Illusion dieses Innen oder Außen. Es geht eigentlich um den Begriff des Fensters, um diese Schnittstelle zwischen Innen und Außen und das metaphorische Begreifen."
Das "metaphorische Begreifen" gipfelt in Rheinsberg in subtilen Eingriffen in die historischen Gemächer. Im Schreibzimmer des Prinzen hängen zwei Fotos einer Jackfrucht. Einmal ist die riesige Tropenfrucht hermetisch, stachelig, geschlossen, dann gewaltsam gespalten. Aufgeladen vom Geist des Hauses sensibilisiert sie das Empfinden für Gewalt und Schönheit, Stille und Fremdheit.
Subversive Aufladung der Gemächer
Noch frappierender ist das Erlebnis im Schlafgemach des Prinzen. Auf die blau-grüne Damasttapete hat Thomas Florschuetz das Foto einer Orchidee gehängt. Die fleischige, rosa-weiße Blüte mischt mit ihrer schwülen Pracht die preußische Traumkammer subversiv auf:
"Mein Bild fügt dem Raum etwas hinzu, was man natürlicherweise nicht dazu rechnen würde. Was also einerseits eine gewisse Verfremdung auslöst, was andersrum aber natürlich auch eine Beziehung zu dem herstellen kann, was es an Exotischem oder an ornamentalen Dingen auf dem Sessel, auf den Tapeten, in den Grotesken, die hier in den Paneelen gemalt worden sind, gibt."
Die Fotos weichen der Eindeutigkeit aus, sie fordern Scharfsicht und Weitsicht gleichzeitig und lassen in den ineinander verschachtelten Räumen die "Zwischenzeit" erkennen. Da nutzt Thomas Florschuetz seine Kamera als Augenöffner.